Warum Geld tatsächlich stinkt

In seinem Dokumentarfilm „Let’s make money” folgt Erwin Wagenhofer den Strömen des Geldes

Immobilienblase. Stark gestiegene Ölpreise. Nahrungsmittelverknappung und nun seit einigen Wochen die „Finanzkrise“. Die Finanzkrise ist furchtbar, schrecklich, geradezu diabolisch. Hochverschuldete Staaten müssen Milliardensummen in Rettungsaktionen einst schillernder Großbanken pumpen, andere Staaten stehen selbst vor dem Bankrott. Das Wirtschaftswachstum wird zurückgehen, Arbeitsplätze werden verloren gehen, die Armut wird unweigerlich weiter wachsen.

Aber wo kam sie denn so plötzlich her, diese gigantische Krise, in der die Welt steckt? Und warum eigentlich? Um was geht es dabei überhaupt? Warum sind alle so hysterisch geworden und wer trägt die Schuld an dieser weltweiten Misere? Stehen wir nicht immer noch alle morgens auf und folgen unserem gewöhnlichen Tagesablauf? Schule, Ausbildung, Studium oder Lohnarbeit? Kurz gefragt: Was ist eigentlich passiert? Ob Erwin Wagenhofer damit gerechnet hat, dass sein Film über das internationale Finanzsystem wirklich haargenau kurz nach Ausbruch der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit in die Kinos kommen würde, bleibt fraglich, dass sein Film aber beinahe prophetisch die Entwicklungen der letzten zwei Monate beschreibt, steht außer Frage. Dennoch kein leichtes Unterfangen.
Trotz täglicher Nachrichtenflut in Fernsehen, Zeitung und Internet, dem Durchschnittsbürger bleibt die Welt der Investmentbanker und Private-Equity-Fonds meist unzugänglich. Wer sind diese selbstsicheren Typen in grauen Anzügen eigentlich, was ist ihre „Berufung“ und was genau haben wir damit zu tun? Wagenhofer geht all diesen komplexen Fragestellungen auf den Grund und unternimmt die Gratwanderung zwischen plakativem „Michael-Moore-Entertainment“ und gähnend langweiligem Wall-Street-Journal. Überraschenderweise gelingt sie ihm.

Der eingängige Werbeslogan „Lassen sie ihr Geld für sich arbeiten“ dient ihm dabei als Einstiegspunkt. Was passiert eigentlich tatsächlich mit dem Geld unserer Bausparverträge, Anlagefonds und der stinknormalen Girokonten. Wer bezahlt uns die kräftigen Jahreszinssätze eigentlich? Der Film begibt sich auf die Suche nach unseren Schuldnern. Wagenhofer zeigt die Unternehmen und Projekte, in die das Geld fließt und macht den mittlerweile verpönten Müntefering-Ausspruch von den „Heuschrecken“ wieder salonfähig. Der österreichische Filmemacher begleitet Investoren, Fondsmanager und sogar einen sogenannten Wirtschaftskiller auf ihrer ständigen Suche nach neuen Möglichkeiten Geld zu vermehren, auch unser Geld. Ob in Ghana, Indien oder Singapur. Auf vermeintlich einfache und naive Fragen erhält Wagenhofer häufig verblüffend schonungslose Antworten, die ein groteskes und absurdes System beschreiben, dem jeglicher Anstrich von Menschlichkeit fehlt. Es geht darum Geld zu verdienen, ständig zu vermehren und möglichst wenig an die Gesellschaft, in der es verdient wird, abzugeben. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds werden als krude Finanzdienstleister großer amerikanischer oder europäischer Firmen demaskiert und der Bau von Millionen Immobilien (mit riesigen Golfanlagen) im Süden Spaniens als unfassbar skrupellos entlarvt. Dabei gibt der Film seinem geforderten Publikum immer wieder Freiräume, um die Zusammenhänge zu erkennen und die eigene Lebenswelt zu hinterfragen. Letztendlich um zu verstehen. Die Interviews mit den Protagonisten werden unterbrochen von eindringlichen Luftaufnahmen gigantischer Geisterstädte in Andalusien oder der mühseligen Arbeit auf afrikanischen Baumwollplantagen. Das Tempo wird gedrosselt, der Zuschauer seinen Gedanken überlassen. Das Bild wird komplettiert durch die stets präsenten Verbindungen zum Alltag in Europa. Warum der Privatisierungswahn der Gesellschaft am Ende mehr Schaden bringt als Nutzen. Warum auch noch so hohe Mauern um Europa den Flüchtlingsstrom aus Afrika nicht stoppen werden. Und warum das reine Streben nach Geld und Konsum letztendlich alle in eine dunkle Sackgasse führt.
Wagenhofer ist nach We Feed The World ein weiteres meisterhaftes Stück Aufklärung gelungen. Vielleicht verlässt der eine oder andere das Kino nicht mit dieser Wut auf die Maßlosen „da oben“ und dem Mitleid „mit denen da unten“, wie man es vom globalisierungskritischen Kino zuhauf gewohnt ist. Vielleicht bleibt der eine oder andere auch ein wenig ratlos zurück und weiß nicht auf wen oder was er jetzt eigentlich schimpfen soll. Aber genau das ist brillant gelungen. Wir sind alle Teil eines faulen Systems geworden, bewusst oder unbewusst. Plakative Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Dass sich vereinfachende Erklärungen aber immer weiter verbreiten und dass die zunehmende Kluft zwischen „Arm“ und „Reich“, zwischen Wissenden und nach Antworten Suchenden immer weiter auseinander driftet, davor warnt das Ende des Films eindringlich. Der Film endet vor dem Mahnmal im Keller des deutschen Reichstags. Schon einmal waren es ökonomische Gründe und wirtschaftliche Schieflagen, die dazu führten, dass eine Handvoll ideologisch verblendeter Nationalisten die Massen hinter sich scharten. Wer wissen will, warum die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise in ein neuerliches Zeitalter der Barbarei in globalem Maßstab führen kann und was wir damit zu tun haben, der hole sich ein paar Euro von seinem Girokonto und investiere sie in diesen aufrüttelnden Dokumentarfilm Erwin Wagenhofers.

Let’s make money

Dokumentation
R: Erwin Wagenhofer
AT 2008 – 107 min.

Kinostart: 30. Oktober 2008

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