Leipziger Klimawandel

„Alle reden vom Wetter“ mit Regie von Rainald Grebe

An der Garderobe liegen zwei Papiere aus. Eines zur Geschichte des Leipziger Schauspielhauses, noch mit dem alten Logo versehen, und eines zum Programm des Abends mit dem neuen Design. Wir sind im ehemaligen Schauspielhaus, das jetzt Centraltheater heißt. Zur Premiere erscheint die Leipziger Hautevolee und auch ein gewisser Berliner Wind wird von den Angereisten herein getragen. Das Publikum hat ein Durchschnittsalter von maximal dreißig.

Das Haus, das wir kannten, steht noch; das Gebäude ist von den Räumlichkeiten her gleich geblieben und doch wirkt der proklamierte Neuanfang mit Hartmanns Amtsantritt wie eine Leerung. Ausfegen, abschlacken, Fossilien auf die Sprünge helfen sowie ein bisschen Askese, mehr Platz für Ironie, Klamauk und Entertainment – sicher tut das mancher Institution gut. Doch selbst wer früher vom Leipziger Schauspiel wenig angetan war und wenn, dann noch eher von der Neuen Szene und dem Theater hinterm Eisernen als vom großen Haus, selbst der könnte sich eines Tages fragen, ob ein solcher Kahlschlag von Nöten war.

Auslöser solcher Erwägungen ist Alle reden vom Wetter. Die Klimarevue von und mit Rainald Grebe. Kein Stück, kein Konzert, keine Umdenkaktion und doch von allem ein bisschen. Revue ist die passende Beschreibung für die Parodie einer Bühnenshow, die selbst wieder eine Show ist und eine gelungene zudem. Begeisterung schon während des Stückes, viel zu lachen, die Hände zu bewegen, weil jeder den Erdball anstoßen will, der ein paar Mal über das Publikum rollt. Ein älterer, weißhaariger Zuschauer kommt von seinem Toilettenausflug nicht zurück, doch was macht schon einer, der sich vorm Spiegel eine Träne wegwischt, weil er das Ende des klassischen Theaters voraussieht, der die Übernahme durch die neue Generation als schmerzhaft empfindet. Wenn es am Ende in den ersten Reihen Standing Ovations gibt und selbst kritische Menschen klatschen, dann gilt dies der musikalischen Leistung, der Performance, der Ausstattung und inszenatorischen Ideenfülle, und die haben eben Applaus verdient.

Die Bühnenshow beginnt mit Vorschlägen, wie wir uns am besten mit dem Klimawandel anfreunden können. Besonders den Sachsen wird die Erderwärmung schmackhaft gemacht. Weinanbau in Bautzen, krosse Mädchen und Datteln, die auf den Bäumen wachsen. Das Recht auf einen konstanten Meeresspiegel. Diese Art von Humor kann man als brachial-ironisch einstufen, abgemildert durch die Selbsterkenntnis seines Schöpfers, dass selbst die Ironie ironisch gemeint war, zumindest in den geliebten 90ern, als die Welt noch in Ordnung war. Außerdem erhält man an diesem Abend einen Einblick in den Berliner Neurotizismus der Gegenwart, wo der Bionade-Biedermeier ausgebrochen ist, die Landflucht sowieso und die CO2-Sparflut, die soweit geht, dass sich selbst das Kinderkriegen nachteilig auf die Klimabilanz einwirkt. Eine von drei fidelen Backgroundsängerinnen rockt trotz Achtmonatsbauch tüchtig ab, die Powerfrau, deren Bauch dann doch nicht echt ist, wie auch die afrikanische Hautfarbe eines Rostockers. Ein weiterer Mann spielt zwar außer Luftgitarre und Mundtrompete kein Instrument, dafür eine wichtige Rolle, die des ehemals potenten Luftruderers. Jeder kommt einmal vors Mikrofon, mit erstaunlicher Stimmkraft, und gibt Grebes Texten Ausdruck. Zeilen wie „Ich hab Chinesen in meiner Wohnung, es werden immer mehr“, „Entscheidung ist Massenmord an den Möglichkeiten“ und „Bärenfell ist mein Hochzeitskleid“ kommen zum Vortrag und als mögliche Quintessenz: „Ich bin ein Schwein, ich bin die Krone der Schöpfung“.

Konsequent für das Umweltbewusstsein ist die Aufforderung, 18 Cent pro Person zu spenden, um für den CO2-Verbrauch dieses Abends eine entsprechende Anzahl von Bäumen in Panama pflanzen zu lassen, als eine Art Ablasshandel mit dem Umweltgewissen. Die Berechnung der 18 Cent stammt von einem weiteren Mitwirkenden, einem kleinwüchsigen Mann in Anzug, der die Methode down size schon in die Wiege gelegt bekam. Ob das geschmackvoll und politisch korrekt ist, ob das Stück stringent sein Thema verfolgt, ob der hohe Unterhaltungswert seinem Inhalt angemessen und ob der Ort wirklich der geeignete ist, kann man sich fragen. Und: Was würde geschehen, wenn man bei einem Besuch des Leipziger Stadttheaters alles erwarten kann, Konzert, Film, Experimente, nur kein Theater? Was tun Leipziger, wenn sie Lust auf ein gutes Stück haben? Auf einen Klassiker oder auf ein zeitgenössisches Stück, das richtig gut in Szene gesetzt ist? Etwas für Herz, Seele, Sinne und ein bisschen Futter fürs Gehirn? Er kann nach Berlin fahren, nicht unbedingt an die Volksbühne, dort käme er womöglich vom Regen in die Traufe, aber zum Beispiel ans Deutsche Theater. Eine Stunde mit dem ICE, das wäre hoffentlich halbwegs klimaneutral.

Alle reden vom Wetter. Die Klimarevue
Regie: Rainald Grebe
Bühne: Jürgen Lier
mit Marcus Baumgart, Anna Blomeier, Martin Brauer, Rainald Grebe, Peter René Lüdicke, Emma Rönnebeck, Anita Vulesica, Klaus-Dieter Werner
Musikalische Einstudierung: Jens-Karsten Stoll und Die Kapelle der Versöhnung
www.centraltheater-leipzig.de
Premiere: 13.11.2008, Centraltheater
Zur Besprechung der zweiten Aufführung:
08.12.2008
Knallbuntes Wettertreiben und wer ist Schuld? – Noch einmal zur Klimarevue (Melanie Willmann)

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