Der Schatten fällt auch auf die 3. Generation

Frido Mann liest aus seinen Erinnerungen „Achterbahn“

Seit seiner Geburt im Jahre 1940 häufen sich die Einträge im Tagebuch seines Großvaters: „Er sieht aus wie ein Elf“, „Sein Ausdruck und Lächeln beim Sprechen ist oft sehr reizend“, „Das Herz ging mir auf, beim Wiedersehen mit ihm.“

Thomas Mann, der sein ganzes Leben lang mit eher nüchterner Feder Tagebuch führte, überschüttet in den letzten 15 Jahren seines Lebens seinen Enkel Frido noch einmal mit einer Zuneigung, die man in seinen Aufzeichnungen weder in Bezug auf seine sechs Kinder, noch auf seine Ehefrau Katia findet. Der Lieblingsenkel ist das erste Kind in der Ehe von Gret Moser und Michael Mann, dem ungeliebten jüngsten Sohn der Familie, der sich 1977 das Leben nahm – ein Freitod, der in erster Linie der Lektüre der neu veröffentlichten Tagebücher seines Vaters angelastet wird, in denen Thomas Mann unter anderem die Abtreibung Michaels erwägt. Gerade diese Gefühlskälte, mit der Thomas Mann seinen Sohn ein Leben lang bedachte, den Sohn seines Sohnes aber mit Geschenken und Aufmerksamkeit überhäufte, gibt dieser einzigartigen Großvater-Enkel-Beziehung einen kühlen Hauch von Pathologie. Thomas Mann hat seinen Enkel geliebt – und dennoch benutzte er ihn auch als direkte Inspiration für die Figur des kleinen Nepomuk Schneidewein, alias Echo, für sein 1947 erschienenen Roman „Doktor Faustus“, in dem der Junge qualvoll stirbt.

Nun hat Frido Mann, der neben seiner Tätigkeit als Psychologe und Universitätsprofessor auch selbst Romane schrieb, seine Erinnerungen veröffentlicht. Seine Lesung im Haus des Buches ist außerordentlich gut besucht: Die Sitzplätze reichen bei weitem nicht aus.

Der Titel der Memoiren ist Achterbahn, und dementsprechend führt das Buch den Leser zu sämtlichen Erdteilen und durch viele Höhen und Tiefen des 20. Jahrhunderts; Erinnerungen und heutiges Zeitgeschehen (das Buch endet 2007) fließen oft ineinander: Die Lesung beginnt mit einem Urlaubsbesuch in Südspanien im Jahre 2004; der Blick aus dem hochgelegenen Bungalow auf die Küste und das Lichtermeer wirkt auf den Autor wie ein Schlüsselreiz: Es erinnert mich plötzlich fast überwältigend an den Blick von Großmuter Katias Zimmer in Pacific Palisades auf das hell erleuchtete Santa Monica an der Pazifikküste. Ab jetzt sauge ich jeden Abend stundenlang die Eindrücke in mich auf. Von hier aus schlägt der Autor den Bogen zu seinen Kindertagen. Die ersten Jahre seines Lebens, die Frido Mann fast ausschließlich im Hause Thomas Manns im kalifornischen Exil verbrachte, beschreibt er als eine magische Zeit der Gerüche und Eindrücke, immer wieder überschattet von der schweigsamen, aber liebevollen Figur des Großvaters: Insbesondere die Stimme Thomas Manns, der ihm als Kind immer Märchen vorlas, hat bleibenden Eindruck hinterlassen: Die Rezitationsweise des meisterhaften Vorlesers ist ein solches Fest, dass ich oft schon kaum mehr auf den Inhalt des Vorgelesenen achte. Von dieser Stimme geht eine enorme suggestive Kraft aus. Je häufiger und tiefer sie auf mich wirkt, desto anhaltender sind die Nachschwingungen. Ich glaube es noch heute zu spüren, wenn ich selber vorlese.

In der Tat fällt es schwer, sich Frido Manns sonorem Duktus zu entziehen, und seine Imitation der Zürcher Mundart während einer sonderbaren Begegnung mit einem Schweizer Beamten bilden einen amüsanten Gegenpol zu den eher düsteren Erinnerungen an seine Eltern, die ihn als 12-jährigen in einem Internat bei Bern ablieferten: Als das Wichtigste ausgepackt ist, kommt die Zeit des Abschiednehmens. Ich bin viele Wochen, Tage und Stunden, ja Minuten diesem Augenblick mit ungebrochen stoischer Haltung entgegengegangen. Doch plötzlich bricht alles von einer Sekunde zur anderen zusammen. Ich sinke in die Knie, beginne heftig zu weinen. Panische Angst vor dem Alleinsein. Dann erblicke ich vom Boden aus die Füße meiner Eltern. Auf einmal spüre ich, wie mein Vater sich über mich beugt und mir einen sanften Kuss auf das Haar drückt. Ich schaue zu meiner Mutter hoch, doch diese blickt hoch aufgerichtet und starr zur Seite. Wenige Augenblicke später verlassen meine beiden Eltern das Zimmer. Es ist ein Abschied für gut anderthalb Jahre.

Weitere Stationen im Leben des erwachsenen Frido Mann sind Brasilien (das Mutterland seines Großvaters), Rom, Prag und Litauen, sowie Berlin am Vorabend der deutschen Wiedervereinigung. Auch diese Episoden gehören zum Leben des Autors; aber sind sie für den Durchschnittsleser auch wirklich relevant? Anders gesagt: Ist es wirklich das Leben Frido Manns, an dem wir interessiert sind, oder das Leben des Enkels von Thomas Mann?

In der anschließenden Diskussion betont der Autor immer wieder, er möchte sich endlich von dem problematischen Etikett befreien und auch außerhalb seiner familiären Rolle wahrgenommen werden. Auch wenn seine Erinnerungen dazu einen wichtigen Beitrag leisten, dürften die Passagen über seinen Großvater doch wohl die primäre Kaufmotivation des Durchschnittslesers bleiben. Die Kuratorin des Hauses hebt zu Beginn hervor, dass eine Lesung von Heinrich Manns Enkel im vorigen Jahr nicht halb so gut besucht gewesen sei, und gibt damit ungewollt zu, dass in beiden Fällen weniger die eigentlichen Memoiren, sondern vielmehr die Blutsverwandtschaft der Autoren beim Publikum im Vordergrund stand. Schon Thomas Manns eigene Kinder waren ihr ganzes Leben lang damit beschäftigt, sich von der familiären Bindung an ihren Vater zu lösen; Frido Mann hat viel erlebt, und ein interessantes Buch veröffentlicht, aber seine Memoiren wirken auch wie eine lautstarke Rechtfertigung: „Seht her, ich habe auch ein unabhängiges Leben geführt.“ Trotz dieses Buches ist er immer noch der Enkel von Thomas Mann. Und wird es bleiben, solange er lebt.

Frido Mann: Achterbahn
Rowohlt Verlag – Reinbek 2008
383 S. – 19,90 €
www.rowohlt.de

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