Verstörendes Psychogramm einer hilflosen Mutter

Neu im Kino: Emily Atefs „Das Fremde in Mir”

Das Glück scheint perfekt: Rebecca (Susanne Wolff) und Julian (Johann von Bülow), beide Anfang dreißig, lieben sich und erwarten ihr erstes Baby. Das passende Heim ist bereits gefunden, Julian verdient gut und Rebecca bereitet sich voller Vorfreude auf die Geburt und die baldige Dreisamkeit vor.

Doch dann kommt alles anders: Bereits unmittelbar nach der Entbindung empfindet Rebecca nichts von der bedingungslosen und erfüllenden Mutterliebe. Stattdessen ist ihr das eigene Kind fremd, sie fühlt sich leer und beginnt, sich vor ihrem sozialen Umfeld zu verschließen. Eine undefinierbare Angst sowie tiefe Hoffnungslosigkeit schleicht sich in ihr Leben. Niemand scheint zu bemerken, was in Rebecca vorgeht und wie sehr sie mit ihrem Innenleben kämpft. Ihre Unfähigkeit, Liebe für den kleinen Lukas zu empfinden, gipfelt schließlich in der vehementen Gefahr für ihr Kind und auch für sie selbst. Lediglich Rebeccas Mutter (Maren Kroymann) erkennt den Ernst der Lage und beschließt, professionelle Hilfe für ihre Tochter zu suchen. Ein beschwerlicher Weg hin zur Mutterliebe beginnt für die junge Frau, auf dem sie auch um den Erhalt ihrer Beziehung kämpfen muss…

Regisseurin Emily Atef hat sich einem sehr sensiblen und bis dato weitgehend gesellschaftlich tabuisierten Thema genähert: Die postpartale Depression. Laut Atefs Angaben erkranken jährlich rund 80.000 Frauen an dieser heimtückischen Hormonschwankung, die Übergänge vom sogenannten Baby Blues (des postpartalen Stimmungstiefs) hin zu der Depression oder sogar der postpartalen Psychose, unter der ein bis drei von 1000 Müttern zu kämpfen haben, sind dabei häufig fließend. Jedoch bleiben diese Krankheiten oft unbemerkt, da sich betroffene Frauen nicht immer jemandem anvertrauen und ihre Seelenqualen selbst vor ihren Lebenspartnern zu verstecken versuchen. Die Dunkelziffer wird somit weitaus höher geschätzt.

In Das Fremde in Mir zeigt uns Atef, was dies für eine Frau, ihr neugeborenes Kind und auch ihre engsten Vertrauten und Verwandten schlimmstenfalls bedeuten kann. Auf subtile und beklemmende Weise wird der Zuschauer bereits zu Beginn auf ein Drama vorbereitet: In chronologischen Zeitsprüngen, mal vor der Schwangerschaft, mal danach sieht man die schwangere Rebecca, wie sie liebevoll noch ihren Baby-Bauch streichelt, im nächsten Moment ein harter Schnitt, und die junge Frau läuft in einem verdreckten Nachthemd und mit ausdruckslosen Augen durch den Wald, bis sie schließlich zusammenbricht. Bereits hier wird auf ein sich anbahnendes Unglück eingestimmt – es herrscht von Anfang an eine sehr kühle und nahezu erdrückende Atmosphäre. Auf untermalende und auflockernde Musik wurde zum größten Teil verzichtet, die Kamera bleibt den gesamten Film über an Rebeccas Seite und somit stark subjektiv. Als Zuschauer ist man gerade in der ersten Stunde des Films – vor Rebeccas Therapiebeginn – hin und her gerissen zwischen dem Unverständnis für ein solches unerklärlich erscheinendes Verhalten und tiefem Mitleid. Wackelige oder sogar leicht verschwommene Aufnahmen nehmen parallel zu der sich immer weiter verschlimmernden Verfassung der Hauptdarstellerin zu, man sieht als Zuschauer den Alptraum durch ihre Augen.

