Kosmopolit und Entgrenzer

Bernd Frankes chorsinfonische Schöpfung „Miletus“ wird in Berlin uraufgeführt

Am Sonntagabend weilte die Leipziger Anhängerschaft des Komponisten Bernd Franke in der Berliner Philharmonie und fieberte der Uraufführung seiner chorsinfonischen Schöpfung Miletus entgegen. Vier Jahre lang hatte Bernd Franke im Auftrag des Philharmonischen Chors Berlin an diesem Werk gearbeitet. Er selbst hielt, sichtlich aufgeregt, eine Stunde vor Konzertbeginn eine sehr anschauliche Einführung zur eigenen Ästhetik und Verfahrensweise. Da waren sie wieder, die vertrauten Ausführungen zu indonesischer Gamelanmusik, orientalischen Mosaiken, indischen Ragas und chinesischem Häuserschmuck, die Gedanken über bereits vorhandenes musikalisches Material in neuen Zusammenhängen, strenge Konstruktionsprinzipien und aleatorische Freiheiten des Interpreten. Bernd Frankes Geisteshaltung lässt an den experimentierfreudigen Buddhisten John Cage erinnern.

Als literarische Grundlage diente ihm diesmal das düster-kraftvolle Gedicht Nachtgedanken aus Milet seines Künstlerfreundes David Bengree-Jones. Dieser hatte sich mit einem überlieferten Textfragment des in Milet (Lateinisch: Miletus) beheimateten Philosophen Anaximanders auseinandergesetzt: „Woraus die Dinge entstehen, in eben dasselbe müssen sie auch vergehen, nach der Notwendigkeit; denn sie müssen Buße zahlen für ihre Ungerechtigkeit, nach der Ordnung der Zeit.“ Die antike, einst blühende Hafenstadt Milet, Wiege der abendländischen Philosophie und mit dem Aufstand gegen die Perser den Untergang geweiht, entpuppt sich in moderner englischer Lyrik zum Sinnbild für Verderbnis und Vergänglichkeit errungener Werte schlechthin. „And Death, reckless, apportions/ Unfolding illusions of becoming/ in the catafalque confines of time.“

Sieben Sätze gliedern das 30-minütige Werk, welche von einem Prolog des Orchesters und einem abschließenden Epilog aller Beteiligten umrahmt werden. Ausgangspunkt des reichen, um Mikrointervalle gestreckten Tonvorrats ist der „Achsenton“ a, um den sich weitere Töne ranken. In einer Oktave notiert, verwandelt sich die Intervallfolge gis-cis-e-a-d-f-b in einen exotisch anmutenden Modus, der im weiteren Verlauf des Stücks zahlreiche Veränderungen erfährt. Allem Konstruktivismus zum Trotz bahnen sich wahre Zauberklänge ihren Weg. Wiederkehrende Geigen-Soli und geschickt eingesetztes Schlagwerk ziehen den Zuhörer in ihren Bann. Zu keinem Zeitpunkt verliert sich Franke in sinnloser Monumentalität. Er bleibt ein Meister seines Fachs, ein Kosmopolit, ein Entgrenzer.

Das bunt gemischte, dem Philharmonischen Chor treu ergebene Publikum spendete angesichts der gelungenen Premiere ordentlich Beifall, schien mit Neuer Musik jedoch nicht allzu vertraut zu sein. Ihre eigentlichen Stärken konnte die Sängergemeinschaft auch erst mit dem anschließenden Mozart-Requiem voll ausspielen. Jörg-Peter Weigle, Professor für Chordirigieren und derzeitiger Rektor der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ trieb seinen Chor zu wahren Höchstleistungen an. Dennoch, der Leipziger Universitätschor beispielsweise hätte einen Vergleich nicht zu fürchten. Unerwartet schlecht sangen die Solisten des Abends. Allein Marietta Zumbült ließ sich von der unzureichenden Leistung ihrer Mitstreiter nicht anstecken. Die Staatskapelle Halle dagegen verkaufte sich bestens und setzte so ein deutliches Zeichen künstlerischer Qualität gegen den ihr drohenden Stellenabbau.

Bernd Franke kann gewiss ein positives Resümee ziehen. Was daneben ging, wird nur er selbst gemerkt haben. Den Mitschnitt des Konzerts sendet Deutschlandradio am 27.11.08. Hoffentlich wird Miletus auch danach wiederholt zu hören sein.

Bernd Franke: MILETUS für Sopran, Chor und Orchester
nach Texten von Anaximander und David Bengree-Jones, UA

W.A.Mozart: Requiem, in der Fassung von Robert D. Levin (UA 1991)
Leitung: Jörg-Peter Weigle
Sopran: Marietta Zumbült
Alt: Karolina Gumos
Tenor: Marcus Ullmann
Bass: Christof Fischesser
Staatskapelle Halle
Philharmonischer Chor Berlin

26. Oktober 2008, Philharmonie Berlin

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