In verbalen Stahlgewittern

In seinem neuen Poesiealbum „Lasst mein Volk ziehen“ gibt Volly Tanner eine lyrische Breitseite

Es wird schlimmer als es ist doch wir werden besser
Als das feige graue Herr von müden Allesfressern
Es wird schlimmer als es ist doch wir werden besser
Und wenn die Zeit gekommen ist dann wetzen wir die Messer
Die Apokalyptischen Reiter: Es wird schlimmer

Auf Herzeleid folgt die Bataille – Nachdem Tanner sich in Zerwühlte Tage Zerknitterte Nächte auf sich selbst zurückwarf, wagt er sich im neuen Bändchen in politischere Gefilde vor. Von reichlich Sendungsbewusstsein getrieben, wirft der Poet den Übeln dieser Welt seine angeschliffenen Gedichte entgegen und stimmt die Internationale an.

Neben kleinen Szenen aus dem Leipziger Westen – namentlich das Lindenauer Quartier, das er in einem früheren Buch mal als „moosgrüner Haufen Kotze“ bezeichnete – wird etwa die Frage gestellt, wer denn für Carlo Giulianis Tod verantwortlich sei. Er starb als Demonstrant gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 durch Polizeikugeln. Brutaler Cop? Politisch gewollt? Von oben befohlen? – Ein anderes Tanner-Poem hat einen Hint: „Don’t hate the Player, hate the Game, Compadre.“

Tannner schreibt gegen die düstere Seite im Menschen an, das Mordlüstige, den rasenden Hass, das banale Böse, den unsrigen Hang zu Terror, Raserei, lynchmobender Selbstgerechtigkeit. Neben dem obligatorischen Faschisten-Bashing werden Konsumzombis, die ihr unheiliges Dasein an Discountertheken und Wühltischen befriedigen, genauso belächelt wie sich in Szeneuniformen ganz „independent“ gebende Individualisten. Eine kleine Oscar-Wilde-Hommage richtet sich gegen scheinfrommes, lustfeindliches Kleinbürgertum. Einmal mehr hadert Tanner mit dem Deutschsein, dem ganzen Wir-Geschwurbel vom Papst-, Weltmeister-, Weiß-der-Geier-was-Sein und sagt ihm den Kampf an. Und in einem schönen Bild helfen sich die Ausgestoßenen gegenseitig aus dem deutschen Zoo heraus.

Es nimmt eigentlich nicht Wunder, dass Tanner Die Kunst des Verschwindens (Jim Dodge) kennt, jenes Meisterwerk der – nennen wir sie: postmodernen Mystik. Und doch ist man erfreut, den Verweis auf das Werk zu lesen. Es sei dem Autor erlaubt, hier folgendes schöne Verschen des Herrn Dodge zu zitieren:
Wenn der letzte Kapitalist erwürgt ist
mit dem Gedärm des letzten Bürokraten,
werden in unseren Köpfen Kirschbäume blühen.

Zurück zu Tanner: Einmal mehr tritt seine Fabulierungswut gewaltig hervor, gibt er sich vorlaut, mit Kodderschnauze. Vor quirliger Anarchie sprühend, geißelt er Hinz und Kunz, nimmt überhaupt kein Blatt vor den Mund. Seine verbalen Stahlgewitter sind eine Lesefreude für alle wenig zart Besaiteten und dennoch nicht plump. Zum imaginären Soundtrack von Edith Piaf oder Leonard Cohen, Anthrax oder Johnny Cash, die Tanner hin und wieder anführt, ruft er auf, man selbst zu sein und der eigenen Stimme zu folgen.
Als Galgenbruder vor dem Tore gibt er einen guten Rat: Ich träumt von freiem Denken
Vom Glauben an mich selbst
Und hab‘ die Faust recht oft geballt
Damit auch Du nicht fällst.

Volly Tanner: Lasst mein Volk ziehen
Edition PaperONE
Leipzig 2007
116 S. – 9,50 €
www.editionpaperone.de

Mehr zu Volly Tanner:
25.03.2007
Zornig, zotig, zärtlich: Zerwühlte Tage, Zerknitterte Nächte von Volly Tanner & Oliver Baglieri (Tobias Prüwer)

21.03.2003
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