Porno 2.0: Ein Essay im/über den Anschluss

Ein über den schillernden Begriff „Porno“ reflektierender Ausstellungsrundgang

Ein schillernder Begriff ist er zweifellos und scheint einiges an seinem Skandalpotential verloren zu haben. Über Worte wie Pornobrille, Pornobalken oder den schlichten Ausruf „Voll Porno“ hat er gar Eingang in einige Bereiche der Alltagssprache gehalten. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pornographie nach wie vor kontrovers ist: einerseits definitorisch, andererseits in seiner Bedeutung und Reichweite. Und es ist keineswegs so leicht, wie es Umberto Eco lapidar formulierte: „Wenn die Protagonisten des Films länger brauchen, um sich von A nach B zu begeben, als man es sehen möchte, dann handelt es sich um einen Pornofilm.“ Die Vorstöße auf den Knackpunkt von Pornographie kommen aus verschiedenen Richtungen, die kurz umrissen sein sollen:

Anti-Porno
Die PorNo-Kampagne von Andrea Dworkins und Catherine MacKinnons (in der BRD vertrat Alice Schwarzer prominent deren Positionen) entstand in den 1970er Jahren mit der breiten Kommerzialisierung von Pornographie und dessen Ankunft in der Massenkultur. Der Kern der Aussage ist nach wie vor, dass Frauen insbesondere in Pornofilmen zu Objekten herabgewürdigt und missbraucht würden. Pornographie desensibilisiere die Rezipienten und trage die Gewalt und Erniedrigung aus den Filmen in die Ehebetten und auf die Straßen. Sie diene nicht dem Triebabbau, sondern erhöhe die Aggressivität und ermutige zu Vergewaltigung und Missbrauch. Es gibt Langzeitstudien, welche diese Aussage stützen.

Porn Studies
Spätestens seit den 1980er Jahren wird Pornographie als Gegenstand akademischer Forschung behandelt, wenngleich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Porno weiter zurückreicht. So versucht Susan Sonntag 1970, Adornos These, dass Pornographie strukturlos sei, zu widerlegen und schlägt sich mit Verve auf die Seite der pornographischen Literatur, welche sie der allgemeinen literarischen Phantasie unterordnet und als deren Teilbereich behauptet. Gore Vidal betont wenig später den rezeptions- und wirkungsästhetischen Aspekt von Pornographie. Hans Mayer bringt diese Versuche 1975 auf den immer noch gültigen Punkt, dass dies wenig originelle Assimilationsversuche der akademischen Welt sind, welche das Wesen und die Struktur der Pornographie verkennen, indem sie nach erlernten Mustern der Kunst- und Kulturrezeption vorgehen und diese schlichtweg überstülpen. Dabei ist dies, um an Mayer anzuschließen, überhaupt nicht notwendig, da Pornographie ohnehin überassimiliert normorientierte Wunschvorstellungen zum Ausdruck bringe. Manfred Hermes formuliert es in der Themenausgabe Porno von Texte zur Kunst (64/2006) folgendermaßen: „So entstand aber auch der Widerspruch, dass zwar die Universität das vormals scharf Ausgegrenzte integrieren konnte, dies aber nur um den Preis, die eigenen Bedingungen nicht zu invertieren. Das inhärente Versprechen, mit der Drastik des außerkünstlerischen visuellen Materials die akademischen Normen selbst zu unterlaufen, ist auch deshalb nie eingelöst worden, weil es gar nicht erwogen wurde.“ So fungieren Porn Studies als harmloses Domestikationsprojekt unter ferner liefen.

Indie Porn/ Alt(ernative) Porn/ Postporn/ Porn Art
Pornographie wäre kein Teil der westlichen Kultur, wenn sie nicht auch ihre eigenen Subdivisionen aufwiese oder noch nicht das Präfix „Post-“ erhalten hätte. Die Domestikation ist also geglückt und wird nun in seinen alternativen und/oder queeren Erscheinungsformen als erfrischende Abwechslung gefeiert, nicht selten sogar als (körper-)politisch zu verstehendes Emanzipationsprojekt. Das Potential entdeckt man vor allem in den (von der Mainstream-Pornographie) abweichenden Rollenbildern, Genderidentitäten, Körperidealen, Sexualpraktiken. Die Frau wird beispielsweise nicht objektiviert, sondern sie subjektiviert sich, befreit sich von der Geste der Unterwerfung und entwirft sich stattdessen selbst. Die Performancekünstlerin Annie Sprinkle, selbst ehemalige Mainstream-Pornodarstellerin, wird hierfür oft als prominentes Beispiel herangezogen, aber auch in lesbischer Eigenregie gedrehte Filme, der Pornotrash von Bruce LaBruce oder die Konzeptualistin und Theoretikerin Beatriz Preciado. Hierbei bleibt jedoch relativ häufig offen, ob diese Auseinandersetzung mit Pornographie wirklich noch Pornographie im eigentlichen Sinne ist, nur weil es mehr oder minder erregte Geschlechtsorgane zu betrachten gibt. Emily Speers Mears kritisiert beispielsweise heftig das von der Tate initiierte Kunstprojekt „Destricted“ – eine DVD, auf der künstlerische Positionen zu Sex und Pornographie versammelt sind – mit den Worten: „?nicht nur durch die Bank hetero-westlich – sie sind außerdem auch noch absolut unsexy.“ Hohl, selbstbezüglich, „eine sanfte Massage der Konventionsgrenzen“, so das harte Urteil der Kritikerin. Leider trifft diese Kritik nicht nur im Fall der genannten Kompilation zu.

