„Elogium Musicum” ist eine Entdeckung

Der deutsche Komponist Hans Werner Henze ist mit seinem neuen Stück im Leipziger Gewandhaus

Elogium Musicum nannte Hans Werner Henze den chorsinfonischen Nachruf auf seinen kürzlich verstorbenen Geliebten, welcher ihm als „byzantinisches Fürstenkind, Kleinbauer und Seefahrer von beispielloser Begabung für die Kunst des Lebens“ treu begleitete. Wie innig die Verbundenheit beider Liebenden gewesen sein muss und wie schwer es dem Komponisten fallen wird, das restliche Leben zu meistern, lässt sich für den Außenstehenden nur erahnen. „Es gab einmal zwei Falken, wunderbare Vögel schnellster Kraft. Die Erinnerung daran, die fesselt mich.“ Der Zuhörer fühlt sich ab dem ersten Moment in eine schauerlich schöne Klangwelt versetzt, welche die persönlichsten Empfindungen eines Einzelnen und zugleich universale musikalische Gesetze in sich vereint. Hölderlins Hyperion scheint nicht weit.

Einen Komponisten vorzustellen, dessen Schaffen das deutsche Musikleben seit den 50er Jahren maßgeblich beeinflusste, erübrigt sich. Seine bloße Anwesenheit im Saal veranlasst stille Bewunderung. Dank Henzes meisterhafter Instrumentation werden Franco Serpas lateinische Verse von Chor und Orchester mit reichem Leben erfüllt. Riccardo Chailly dirigiert souverän, die erste Garde des Orchesters brilliert, die Mitglieder des MDR-Rundfunkchores zelebrieren die erhabene Schönheit der a-cappella-Passagen.

Energische Wogen künden im ersten Satz vom Unglück des plötzlichen Todes. Die Nacht dagegen bringt zorniges Wehklagen des Vereinzelten über düstere Zeichen. Der lebensbejahende und zugleich melancholische dritte Satz trägt den Titel eines gleichnamigen Hörspiels, das Henze 1954 mit seiner langjährigen Freundin Ingeborg Bachmann produzierte. Mit schnatternden, zeternden Frauenstimmen über ernst fließenden Bass-Linien beschwört Henze vertraute Klänge aus den Wäldern und Bergen seiner Wahlheimat Italien herauf. Den Anfang des vierten Satzes bestreitet das solistisch besetzte Gewandhausquartett. Lyrische und geheimnisumwobene Töne kehren wieder. „Eine heilige Ruhe umhüllt die ganze Welt, Tagesglanz, prachtvolle Heiligkeit der Sonne …“

Alles mündet ins Hymnische, strebt zum Licht. Dissonanzen, freie atonale Verbindungen, wiederkehrende tonale Grundakkorde folgen einer äußerst feinsinnigen Dramaturgie. Der Raum atmet eine Musik frei von jeglichem Design oder stilistischen Modeerscheinungen. Ein Meisterwerk!

Eigentlich bedarf eine solche Aufführung, deren Qualität bestechend ist, keines weiteren Kommentars. Moderator Hermann Stolle gab deshalb, von den Späßen Riccardo Chaillys und den klugen Gedanken Howard Armans unterbrochen, eine eher unglückliche Figur ab. Wiederholt verwies Heiner Stolle auf die Tatsache, dass sich alle Interpreten auf zuvor völlig unbekanntes Terrain wagten. Eine, nach etwas Nachdenken erheiternde Sichtweise für das Gewandhausorchester, welches sich offensichtlich viel zu selten an Neues heranwagt. Eine denkbare Dramaturgie des Entdeckerkonzertes wäre gewesen, die einführenden Worte möglichst kurz und bündig zu halten und das Stück nach der Voruraufführung ein zweites Mal zu spielen. Das hätte der mächtigen Wirkung der Musik keinen Abbruch getan, sondern zur Vertrautheit mit der Sprache eines Komponisten beigetragen, dessen Bedeutung für lange Zeit unerreicht bleiben wird.

Entdeckerkonzert

Hans Werner Henze (geb. 1926): Elogium Musicum amatissimi amici nunc remoti, für gemischten Chor und Orchester
Auftragswerk des Gewandhauses zu Leipzig
Gewandhausorchester, MDR-Rundfunkchor
Leitung: Riccardo Chailly
Moderation: Heiner Stolle

Voruraufführung: 1. Oktober 2008, Gewandhaus, Großer Saal

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