„Der Mikado“

Frisch und Unbekümmert – Operette an der Leipziger Musikhochschule

Die Satire – lateinisch satira – ist eine Spottdichtung, die mangelhafte Tugend oder gesellschaftliche Missstände anklagt. Der Mikado ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie leicht und unbeschwert man aus der Persiflage von gesellschaftlichen Tabus seinen Honig saugen kann. Der Mikado spielt um 1450 in der Stadt Titipu in Japan. Der Kaiser hat das Flirten bei Todesstrafe verboten. Ein Erlass mit schwer wiegenden Folgen und Ursache für einen weiteren kaiserlichen Erlass. Unglückliche Verliebte, eine inszenierte Hinrichtung, zahlreiche Verwechslungen, gesteigerte Eitelkeiten und eine gehörige Portion britischen Humors sind in der Operette von Gilbert und Sullivan zu erleben, die 1885 in London erfolgreich uraufgeführt und in unmittelbarer Folge über 700 mal gespielt wurde.

Satira lässt sich aber auch als mit Früchten gefüllte Schale übertragen. Diese Früchte haben das Inszenierungsteam um Matthias Winter reichlich ausgekostet und, wenn man die Spielfreude der SängerInnen beobachtet, wohl auch prächtig genossen. In einem Vorspiel fotografieren erst einmal sechs japanische Touristen das Publikum, die Gruppe wird von einer Reiseleiterin mit obligatem Regenschirm geführt.

Farbenfroh beginnt dann das eigentliche Spiel. In dem überschaubaren Probensaal ist man dicht dran, mit einer bezaubernden Mimik lassen sich die Darsteller auf den zum Teil surrealen Stoff ein. Aber auch die Nähe zu den rechts auf der Bühne platzierten Musikern steigert die Intensität der Produktion. Scharfrichter Ko-Ko sucht in der Aufzählung der Todeskandidaten die Nähe zum Jetzt, auch zu Leipzig: „der Schlagerstar, der meine Oma quält, ich hab ihn registriert, die Schildbohrmaschine Leonie, die sich durch unser Leipzig gräbt, ich hab sie registriert“. Das Geschehen eskaliert dann im Paradox der kaiserlichen Erlasse, es gilt sich zu entscheiden zwischen der Heirat mit einem vorbestimmten abstoßenden Partner und dem Schafott. Für manche ist das schon gar nicht mehr der große Unterschied! Die schönste Szene gelingt Christina Bock als Katisha und Tobias Bader als Ko-Ko. Katisha, eine hässliche alte Jungfer, war eigentlich für den Sohn des Mikado Nanki-Poo vorgesehen, als dieser es aber schafft seine wahre Liebe Yam-Yam zu heiraten, muss die exaltierte Dame irgendwie beruhigt und abgefunden werden. Die Wahl fällt auf Ko-Ko. Katisha ist zuerst irritiert über die Avancen des Scharfrichters, dieser müht sich redlich ab, überwindet sich unter sichtlicher Qual erst selbst und schafft es dann, mit einem wunderbar gesungenen Ständchen über den liebeskranken Zaunkönig Katisha zu erobern. Danach fallen die japanischen Hüllen und die beiden stehen plötzlich in schwarzem Zeug aus dem Erotikshop „Lack und Lust“ vor uns, ja und dann geht die Post ab. Mit Peitsche und Handschellen versichert man sich der gegenseitigen Zuneigung. Christina Bocks Verwandlung von der abstoßenden grapschenden Tussi in eine tanzende und steppende Domina ist schauspielerisches Extrembergsteigen auf höchstem Niveau. Die Musik löst sich an dieser Stelle aus ihrer sonst eher illustrierenden Funktion und gibt dem Geschehen das nötige Tempo. Schlagzeug und perkussiv bearbeitetes Cello geben den Drive am Ende des Stückes.
Fazit: Ein in jeder Hinsicht überzeugender Abend, wiedermal höchster Respekt an die Frische und Unbekümmertheit, mit der man sich an der Leipziger Musikhochschule Genres aller Art nähert. Hierher sollte sich die sogenannte Hochkultur mal verirren und schauen, wie ein 120 Jahre altes Stück auf die Bühne kommt. Junges Musiktheater für junges Publikum – so einfach kann das sein!

Der Mikado- ein toller Tag in Titip
Operette in zwei Akten von Gilbert und Sullivan
Musikalische Leitung: Mirga Grazinyte
Inszenierung: Matthias Winter
Chor: Jens Petereit
Choreografie: Jana Ressel
Mit: Alexander Schmidt, Michael Seifferth, Benjamin Jan Boresch, Andreas Emanuel Jessel, Tobias Bader u.a.
Ensemble: Studierende der Hochschule für Musik und Theater
8. Dezember 2008, Hochschule für Musik und Theater

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