Gehgeisterbahn mit Wackelkamera

John Dowdles filmisches Remake „Quarantäne”

Die unmittelbare Welle der amerikanischen Asia-Horror-Remakes scheint endgültig vorbei; wie uns „Quarantäne“ beweist, liegt das aber nicht etwa daran, dass Hollywood inzwischen Geld in fähigere Drehbuchautoren investiert hat, sondern ist eher dem Umstand zu verdanken, dass die großen Studios ihr Augenmerk nun auf Europa richten. Der Film ist eine Neuverfilmung der spanischen Horrorproduktion „REC“, die letztes Jahr veröffentlicht wurde.
Der Produzent von „Quarantäne“, Sergio Agüero, berichtet, er habe während einer Spanienreise im Januar 2007 – kurz vor der Fertigstellung – zufällig Werbematerial für „REC“ in die Finger bekommen und war sofort begeistert: „Die Dreharbeiten waren noch gar nicht abgeschlossen, aber schon bei diesen ersten Bildern lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.“
Mit scharfem Studioboss-Blick erkannte Agüero einen Coup und sicherte sich sogleich die Rechte für eine Neuverfilmung, deren Dreharbeiten unter dem Arbeitstitel „Quarantäne“ schon wenige Monate später anliefen. Regisseur John Dowdle ergänzt: „Wir hatten „Quarantäne“ gedreht, bevor wir den Originalfilm überhaupt gesehen hatten. Er war zu dem Zeitpunkt ja noch nicht einmal fertig geschnitten. Wir hatten das Drehbuch und den Trailer, damit haben wir dann gearbeitet.“
Wenn man so etwas liest, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll: Denn wenn im Jahr 2008 die Produktion zu einem kommerziellen Remake schon anläuft, bevor der zugrunde liegende Originalfilm einem größeren Publikum vorgeführt, bzw. überhaupt fertig gestellt wurde, d.h. wenn Hollywood nun scheinbar schon Besitzansprüche auf fremde Ideen anmeldet, noch bevor diese überhaupt zu Ende gedacht wurden, dann weist das auf eine filmische Zukunft hin, die weder für kommerzielle noch für künstlerische Regisseure besonders fruchtbar sein dürfte – vom Publikum gar nicht zu reden.

Man muss „Quarantäne“ natürlich in erster Linie als Remake betrachten – und bewerten – aber da „REC“ bislang noch nicht deutschlandweit gezeigt wurde, wird eine direkte Analyse schwierig. Zumindest der Plot ist weitgehend gleich geblieben: Angela (Jennifer Carpenter) ist Journalistin und dreht mit ihrem Kamermann Scott (man sieht ihn zwar selten, aber egal: Steve Harris) einen Fernsehbeitrag über die Nachtschicht an einer Feuerwache von Los Angeles. Ein bald eingehender Notruf führt die Einheit zu einem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt – Nachbarn berichteten von gellenden Schreien und merkwürdigen Lauten aus der Wohnung einer alten Frau. Was als Routineeinsatz beginnt, eskaliert schnell zum Ernstfall, als einer der Feuerwehrmänner von der offenbar geistig verwirrten Dame angegriffen und gebissen wird.
Den Verletzten nach draußen zu bringen oder Hilfe anzufordern erweist sich als unmöglich, da Polizei und Seuchenbehörde inzwischen das Gebäude abgeriegelt haben; Strom- und Telefonverbindung sind gekappt: Angela und die restlichen Hausbewohner sind auf engstem Raum eingesperrt. Da wacht der Gebissene plötzlich auf und fällt über seinen Nebenmann her. Tage später findet man im Haus eine Kamera; und was in dieser Nacht geschah, sieht der Zuschauer in Angelas „Fernsehbeitrag“.

Das Motiv der mysteriösen Infektionskrankheit, die Menschen in Monster verwandelt und von der Regierung ohne Rücksicht auf Verluste vertuscht wird, hat bereits in zahlreichen erfolgreichen Filmen Realisierung gefunden: „Quarantäne“ bedient sich großzügig bei Genre-Klassikern wie „Rabid“ von David Cronenberg oder „The Crazies“ von George R. Romero, wobei aber auch deutliche Parallelen zu „28 Days Later“ spürbar sind. Das einzige, das Dowdles Film im Grunde von seinen Vorbildern unterscheidet, ist die dokumentarische Perspektive der wackligen Fernsehkamera. Dieser Ansatz, der in „Cloverfield“ und „Blair Witch Project“ wunderbar funktionierte erweist sich in „Quarantäne“ als zwiespältig. Da sich die Handlung ausschließlich in Innenräumen abspielt, kommt tatsächlich eine Atmosphäre düsterer Beklemmung auf, und die plötzlichen Angriffe der rasenden Untoten sind dank der unmittelbaren Nähe zum Zuschauer umso effektiver. Andererseits leidet das Filmvergnügen gerade in den letzten 30 Minuten arg unter diesem absoluten Realitätsanspruch, denn bei all den komplett verwackelten Aufnahmen ist es für den Zuschauer schwierig (um nicht zu sagen, unmöglich) dem Lauf des Geschehens zu folgen: Eine Digitalkamera in einer 90-minütigen Gehgeisterbahn hätte vermutlich ähnliches Material ausgeworfen.

Remake oder nicht, „Quarantäne“ ist kein sonderlich origineller Film (keine Figur erhält auch nur einen Fingerbreit Tiefe und auch eine schlüssige Erklärung der Situation und ihrer Hintergründe bleibt aus); wenn man ihn aber als Vertreter des kränkelnden westlichen Horrorgenres betrachtet, erfüllt er allemal seinen Zweck: Genre-Fans werden es begrüßen, dass im jungen 21. Jahrhundert die Zeit der maskierten Mörder und vergnügungssüchtigen Teenager endgültig vorbei zu sein scheint, und die düster-morbide Atmosphäre und wirkungsvollen Schockeffekte (ganz ohne flapsige Sprüche) lassen hoffen, dass die neue Regisseur-Generation zu einer lang verlorenen Ernsthaftigkeit zurückgefunden hat – die das Genre ja letztendlich ausmacht..
Wer also bereit ist, ein paar altbekannte Drehbuch-Wendungen und Jennifer Carpenters gnadenloses Overacting in Kauf zu nehmen, kann mit „Quarantäne“ durchaus einen passablen Abend verbringen. Eine Pille gegen Seekrankheit, zwischen zwei Hand voll Popcorn, rundet das Filmvergnügen ab.

Quarantäne

Regie: John Erick Dowdle
Darsteller: Jennifer Carpenter, Steve Harris, Jay Hernandez
USA / 2008
Verleih: Sony Pictures

Kinostart: 27.11.08


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