„My Fair Lady“

Bunt und unterhaltsam in der Neuinszenierung von Karl Zugowski

In George Bernard Shaws Pygmalion – der berühmten Vorlage zu dem nicht minder bekannten Musical My Fair Lady, das am Sonnabend, dem 22. November 2008, in der Musikalischen Komödie zum ersten Mal in einer Neuinszenierung von Karl Zugowski über die Bühne lief – bekommt das gesellschaftliche Spannungsfeld zwischen Sprache und Stil einen raffiniert doppeldeutigen sozialkritischen Anstrich. Denn das Besondere an der Inselsprache des Englischen (man könnte auch sagen: der Spleen der Engländer) ist es, dass Oxford und Cambridge als Tummelplatz der Elite das beste Englisch vorgeben. In diesem Kulturkreis wird (so ähnlich wie die vornehme Petersburger Norm im Russischen) eine solche gehobene Sprachstufe zum Kennzeichen des sozialen Prestiges, zu einem Statussymbol der besseren Zehntausend. Der Dialekt ist – wie der Phonetiker Professor Higgins beweist – nur noch als Gegenstand der höheren Weihen der Wissenschaft interessant. In Deutschland war und ist dies (zumindest partiell) etwas anders: Selbst ein so stilsicherer und salonfähiger Komponist wie Felix Mendelssohn Bartholdy sprach schnell und lispelnd mit Berliner Akzent. Richard Wagner drückte sich sein Leben lang im breitesten Sächsisch aus. Sogar die ehemals sogenannten deutschen „Nationaldichter“ machten keinen Hehl aus ihrer dialektalen Herkunft: Schiller schwäbelte was das Zeug hielt, Goethe fluchte gern kernig im Frankfurter Ghettodialekt, der sich selbst aus seinen erhabenen Dichtungen immer wieder heraushören lässt. (Man beachte etwa den aufschlussreichen Endreim der Schlussverse von Faust II: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, das Unzulängliche hier wird’s Ereignis“.) Und auch heute noch würde man zum Beispiel dem bayerischen Ministerpräsidenten eine schwere Identitätskrise bescheinigen müssen, wenn er des Hochdeutschen in der gesprochenen Sprache völlig mächtig wäre.

Im anglophilen Musical My Fair Lady hingegen ist der Dialekt ein Grund dafür, sich zu schämen. Er wird zum gesellschaftlichen Stigma einer angeblich niederen Abstammung. Das perfide Experiment, mit dem Professor Higgins bezweckt, ein einfaches Blumenmädchen in der Hochsprache zu unterweisen und es zur Ascot-tauglichen Lady abzurichten, um damit in der „höheren“ Gesellschaft und vor seiner eigenen Wissenschaft zu glänzen, zeigt die Doppelmoral dieses Sprachdenkens. Denn die Bildungsfähigkeit Eliza Doolittles beweist, dass der Weg nach oben nicht von der sozialen Herkunft abhängig ist. Professor Higgins Sprachexperiment zeigt aber auch, dass die Sprache des besten Stils noch lange nicht die Sprache des Herzens und die Sprache der Wahrhaftigkeit sein muss.

