Historisch wurmstichig

„Die Deutschen Abenteuer der Yoko Tsuno“ spielt mit teutonischer Schauerromantik und blendet die Geschichte aus

Mir träumt im Hirn eine Flut
Von Wäldern, Bergen und Fluren;
Aus dem tollen Wust tritt endlich hervor
Ein Bild mit festen Konturen.
Heinrich Heine: Lamentationen

Schaurig-schöne Ruinen, mittelalterliche Stadtkerne, romantische Flusslandschaften – es gibt sicherlich weitaus unangenehmere Dinge, bei denen man an Deutschland denken kann. Den belgischen Comicautor und -zeichner Roger Leloup haben die hiesigen sentimentalen Tourismusattraktionen derart in den Bann geschlagen, dass die Heldin seiner Reihe Yoko Tsuno gleich mehrfach auf teutonische Abenteuerfahrt geht. Die gleichnamige japanische Elektronikexpertin ist stets auf der Suche nach überlebenssichernden Aufträgen und schlittert auch privat gern in verfahrene wie aufregende Situationen. Drei der in deutsch-romantischen Gefilden spielenden Episoden – die Bände 2, 7 und 14 – sind im ersten Teil der Gesamtausgabe gemeinsam erschienen. Sie führen Yoko an höchst pittoreske Orte. So ist sie auf der Burg Katz, die hoch über dem Rhein nahe der Loreley thront, einer gigantischen Orgel auf der Spur, durch deren Getöse Menschen in Wahnsinn und Tod getrieben werden. In Rothenburg ob der Tauber fahndet sie nach einem Vampir und auf Schloss Eltz am Bodensee stößt sie auf eine höllische Erfindung, die statische Energie zur Waffe macht.

Nun rührt die Zusammenstellung der Deutschen Abenteuer natürlich besonders am sich neu regenden Nationalgefühl. Selbstverständlich sind es eben keine deutschen Abenteuer, sondern Fälle, die Yoko in eben diesem Land löst. Und doch hat diese Zusammenstellung innerhalb der Serie ihre Berechtigung, weil hier mit der Musikerin Ingrid Hallberg die erste Person auftritt, zu der Yoko freundschaftliche Bande knüpft, und schließlich wird die Beziehung der beiden in den folgenden Geschichten intensiviert. Chronologisch korrekt mit dem ersten Band zu eröffnen, wäre einfach zu öde gewesen. Denn dieser ist noch unausgereift, wird doch die kurz vorgestellte Heldin schon nach wenigen Seiten plötzlich mit ihren – späteren – Mitstreitern Vic und Knut, die immer mehr Handlanger denn Freunde bleiben, in einem Fernsehteam zusammenpackt und mit außerweltlichen Wesen konfrontiert. Da bietet Ingrid schon andere Möglichkeiten für LeserInnensympathien, zumal die zu lösenden Fälle mysteriöseren Charakter tragen als jene in anderen Bänden.

Die detailverliebten Zeichnungen und spannend erzählten Geschichten sind eine hübsche Lektüre. Diese stößt allerdings in einer nicht gerade unwesentlichen Sicht säuerlich auf, weil sie von einer politisch wie historischen Blindheit geprägt ist. Das ist bei in die Jahre gekommenen Klassikern leider nicht ungewöhnlich, zum Beispiel schlägt bei Tim und Struppi öfter der kolonialistische Blick durch und auch Spirou und Fantasio sind keineswegs frei von Ressentiments, etwa gegen Sinti und Roma. Im Fall Yoko Tsuno ist es der Nationalsozialismus, von dem schlichtweg keine Rede ist. Da wird von einer zerbombten, deutschen Stadt berichtet, ohne dass der Zweite Weltkrieg Erwähnung findet. Stattdessen wird konstatiert, dass bei diesem „Unglück“ viele Menschen den Tod fanden. Das muss wohl, so der vermittelte Eindruck, eine Art Naturkatastrophe gewesen sein. An einer Strahlenkanone namens Wotans Feuer ist irgendwann „in den 30ern“ gewerkelt worden, wobei natürlich auch hier der historische Hintergrund einfach ausgeblendet wird. Das mörderische Wesen des nationalsozialistischen Deutschlands zu benennen, zerstört gewiss das Bild der imaginierten Romantik. Anders aber ist eine gute Erzählung nicht zu haben. In Die Deutschen Abenteuer ist historisch der Wurm drin, ein Malus im Lesespaß, den weder die liebevolle Gestaltung noch das beigefügte Portofolio wettmachen.

Roger Leloup: Yoko Tsuno – Die Deutschen Abenteuer
Erster Band der Gesamtausgabe
Carlsen Verlag
Hamburg – 2007
174 S. – 29,90 €
www.carlsencomics.de

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