Das Erwachen im Nebelmonat

Der Film „Novemberkind” in der Regie von Christian Schwochow

Kalt ist es geworden. Der Herbst verliert an Farbe und die Sehnsucht nach Geborgenheit wächst proportional zum Sinken der Quecksilbersäulen in den Thermometern. Zwei junge Frauen stehen nackt, nur mit Mützen bekleidet am Ufer eines Sees. Eine Mutprobe: Inga, gibt das Kommando – übermütig lachend stürzen sich beide darauf in das eisige Wasser. Ihre Freundin macht nach wenigen Metern kehrt. Inga aber gibt nicht nach, sie erträgt das kalte Nass.

Diese eine Szene offenbart den Kern des Films. Sie handelt von Mut, aber auch von Ängsten. Inga ist stark genug, einen Weg bis zum Ende zu gehen – aufrecht und unbeirrt. Sie ist Mensch und doch menschlicher als all die anderen die ihr begegnen, da sie weder schweigt, noch sich im Reden verliert; da ihr bewusst ist, dass jede Tat Konsequenzen nach sich zieht, denen man sich stellen muss, sie zu leugnen wäre Selbstbetrug.Novemberkind erzählt die Geschichte einer jungen Frau aus Mecklenburg. Inga, die bei ihren Großeltern aufgewachsen ist, glaubt, ihre Mutter sei 1980 kurz nach ihrer Geburt in der Ostsee ertrunken. Doch dann taucht der Konstanzer Literaturprofessor Robert auf und behauptet, ihre Mutter im Westen getroffen zu haben. Für Inga beginnt die schmerzhafte Suche nach ihrer eigenen Geschichte. Eine Reise ins Ungewisse.

Christian Schwochows Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg ist kein Film über die DDR oder die daraus resultierenden Besonderheiten in Ost und West. Es ist ein Film über Mauern, die Menschen um sich errichten, weil sie glauben so jeden Makel von Schuld verdecken zu können. Doch Ehrlichkeit zu sich selbst ist eine Notwendigkeit, da sie direkt auf die Wahrnehmung und Identität wirkt. Instinktiv neigen wir zur Wahl des subjektiv Vorteilhaften. Und wir nehmen dafür durchaus kleine, manchmal auch große Lügen in Kauf. Doch bleiben diese Lügen auch dann schlecht, wenn durch sie ein größeres Übel verhindert werden soll. Inga hat den Mut, Mauern einzureißen. Sie fordert Antworten und Verantwortung.

Das Drehbuch zu Novemberkind hat Christian Schwochow, 1978 auf Rügen geboren, gemeinsam mit seiner Mutter Heide Schwochow geschrieben. Hier treffen zwei Generationen aufeinander, die die DDR und ihr Ende unterschiedlich erlebt haben und dies hier verarbeiten. Ein Umstand, der sich sehr gut auf den Film auswirkt, da sich die Konflikte komplex und authentisch darstellen.

Christian Schwochows Unvoreingenommenheit in seinen Beobachtungen und seine Empathie für die Figuren erinnern an Andreas Dresen. Er erzählt, bedingt durch den permanenten Wechsel von Ort und Zeit, keine leichte Geschichte – inhaltlich wie auch dramaturgisch. Aber er erzählt sicher und pointiert. Ein wenig mehr Tempo hätte der Film vertragen. Auch wirkt der hochgezogene Kontrast der Rückblenden in die Zeit um 1980 etwas bemüht und abgegriffen, was jedoch die hohe Qualität des Films im Ganzen nicht schmälert.

Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum. Vielleicht hat Anna Maria Mühe, die Tochter der Schauspiellegenden Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe, ihr Talent in die Wiege gelegt bekommen. Doch ist es eher anzunehmen, dass die beeindruckende Entwicklung, die sie als Schauspielerin in den letzten sechs Jahren machte auf harter Arbeit beruht. Auch in Novemberkind hat sie sich keiner einfachen Aufgabe gestellt. Gleich in zwei Rollen gelingt ihr das facettenreiche Ausformen der Figuren von Inga und ihrer Mutter Anne. Gerade die Darstellung von Inga ist eine beeindruckende Leistung. Es tut mitunter regelrecht weh und hat doch etwas Befreiendes, mit anzusehen, wie sie sich immer wieder von emotionalen Tiefschlägen taumelnd aufrichtet und weiter zielstrebig ihren Weg sucht.

An Anna Maria Mühes Seite spielt Ulrich Matthes. Wer Matthes in dem Schlöndorff-Film Der neunte Tag als Priester Abbé Henri Kremer gesehen hat, weiß zu welcher immensen Ausdruckskraft dieser Schauspieler fähig ist. In Novemberkind verkörpert er gekonnt den Literaturprofessor Robert, der Inga auf die Spur bringt und sie bei ihrer Suche nach der Mutter unterstützt. Erst nach und nach wird sein Doppelspiel, seine Zerrissenheit und Schande sichtbar. Ulrich Matthes schafft ein austariertes Gegengewicht zur Hauptfigur, von dem der Film profitiert.

Am Ende begibt sich Inga wieder auf eine Reise, mit den letzten Puzzleteilen zur Wahrheit, den Aufzeichnungen ihrer Mutter – mit dem was übrig blieb und mit der Gewissheit, dass nicht wichtig ist was vor oder hinter uns liegt, sondern was in uns steckt.

Novemberkind

R: Christian Schwochow; B: Christian Schwochow, Heide Schwochow
Darsteller: Anna Maria Mühe, Ulrich Matthes, Christiana Drechsler, Steffi Kühnert,Christine Schorn, Hermann Beyer u.a.
D 2007 – 95 min

Kinostart: 20. November 2008


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