Prima la musica e poi le parole

„Michaels Reise“ von Karlheinz Stockhausen bei den 22. Dresdner Tagen der Zeitgenössischen Musik

DONNERSTAG aus LICHT, 2. Akt Michaels Reise
Karlheinz Stockhausen hat es stets abgelehnt, ein fertiges literarisches Libretto zu vertonen. Worte haben für ihn zuerst eine klangliche Bedeutung, die Sprache nur als Teil der uns umgebenden Wirklichkeit aus Klängen und Geräuschen. Prima la musica e poi le parole, dieses Motto von Giambattista Casti und Antonio Salieri beschreibt auf verblüffend einfache Weise diese radikale Vision von Musiktheater. In seinem Zyklus LICHT hat Karlheinz Stockhausen seine Vision in 29 Stunden dauernde absolute Musik gegossen. Drei Hauptfiguren geben darin den Ton an: Michael als Engels-Fürst, der sich in Menschengestalt inkarniert, um die Menschheit zu Gott zu führen, Eva als Kraft der Liebe und des Lebens und Luzifer als gefallener Engel und Widersacher. MICHEALs REISE der 2. Akt aus DONNERSTAG aus LICHT schildert den Weg des Trompeters Michael um die Erde, alle Personen erscheinen in diesem Akt ausschließlich als Instrumentalisten, genaugenommen also eine Oper ohne Sänger. Klare Handlungszusammenhänge gibt es nicht, man könnte diesen Akt auch als szenisch gestaltetes Trompetenkonzert bezeichnen. Herkömmliches Regietheater, welches eine Partitur mit sozialen und philosophischen Bezügen ausfüllt, verliert durch diesen Fokus auf die Musik gänzlich seine Basis. Das erkannt und konsequent umgesetzt zu haben, ist das große Verdienst des Inszenierungsteams aus Carlos Padrissa, Roland Olbeter und Franc Aleu.

Vor der Bühne eine transparente Leinwand, je nach Ausleuchtung der Bühne dient dieser Vorhang als Projektionsfläche, bei hoher Helligkeit der Bühne ist er nur Blickfilter für die dahinter ablaufenden Szenen, aber auch Kombinationen beider Zustände sind möglich. Das Orchester ist im hinteren Bereich frontal und jeweils seitlich auf der Bühne verteilt, vorn in der Mitte, auf der verbleibenden Fläche spielen sich die sparsamen szenischen Aktionen ab. Michael in einem galaktischen Anzug schwebt mittels eines überdimensionalen Katapultes über dem Geschehen. Zweites Requisit ist eine runde mobile Projektionsfläche.

Der Dirigent des Abends, Lucas Vis, interpretiert die musikalischen Vorgaben Karlheinz Stockhausens auf eine derart unakademische Weise, dass man zuweilen vergisst, Neue Musik zu hören. Das Blechensemble zu Beginn des Stückes irrlichtert in sehr breiten Farben durch den Raum, tonale Blitzlichter mit sehr jazzigen Klängen verstärken den narrativen Eindruck der Partitur. Lucas Vis nutzt das Auf- und Abschwellen der Aktionen, um die Spannungen deutlich auszumalen. Alle musikalischen Aktionen sind elektroakustisch verstärkt und gelangen über vier Gruppen von Lautsprechern zum Publikum. Respekt und Hochachtung für das ausgezeichnete und kreative Abmischen dieses Klangkosmos!

Die ganze „Inszenierung“ besteht nun darin das kommunikative Miteinander der Figuren respektive der Instrumente zu ermöglichen. Zwei Klarinetten, das sogenannte Schwalbenpärchen, bewegen sich frei durch das Ensemble, indem sie ihre Späße mit den Musikern treiben. Die Trompete – Michael – singt sich durch die sieben Reisestationen, im Dialog mit dem Bassethorn – Eva – und so entwickelt sich ein ironisierendes Miteinander begleitet von kausalen Aktionen wie Zischen, Schnarzen und Räuspern. Die musikalische Weltreise endet in einer gemeinsamen Himmelfahrt, in welcher Eva Michael verführt und mit ihm gen Himmel verschwindet. Was im verbalen Rückblick banal erscheint, wird durch die subtilen Videoprojektionen aufgefangen. Auf dem Vorhang wechseln sich abstrakte, vom Klang beeinflusste Strukturen mit surrealistischen Situationen und Bildern ab: Bilder vom Aufgehen, der Geburt und dem Vergehen, der Zerstörung. Die Projektionen gehen soweit, eine kurze Sequenz der brennenden Twin Towers in New York zu zeigen. Bekanntlich war Karlheinz Stockhausen von den Terroranschlägen am 11. September 2002 auf eine ambivalente Art so fasziniert, dass er in diesem Zusammenhang „Vom größten Kunstwerk der Menschheitsgeschichte“ gesprochen hat. Diese Radikalität der Inszenierung ist durchaus kritisch, aber gerade dadurch erhält sie eine fühlbare Affinität zum extremen Denken und genialischen Schaffen Stockhausens. So wie für Karlheinz Stockhausen erst die Musik und dann die Worte standen, steht für die Inszenierung erst die Musik und dann die Szenen, die Bilder. Regisseur Carlos Padrissa hat es geschafft das Publikum in den Kosmos Karlheinz Stockhausens zu versetzen; dieser authentische Regieansatz sucht seinesgleichen im ewig währenden Diskurs um aktuelles Regietheater.

22. Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik

Karlheinz Stockhausen: Michaels Reise
Regie: Carlus Padrissa (La Fura dels Baus)
Bühne: Roland Olbeter
Licht: Frank Sobotta
Video: Franc Aleu
Klangregie: Paul Jeukendrup
Michael: Marco Blaauw (Trompete)
Eva: Nicola Jürgensen (Bassetthorn)
Musikalische Leitung: Lucas Vis

Samstag, 11. 10. 2008, 20.00 Uhr, Festspielhaus Hellerau, Großer Saal


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