Netporn und nun endlich auch: einige Worte zur Ausstellung
Netporn hat ein prominentes Pseudonym: Cybersex. Dass dieser Begriff einst eine optimistische Option darstellte, kann man sich kaum mehr vorstellen. „Virtueller Sex versprach neben Anonymität und der Loslösung vom biologischen Körper – und damit auch von sexueller Diskriminierung – eine zweite sexuelle Revolution auszulösen (?)“ So leitet der Begleittext zur Ausstellung ein, welche die Möglichkeiten, die Aktualität und die Doppelbödigkeit von Pornographie im Web 2.0 zu beleuchten trachtet. Gleich am Eingang großformatig projektiert, geschieht dies durch die Wiederaufführung der Performance Imponderabilia (1977) von Marina Abramovic und Ulay in der virtuellen Welt Second Life durch Eva und Franco Mattes. Ebenso wie beim Original kostet es auch in der körperlosen Sphäre offenbar Überwindung, sich seitlich zwischen zwei nackten Körpern beziehungsweise Avataren hindurchzudrängen, um in einen Raum zu gelangen. Die Skrupel der Netz-Akteur/innen sind hierbei durchaus überraschend und zeigen die Grenzen der Körper- und Gewohnheitsüberwindung auch innerhalb des Web 2.0 auf.

Eine Auseinandersetzung mit stereotypischen Erwartungshaltungen und Attraktivitäts-Normen stellen die Arbeiten von Deborah Kelly dar: Ausschließlich mit den Betreffzeilen von Spam-Mails, welche eine Penisverlängerung mit so verführerischen Zeilen wie „Grow an anaconda out of your trouser snake“ oder „Huge rod is what all girls dream about“ anbieten, sind ganze Wände tapeziert. Das männliche Trauma vom Schlecht-Abschneiden beim Schwanzvergleich wächst sich damit ins Gigantische aus und wird kontrastiert mit den körperästhetischen Idealen der Frauen, welche auch nicht ungeschoren davonkommen: Insbesondere, wenn es um ihre Haare geht. Einerseits ist das lange, glänzende weibliche Haar ein uraltes erotisches Motiv, andererseits ist es mittlerweile ausschließlich auf die Kopfbehaarung beschränkt. Was als Kopfhaar der Erregung dient, gilt in allen anderen Körperbereichen als Lustkiller, was Kelly mit den Collagen Hairpiece #1-#6 zu thematisieren sucht.

Interessant sind auch die Filme des von Tatiana Bazzichelli und Gaia Novati ausgerufenen, alternativen Pornokurzfilmfestivals CUM2CUT (alle Filme auch online unter www.cum2cut.net). Allerdings stellt sich hier mehr als bei allen anderen Arbeiten die oben angeschnittene Frage danach, was Pornographie denn nun sei. Ist die Darstellung geschlechtlicher Handlungen – manche nennen es Sex – immer gleichzeitig auch „Porno“? Per juristischer Definition wohl möglich, doch die Jurisdiktion hinkt gewöhnlich immer der Realität einige Schritte hinterher. Das Definitionsproblem verläuft hier wesentlich zwischen der Pornographie als (auf Sender-Seite) reibungsloser Erfüllung einer Funktion und andererseits der provokativen Zurschaustellung von Sexualität, welche möglicherweise gar „authentischer“ sein oder das darstellende (!) Individuum anerkennen mag, also einen Schein von Emanzipation erzeugt. Doch den der Pornographie eigenen Erregungszustand mag dies nicht hervorrufen. Vielleicht geht es ja fehl, einen politischen und emanzipatorischen Impetus ausgerechnet der Pornographie einschreiben zu wollen. Wenn zwei Lesben als Hitler und (fiktive) Hilda firmieren und innerhalb dieses Kammerspiels einerseits Geschlechterverhältnisse umdrehen, andererseits aber der Hitler-Darstellerin etwas recht Großes anal eingeführt wird, so mag dies allerlei sein, doch der Mutmaßung des Autors nach für die wenigsten Lesben erregend oder eine alternative Darstellung möglicher und praktikabler Sexualität. Denn, dies ist schließlich der Vorwurf des PorNo, die Pervertierung des Sexuallebens ist dringend zu problematisieren. Und möglicherweise liegt gerade hier der Knackpunkt, der in den alternativen Produktionen deutlich wird: Subjektivierung gibt es nur um den Preis der ausbleibenden Erregung und Erregung gibt es nur um den Preis der sexistischen Objektivierung. Die Gleichzeitigkeit von Anerkennung des Subjekts und erotischer Erregung bleibt (ist dies Wohl oder Übel?) der persönlichen und individuellen Interaktion vorbehalten und ist nicht reproduzierbar.

Porno 2.0
Kunstraum D21, 13.11. bis 14.12.2008
www.d21-leipzig.de
Ein Reader zum Thema, der auch in der Ausstellung erhältlich ist, ist als pdf-Datei zugänglich: www.networkcultures.org/_uploads/24.pdf

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