Transzendentes Theater: Dea Lohers „DAS LETZTE FEUER” (Steffen Kühn)

Dea Loher: DAS LETZTE FEUER
Thalia Theater Hamburg
Regie: Andreas Kriegenburg
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Andrea Schraad
Musik: Laurent Simonetti
Ensemble: Sandra Flubacher, Lisa Hagmeister, Hans Löw,
Markwart Müller-Elmau, Katharina Matz, Jörg Pose, Natali Seelig,
Matthieu Svetchine, Angelika Thomas, Susanne Wolff
Dramaturgie: Claus Caesar
4. Juni 2008


Transzendentes Theater

Transzendenz bedeutet Überschreiten von Grenzen des Verhaltens, Erlebens und Bewusstseins sowie das Sichbefinden jenseits dieser Grenzen. Mit Geburt und Tod, menschlichen Grenzen der extremsten Art, beschäftigt sich Dea Loher in ihrem neuem Stück DAS LETZTE FEUER.

Ein Junge wird überfahren. Es erscheinen acht Personen, einschließlich der Eltern, allen ist gemeinsam, dass sie etwas mit diesem Unfall zu tun haben. Sie sind dadurch alle irgendwie aus der Bahn geworfen. Am Unfalltag kommt Rabe, der Fremde, in das neue Stadtviertel. Rabe ist durch Zufall der einzige Zeuge. Aber etwas stimmt nicht (mehr) mit ihm, und je näher ihm die Menschen seiner Umgebung kommen, desto mehr verstricken sie sich in die Geschichte des Jungen, der kaum geboren schon wieder sterben musste. Die Verhältnisse der acht Menschen werden immer brüchiger, die Handlungen skurriler und verrückter. Doch Dea Loher unterscheidet nicht, gleichmäßiger Fluss des Lebens, Wertungen werden vermieden. Ob gemeinsames Frühstück, die Pflege der alten Mutter oder die schnelle Nummer auf dem Sofa, alles geschieht in der gleichen Geschwindigkeit, mit der gleichen stakkato-haften Sprache.

Regisseur Andreas Kriegenburg und die Bühnenbildnerin Anne Ehrlich haben ein überzeugendes Bild für die leere, fließende, unendliche Zeit gefunden. Gleichmäßig langsam und ohne Unterlass dreht sich die Bühne, fünf, sechs Räume im schmuddeligen 60er Jahre Look. Zum gleichmäßigen Drehen der Bühne summt es eintönig. Das ist monoton bis zum Einschlafen, aber es funktioniert.

Das Leben als gleichmäßiger Fluss von Ereignissen, der Alltag in seiner entwaffnenden Banalität läuft zwei Stunden als hypnotisierender Plot über die Bühne. Jede einzelne Person hat ihre Geschichte und Zukunftserwartung, Störungen und Verbindungen untereinander ergeben sich nur durch die Geschichte um den Tod des Jungen, bis, ja bis sich Rabe rasend vor Verunsicherung und Verzweiflung mit Benzin übergießt und selbst verbrennt – DAS LETZTE FEUER. Hier schließt sich der Kreis: Leben als transzendenter Prozess, nur im Überschreiten von Grenzen ist Erfahrung möglich. Das Ensemble überzeugt mit einer geschlossenen Leistung, logistisch ist das Stück eine unglaubliche Herausforderung, unsichtbare Helfer sorgen dafür, dass in den Zimmern immer gerade das Richtige steht, wenn sie wieder im Zuschauerraum erscheinen. Viel Applaus im sehr gut gefüllten Thalia Theater.

(Steffen Kühn)

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