Der beängstigende Höhepunkt in der Mitte des Films, der wohl selbst dem abgebrühtesten Kinogänger tief unter die Haut fahren dürfte, soll an diesem Punkt nicht verraten werden. Nur soviel: Sowohl der Hauptdarstellerin als auch dem Zuschauer steht ein beschwerlicher Weg bevor, an dessen Ende dennoch die Hoffnung und die Liebe stehen.

Auf grandiose Weise brilliert hier eine Susanne Wolff als erkrankte Rebecca, die völlig zu Recht für ihre Leistung auf dem Münchener Filmfest 2008 mit dem Förderpreis Deutscher Film für die beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Beeindruckend schafft Wolff den fragilen Spagat in ihrer Rolle: Ihr gelingt die glaubhafte, intensive Darstellung einer postpartalen depressiven Mutter, die im Film teilweise mit Handlungen agiert, die den meisten Menschen völlig unverständlich, ja sogar grauenhaft erscheinen und eine Identifikation somit unmöglich machen. Und andererseits bleibt sie dennoch durchgehend das Herz des Films, der Zuschauer verfolgt jeden ihrer Schritte (an)gespannt und kann sich über jeden kleinen Lichtblick in diesem doch recht düsteren Film mit ihr freuen. Regisseurin Atef bleibt in der Darstellung konsequent nah an ihrer Hauptfigur und lässt es trotzdem nicht aus, die moderne westliche Gesellschaft entgegenzustellen, die teilweise nicht mit zuvorkommender Hilfe und Liebe, sondern mit Ignoranz und Wut reagiert und damit Rebeccas Erkrankung verschlimmert.

Leider bleiben einige der Nebendarsteller recht blass, ihre Charaktere plakativ und klischeehaft. Gerade Ehemann und frischer Vater Julian wird in vielen Szenen als der dem veralteten sozialen Rollenbild bis ins letzte Detail entsprechende, typisch emotionslose Mann dargestellt, was teilweise störend wirkt. Denn Sätze wie „Jetzt reiß dich doch einfach mal zusammen!“ wirken einfach zu konstruiert, überzeichnen das Unverständnis nur unnötig und lassen die Beziehung der beiden erwachsenen Menschen seltsam unreif aussehen. Genauso Julians Vater Bernhard, der von einem eiskalten Hans Diehl gespielt wird, zaubert dem Zuschauer ein ungewolltes Schmunzeln auf das Gesicht, wenn er zu seinem Sohn, der seine Ehefrau zu Beginn noch in Schutz zu nehmen versucht, sagt: „Ich schäme mich für dich. Dass du so schwach bist!“ Solche Kommentare hätte man sich getrost sparen können, die Hilflosigkeit der Protagonistin wird auch so mehr als deutlich. Über allem schwebt jedoch die eindrucksvolle Leistung von Susanne Wolff, die allein mit ihrem realistischen Charakter den Film sehr sehenswert macht und ihre Schauspielkollegen an die Wand spielt.

Wer jedoch eine stärker in die Tiefe gehende, psychologische Auseinandersetzung zu diesem Thema erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden oder Falsches in diesem Film suchen. Das Fremde in Mir bleibt die Darstellung, die verstörende Dokumentation einer Frau, die ihr Kind lieben möchte, dabei jedoch durch innere Zwänge zu scheitern droht. Somit zeigt der Film die Folgen und nicht die Ursachen: Das Zerbrechen-und-wieder-Zusammenfinden einer Familie, und nicht zuletzt ein beängstigendes, nicht adäquat behandeltes Phänomen von individueller und doch intensiv-gesellschaftlicher Tragweite. Hervorgerufen durch eine Krankheit, die von vielen immer noch nicht als solche angesehen wird. Dieser Film bietet keine Lösungsansätze, vermutlich wird er aber sensibilisieren können und Diskussionen anregen. Und nicht zuletzt macht er Betroffenen Hoffnung.

Das Fremde in Mir

R: Emily Atef
Mit: Susanne Wolff, Johann von Bülow, Maren Kroymann, Hans Diehl, Judith Engel u.a.
DE 2008 – 99 min.

Kinostart: 16. Oktober 2008


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