Hände im Spiel

Das Theater im Globus fährt ein großartiges Gastspielangebot auf

Im Rahmen von Leipzigs 17. Internationalem Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater konnte man in der naTo vier ganz besondere Gastspiele an drei Tagen erleben. Hier ein zusammenfassender Einblick.

Dienstag, 21.10.08 – Lorenzos Nightmare V und Rasant

Puppenfragmente hängen an der Rückwand der naTo-Bühne. Dazwischen ein ziemlich fertiger Typ: Lorenzo, Pater aus Shakespeares Romeo und Julia, wegen mehrfachen Mordes in der Todeszelle eingesperrt. Überwachungskameras vermutend, versucht er die Außenwelt davon zu überzeugen, dass er unschuldig ist. Die Puppen, die er als Beschäftigungstherapie gebaut hat, werden zu den Protagonisten des Montague-Capulet-Zwistes. Sebastian Fortak als Lorenzo rollt einzelne Episoden der bekannten Geschichte auf und verrät dabei Details, die Shakespeare nicht erwähnte. Am Ende eskaliert das Spiel des Häftlings. Er gibt sich als der wirkliche Mörder preis und hängt sich auf.

Mit dieser originellen Herangehensweise entzaubert der Ernst-Busch-Schüler den Stoff und legt die versteckten Abgründe frei, die in den romantischen Lesarten meist untergehen. Das Verschachern der minderjährigen Julia an den alten Paris wird hervorgehoben, die negativen Eigenschaften der Figuren entblößt. Julia ist schwanger, was auch im Original denkbar wäre – hier wird es allerdings ausgesprochen. Doch die feinsinnig-böse Lesart unterwandert Fortak leider durch einige oberflächliche Typisierungen, die zwar komisch wirken, aber nicht so richtig hineinpassen wollen: Tybalt ist ein Türkenproll, Mercutio ein Klischeeschwuler mit französischem Akzent. Wenn die zwei nur aus Kopf bestehenden Figuren sich aus diesem Mangel heraus ein Spuckduell liefern oder die Romeo-Puppe sich der Balkonszene verweigert, weil Julia Parterre wohnt, funktioniert die ironische Seite der Inszenierung jedoch wieder. Darüber hinaus zeichnet sich Lorenzos Nightmare V durch hervorragende Schauspielkunst, differenzierten Stimmenwechsel und abwechslungsreiche Figurenführung zwischen sanft und brutal aus. Fortak spielt nicht, er kämpft mit seinen Objekten.

Anna Menzel und Lena Schlott, auch von der Ernst Busch, lieferten ebenfalls eine versierte, wundervolle und zudem gnadenlos komische Darbietung. Zwei Bewohnerinnen eines Altersheimes proben für den nächsten Tanztee ein Handpuppenstück ein. Weil sie Keanu Reeves so sehr lieben, spielen sie den Actionfilm Speed nach. Kasper, Pinocchio und Schnatterinchen mutieren zu Hollywood-Stars und bereichern die Vorlage um ein paar absurde Änderungen im Drehbuch. Wenn die im Bomben-Bus sitzenden Puppen fröhlich zur Beach-Boys-Musik tanzen oder die Omis sich zwischen den Szenen mit kleinen Sticheleien duellieren, steigt der Lachpegel im Publikum steil nach oben.www.hfs-berlin.de
Mittwoch, 22.10.08 – Houdini´s Suitcase

Die Schlange an der Kasse will nicht kürzer werden. Das Gastspiel Houdini ´s Suitcase der britischen Gruppe Pickled Image hat viele Besucher zum Figurentheater-Festival gelockt. Endlich sind alle Zuschauer im restlos gefüllten Saal der naTo untergebracht. Auf der Bühne stehen eine Unmenge von Koffern unterschiedlicher Größe und Form. Das verspricht Überraschungen.
Gedämpftes Licht. Das Geräusch eines einfahrenden Zuges. Die Koffer werden mit Nebel umhüllt. In diese gespenstische Atmosphäre hinein tritt ein alter Mann, einen weiteren schweren Koffer vor sich herschiebend. Er setzt sich, holt Fotografien hervor und betrachtet sie. Audio-Einspielungen verraten uns, was auf den Bildern zu sehen ist. Das letzte, zu dem ein Frauenlachen erklingt, steckt er in die Brusttasche seines karierten Anzugs und drückt es ans Herz.
Der alte Mann, einst Schüler des großen Entfesslungskünstlers und Illusionisten Harry Houdini, erinnert sich. Noch einmal probiert er seine Zaubertricks. Nicht alles klappt, die Karten fallen ihm herunter und das aus dem Zylinder gezogene Kaninchen ist nur noch ein Skelett. Gelächter aus dem Zuschauerraum. Vor allem die schwarzhumorig-makaberen Momente reizen zum Lachen. Wenn der Meister kurz die Bühne verlässt, entwickeln die Koffer ein Eigenleben und spucken groteske Puppen aus: Einen peitschenknallenden Dompteur und Conférencier, den King of Pain, der sich unter großem Gejammer und Schluckbeschwerden Schwerter in den Rachen und Nadeln in den Körper steckt, eine fette Akrobatin, die sich nur mit Mühe auf die Trapezschaukel hievt. Als Running Gag versucht ein Entfesslungskünstler immer wieder vergeblich, sich aus einem zugeketteten Koffer zu befreien. Es klopft hilflos aus dem Innern. Erst als der Alte die Schlüssel findet, gelingt der Trick. Er selbst ist es, der schließlich aus dem Koffer steigt.
Bei den traurig-melancholischen Stellen werden die Zuschauer still. Besonders berührend ist die Szene, in welcher der Greis ein Damenkleid findet und mit ihm tanzt: Der Tango wird von fiesem Husten unterbrochen, das Kleid fällt zusammen und gleitet zu Boden. Tod und Verlust einer großen Liebe. Vielsagende und unaufdringliche Symbolik, die ohne Worte auskommt, wie so oft in diesem Stück.

