„Cello-Performance und Figurentheater“

Überzuckert – Die deutsch-japanische Klangküche von Merkel und Sakamoto

Es klingt und tropft im Saal der Schaubühne Lindenfels. Zwei Künstler loten unter dem Motto „Begegnungen“ die Möglichkeiten des Zusammenspiels von Cello-Freistil und Kochobjekt-Performance aus. Das von Tom Grigull initiierte Theater-Festival Ohayô, Japan! – mit zahlreichen Kooperationspartnern in Leipzig, Dresden und Dessau – zählte unter anderem auch dieses süße, japanisch-deutsche Kunstereignis zu seinen vielfältigen Programmpunkten.

Die Neugier war ob solcher Kombination zunächst geweckt, zumal die in Stuttgart zur Figurentheaterdarstellerin ausgebildete Franziska Merkel sich bereits mit verschiedenen Performances einen Namen gemacht hat. Stücke wie Das Menü oder Sugar vereinen Objekttheater und Installation und lassen dabei den (essbaren) roten Faden in ihrem Schaffen erkennen. Die Künstlerin arbeitet derzeit als freischaffende Figurenspielerin, Performerin und Regisseurin in Leipzig. Auch für Sakamoto ist das Ereignis Performance keine fremde Angelegenheit, denn er wirkte nicht nur mit Cello, sondern auch mit singender Säge, verschiedensten Objekten und elektronischen Hilfsmitteln in Projekten um Theater, Tanz, Film und bildende Kunst in den USA, in Europa und Asien.

Hier in Leipzig sitzt der Experimentalmusiker mit seinem Cello dezent im Hintergrund und beginnt rote Perlen auf das Instrument rieseln zu lassen. Manche davon treffen das Holz, es ploppt, manche treffen die Saiten, ein zufälliger Ton entsteht, andere fallen klickend direkt in den Klangkörper. Zu seiner Linken kauert Franziska Merkel vor einem großen grünen Topf, rührt, dreht an den Thermostaten des Kochers und wartet geduldig auf den richtigen Moment. An eine seltsame Mischung aus Koch- und Waschküche erinnern die im Halbkreis aufgestellten Utensilien. Man ist mit Schauen und Warten beschäftigt.

Nach dieser Ouvertüre folgt das Spiel mit den Saiten, Sakamoto zupft und streicht. Doch gewohnt Klassisches erwartet den Zuhörer nicht. Seine Klangcollagen bestehen aus Melodien, in denen disharmonische, gegenläufige Akzente gesetzt werden. Hacker, scheinbar einzeln herausgetrennte Töne werden in zarte Tonreihen gesponnen. Die Finger rasen über das Griffbrett zu schon fiependen Noten, danach entspannen gezupfte Basslinien das Gehör.

Wer Sakamoto als Solokünstler erlebt hat, wird ein wenig enttäuscht sein. Oftmals arbeitet er furios mit mehreren Stimmen gleichzeitig, indem er während des Spiels seine Melodien elektronisch aufzeichnet und noch beim Finden seiner neuen die alten abspielen lässt. So können bis zu fünf Melodienschichten ineinander fließen. Die Technik des mehrstimmigen Solocellos kommt diesmal jedoch nicht zum Einsatz. Sakamoto nimmt sich stattdessen zurück und begleitet die Verwandlung des Zuckers, die mit ihren visuellen Reizen eindeutig in den Vordergrund tritt.

Franziska Merkel sitzt im Halbkreis ihrer Emaille-Töpfe, die auf drei tragbaren Herdplatten verteilt sind, und wartet. Darauf, dass der Zucker flüssig wird. Es dampft und riecht nach erhitztem, karamellisiertem Zucker, den sie aus den Töpfen in die zwischen den Kochstellen aufgestellte Wanne voll kaltem Wasser gießt. Abgeschreckt und erstarrt kommen Gebilde zum Vorschein, die an ganz verschiedene Dinge erinnern. An zarte Geschmeide etwa oder lange Stäbe gleich dem Zauberstab der Schneekönigin. Oder an zerfließende Dali-Uhren. Oder an frisch gewaschene und unachtsam aufgehängte Wäsche. Behutsam müssen sie vom Bade auf die Leine gehoben werden. Noch zäh zurechtgebogen baumelt die assoziative Saccharose dort, ab und zu bricht ein Stück ab oder zieht sich weiter in die Länge. Die Objekte in zartem Grün oder Rosa sind also in ständiger Verwandlung begriffen. Und tropfen weiter. Der Cellist geht auf das Verformen ein, indem er ein paar Töne hinzu zupft. Derweil passiert es, dass die süße Suppe überkocht. Wenn der Zucker ausgeht, dann nimmt die Performance-Künstlerin einfach eine Hand voll weißer Kristalle, die deckend um Sakamoto herum verstreut sind und somit eine Art Verbindung zu Merkel herstellen.

Intensiv werden (fast) alle Sinne angesprochen, denn die Kunst dringt in Auge, Ohr und Nase. Wer gegen schmorende Zuckerlösung Aversionen hegt, dem bleibt das ein oder andere Mal immer noch die Mundatmung. Beide Künstler ergänzten sich in ihrer Produktion: Während die eine auf den richtigen Zeitpunkt wartet, den Zucker zum Trocknen aufzuhängen, ist für den anderen der Moment musikalischer Improvisation gekommen. Dem Publikum eröffnet sich ein durchaus nicht uninteressanter Vorgang sich verändernder Aggregatzustände, der wegen des fehlenden Höhepunktes trotzdem langatmig gerät. Dabei kommt der sonst beeindruckende Chaos-Cellist, der das Prozedere hätte auflockern können, leider kaum zur Geltung. Der Zuschauer sieht sich mit Eindrücken konfrontiert, denen ein über den reinen Prozess hinausweisender, sozialer oder gesellschaftskritischer Bezug fehlt. So köchelt die unschuldige Kunst mal mehr, mal weniger angenehm vor sich hin, was unter dem Motto der Begegnung schließlich … ausreichend ist.

Cello-Performance und Figurentheater
Hiromichi Sakamoto (Yokohama, Japan) und Franziska Merkel (Leipzig)
www.ohayo-japan.de
Premiere: 21. September 2008, Schaubühne Lindenfels

Zu den Stücken von Franziska Merkel:

21.12.2007
Absurde Leckerbissen: Franziska Merkels „Das Menü“ (Anica Klingler-Mandig)

26.08.2007
Objekttheater zum Anbeißen: „Sugar“ (Tobias Prüwer)

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