Karl Zugowski gelingt es, aus diesem anspruchsvollen Stoff einen bunten unterhaltsamen Theaterabend zu machen. Seine Interpretation changiert zwischen Konversationsstück, Revue und gehobener Gesangskultur. Entschieden hat er sich für die Übertragung Robert Gilberts, in der „berlinert“ wird (es gibt auch eine bayerische Version). Die Stärke der Inszenierung besteht vor allem in einer durchdachten Personenführung und in einem gelungenen Zusammenspiel von Bühnenkonstruktion, choreographisch ausgefeilter Szenenfolge und Kostüm. Zugowski spielt dabei stilsicher und geschmackvoll mit dem Mittel der Übertreibung. Wenn auch anfangs das leidige Bühnenrasseln in den Sprechpassagen noch nicht ganz überwunden scheint, wachsen vor allem Mirjam Neururer als Eliza Doolittle, Milko Milev als Professor Higgins und Ullrich Graichen als Oberst Pickering im schauspielerischen Teil deutlich über sich hinaus. Mit Präzision und täuschend echt ahmt Milev den Gestus, die Sprache, die Bewegungen und die Attitüden eines grenzenlos eitlen und selbstverliebten Professors nach. Man wähnt zuweilen, sich in einer Phonetikvorlesung zu wissen. Die brutale Kaltblütigkeit, die Verletzbarkeit hinter der rauhen Schale und die gedrechselten Phrasen des Gentlemans zeigt er in ihrer Doppelmoral. Schön nutzt Neururer andererseits die vielen Möglichkeiten, die eine Figur wie Eliza in der darstellerischen Entwicklung bietet: Die Wandlung vom Aschenbrödel zur Ballprinzessin wird in ihrer Interpretation durchaus schlüssig. Sie verdeutlicht vor allem die zunehmende Kraft des Widerstandes der Eliza. Sie ist schließlich nicht mehr das Geschöpf von Higgins, sondern übertrifft ihren Meister. Schade nur, dass Zugowski allzu willig der Vorlage von Frederick Loewe und Alan Jay Lerners folgt und Eliza ohne Ironie und doppelten Boden als biederes Hausputtchen im lilafarbenen Samtkostüm mit Bügelfalte zum Schluss dem versöhnlichen Happy End entgegensteuern lässt – ganz im Gegensatz zu Shaws „Pygmalion“, die dem Zuschauer noch Denkstoff mit nach Hause gab, weil das Happy End in dieser Version schlüssigerweise ausfällt, Higgins Junggeselle bleibt und Eliza wieder auf der Straße landet.

Für viele Lacher sorgen indessen die phantasievoll überdrehten Kostüme von Marlis Knoblauch in der Ascot-Szene. Jeder kennt die englischen Modenschauen, die auf diesem berühmten Pferderennen stattfinden. Knoblauch nimmt das zum Anlass, um über Hutmoden zu spotten: Pferde, Kaninchen, Pfauen, wippende Reiter, ganze Gemüsestände hat sie in ihren flauschigen Hutwagenräderkreationen untergebracht. Bernd Leistners Bühnenkonstruktion greift diese witzigen Einfälle auf und sorgt für großen Unterhaltungswert. Die Idee, Higgins Bibliothek über zwei Etagen anzulegen, garantiert gute Bewegungsmöglichkeiten und Abwechslungsreichtum. Die geschmacklose „Eleganz“ des Salons der Mrs. Higgins (very british ausgespielt von Anne-Kathrin Fischer) findet in Porzellanhund-Blumenständern und hässlichen Eissalonmöbeln ihre Entsprechung. Schön bunt und munter geht es in der Parallelwelt dieser meistenteils ein- oder zweifarbigen Welt zu – im zusammengeflickten Müllkutschermilieu (facettenreich Folker Herterich als Alfred Doolittle), aus dem Eliza stammt. Knoblauchs schöne Kostümideen sind auch hier eine Augenweide!

Musikalisch treibt Stefan Diederich das Orchester munter und temporeich voran. Mit großer Sensibilität hält er das Orchester stets zurück, um die Sängerstimmen wirken zu lassen. In diesem gelungenen Vermögen, Orchester und Stimmen aufeinander abzugleichen, liegt das große Verdienst von Diederichs Dirigat, das auf diese Weise ein hohes Maß an Textverständlichkeit der auch auf deutsch gesungenen Gesangspartien sichert. Ansonsten sorgen die altvertrauten Evergreens wie „Es grünt so grün“, „Ich hab getanzt heut Nacht“ usw. für Stimmung im Saal. Da Zugowski als eingefleischter Theatermann aus Erfahrung weiß, wie man das MuKo-Publikum wirkungsvoll auf seine Seite zieht, ging die Rechnung auf. Das Publikum war sehr zufrieden und nichts spricht dagegen, dass diese Inszenierung wohlwollend aufgenommen werden und als gelungenes Repertoireprogramm sich im Spielplan halten wird.

My Fair Lady
Musikalische Leitung: Stefan Diederich
Inszenierung: Karl Zugowski
Bühne: Bernd Leistner
Kostüme: Marlis Knoblauch
Orchester, Chor und Ballett der Musikalischen Komödie
Mit Mirjam Neururer, Milko Milev, Ullrich Graichen, Folker Herterich u.a.
www.oper-leipzig.de/musikalische_komoedie
Musikalische Komödie

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.