Mit wundervollen Bildern und faszinierenden Figuren vom riesigen Tanzbären bis zur winzigen Jungenpuppe verzaubert Pickled Image das Publikum. Jedes Detail, jede Geste und Bewegung ist liebevoll und exakt ausgeführt, sowohl bei der Figurenführung als auch beim Schauspiel. Wirklich ein Reigen der Überraschungen. Und die größte: Am Ende verbeugen sich nur zwei Menschen, Vicky Andrews und Dik Downey, und nehmen den minutenlangen verdienten Beifall entgegen. Dabei hatte man den Eindruck, es seien – im wahrsten Sinne des Wortes – unzählige Hände im Spiel. www.pickledimage.co.uk
Donnerstag, 23.10.08 – Odin

Odin kommt nicht klar. Der asische Göttervater hat einen Tauchsieder entdeckt und versucht verzweifelt, diesen zum Sprechen zu bringen. Warum weiß er nicht, was das ist? Er hat doch die ganze Welt erschaffen, also auch dieses Ding.

TheaterFusion Berlin und Theater Paradox Stuttgart präsentierten auf der naTo-Bühne ihre augenzwinkernde Lesart der Edda, dem mythologischen Werk über die nordische Götterwelt. Die Edda strotzt nur so von Geschichten, die auch ohne satirische Bearbeitung haarsträubend sind. Susanne Olbrich und Stephanie Rinke holen die mythologischen Abstrusitäten aus der Versenkung und setzen noch einen drauf, indem sie die Götter kleinkarierte Familienzwiste austragen lassen, ihnen Bierflaschen in die Hand drücken und sie in einer alltäglichen Sprache sprechen lassen, so dass sie mehr irdisch als himmlisch daherkommen.

Die Edda als Sitcom? Ja und nein. Zwar ist viel Ironie und Albernheit im Spiel, doch auch an Poesie mangelt es nicht. Denn die Puppenspielerinnen sind auch Geschichtenerzählerinnen, machen das Unsichtbare mit Worten sichtbar. Verstärkend tritt noch das umwerfende Geräusche-Arsenal von Max Bauer hinzu. Der junge Mann bewegt sich im halbdunklen Hintergrund der Bühne und sorgt in Rohre blasend und klingende Gegenstände schüttelnd für akustische Untermalung, die vor allem die makabre Seite des Erzählten lebendig werden lässt. Was wäre das Ausreißen eines Auges ohne ein anschauliches und ausdauerndes Schmatzgeräusch?

Die Figuren selbst, deren Führung, das Schauspiel und die Ideen, und auch das Bühnenbild, das wie ein Labor anmutet und besonders durch die Lichteffekte beeindruckt – Odin ist meisterhafte Kunst, die uns nebenbei die germanische Mythenwelt auf unterhaltsame Weise und frei von heldisch-völkischem Missbrauch nahe bringt. Und lernen konnte das ausgelassen lachende Publikum obendrein. Jetzt wissen wir, dass der Name „Walhall“ vom Obergott gefunden wurde, während er einen Joint rauchte. www.theater-paradox.de, www.theaterfusion-berlin.de

Mit den vier Gastspielen hat das Theater im Globus spannende und unterhaltsame Figurenspielkunst nach Leipzig eingeladen. Bravo und hoffentlich Zugabe im nächsten Jahr!

17. Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater
Lorenzos Nightmare V [Bild 1] und Rasant
Houdini´s Suitcase
[Bild 2]
Odin [Bild 3]
naTo
21. bis 23 Oktober 2008
www.theatreart.de

Festivalkurator Jost Braun im Gespräch mit dem Leipzig-Almanach:

07.10.2008
Die Möglichkeit, auf kleinstem Raum Monumentales zu zeigen (Tobias Prüwer)

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