Untersuchen und Sichtbarmachen – Strategien der Kunst?

Die vierte Ausgabe der „Carte Blanche präsentiert zwei Positionen, die grundlegende Methoden der Kunst offenlegen, sich auf das Dasein zu beziehen

In der vierten Ausgabe des „Carte Blanche“-Projekts der GfZK zeigt die Dogenhaus Galerie Leipzig zwei Positionen, die grundlegende Methoden der Kunst offenlegen, sich auf das Dasein zu beziehen – und lässt den Besucher unbefriedigt zurück.
Lässt sich Kunst beschreiben als eine besondere Art und Weise der Untersuchung des menschlichen Daseins und dessen Beziehung zur Welt? Und inwiefern ist die künstle-rische Untersuchung der Wirklichkeit spezifisch für die Kunst? Die Ausstellung von Werken der Künstler Mark Lombardi (1951-2000) und Julius Popp (geb. 1973), die derzeit in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zu sehen ist, widmet sich diesen Fragen.
Mark Lombardis Zeichnungen, die er selbst „narrative Strukturen“ nannte, sind Resultat des akribischen Sammelns und Auswertens großer Datenmengen über brisante Ereignisse der Finanz-und Wirtschaftswelt. Lombardi arbeitete ausschließlich auf der Basis von veröffentlichten Nachrichten, Berichten und anderen öffentlich zugänglichen Informationen. Daraus entwickelte der amerikanische Künstler mit Bleistift oder in Tusche gezeichnete Organigramme, die die Verflechtungen von politischen Akteu-ren, Finanzinstitutionen und Großkonzernen sichtbar machen.
Die Ausstellung zeigt mehrere skizzenartige Arbeiten und zwei Werke, die exakt mit Lineal und Zirkel gezeichnet sind. Eine dritte großformatige Arbeit wurde während des Ausstellungsbetriebs bereits verkauft. Das Grundgerüst der Zeichnung George W. Bush, Harken Energy and Jackson Stephens. c. 1979-90, 5th Version 1999 bilden drei horizontal übereinander angeordnete Zeitachsen, deren Ursprung die Namen dreier Energiekonzerne bilden. Von den umkreisten Jahreszahlen aus entspringen Bögen zu Namen wie George W. Bush Junior, George H.W. Bush Senior, Scheich Salim bin Laden und zu dessen jüngerem Bruder Osama bin Laden. Die zeichnerischen Elemente und ihre Anordnung auf dem Blatt lassen darauf schließen, dass ein Akteur umso tiefer in die Angelegenheit verstrickt ist, umso dichter die Linien um seinen Namen herum angeordnet sind.
Lombardis Zeichnungen kommen leise daher und sind doch von großer Prägnanz der Darstellung. Sie zeigen nicht nur das tiefe Interesse des Privatmannes an den Verstri-ckungen von Ökonomie und Politik und die Gründlichkeit und Ausdauer seiner Ana-lysen. Die Zeichnungen zeugen auch davon, dass der Künstler den Umgang mit den Möglichkeiten und Wirkungen seines Mediums beherrscht: Die einzelnen makellos gezeichneten Elemente fügen sich auf der Fläche zu einem spannungsvollen Ganzen, so dass vor dem Auge des Betrachters das Bild einer Geschichte entsteht – in diesem Fall der Geschichte von George W. Bushs Karriere im Ölgeschäft – auch wenn die konkrete Bedeutung der einzelnen Verknüpfungen für den Laien im Dunkeln bleibt.
Lombardi ist gegenüber den Arbeiten von Julius Popp deutlich unterrepräsentiert. Dessen Werke dominieren die Ausstellung nicht nur räumlich, sondern auch akustisch. Ein merkwürdiges Rauschen, dessen Quelle sich im Inneren des Gebäudes verbirgt, begleitet den Betrachter von Beginn seines Eintritts in die Ausstellungsräume. Das Geräusch stammt von Popps Arbeit bit.fall. Untersuchung zu Wertewandel und kulturellen Veränderungen. Nicht nur diese, sondern alle Arbeiten Julius Popps tragen das Thema der Untersuchung bereits in ihrem Namen. Sie heißen: micro.adam & micro.eva. Untersuchung zur Entstehung von Bewußtsein und Umwelt, oder bit.string. Untersuchung zur räumlichen Darstellung von Gedankengängen.
Einige von Popps Werken treten explizit mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auf, wie den Begleittexten zur Ausstellung zu entnehmen ist. So sind micro.adam & micro.eva zwei Roboter, die laut Beschreibung „als das einfachste Vergleichssystem für künstliche Intelligenz weltweit“ gelten und die „auch am MIT in Boston und am Fraunhofer-Institut künstliche Intelligenz trainiert“ haben. Laut Begleittext steht hinter der Arbeit die Frage nach „der Entstehung von Bewusstsein in einer spezifischen Umwelt“. Der Besucher bekommt die beiden Maschinen allerdings nicht in Aktion zu sehen, sondern als Objekte, nebeneinander an der Wand angebracht. Adam besteht aus zwei parallel angeordneten Metallringen, in deren Innerem sich ein Metallarm befindet, und einem „künstliche-Intelligenz-Programm“.

Die Funktionsweise der Roboter zur Erzeugung von „Körperbewußtsein“ wird wie folgt beschrieben: Bewegt Adam seinen Metallarm, ändert sich der Schwerpunkt des Metallrings: Er beginnt, sich zu drehen. Adam „kennt“ den Winkel, in den er sich ge-dreht hat und das Programm koppelt den registrierten Neigungswinkel mit der Bewe-gung des Armes. So fange der Roboter an zu schaukeln, „wie ein Kind dies lernt […] an dieser Stelle entsteht Körperbewußtsein“. In welchem Sinne aber lässt sich einer Maschine Bewusstsein zusprechen, also einer Form des Wissens über ihr Selbst? Und liegt dieser Untersuchung nicht ein Bild vom Menschen zu Grunde, das diesen als eine biologische Maschine oder als eine Art organischen Computer begreift? Abgesehen jedoch von der Fragwürdigkeit des wissenschaftlichen Projekts lösen Adam und Eva nicht wirklich den Anspruch ein, als Skulpturen zu funktionieren. Vielleicht liegt dies schlicht an der Art ihrer Hängung: Die beiden Maschinen werden zu einem statischen Bild, statt als raumgreifende Objekte wirken zu können, die man von allen Seiten begutachten kann. Damit vergibt die Präsentation die Chance, in stärkerem Maße die Neugierde und Vorstellungkraft des Besuchers anzuregen.
Auch die Arbeit macro.flow. Untersuchung zur Veränderung unseres Weltbildes ist nicht bloß eine Skulptur, sondern ein Projekt, bei dem der wissenschaftliche Aspekt stark im Vordergrund steht. Von diesem Projekt ist nur die Sonde sichtbar – eine abgeflachte Kugel, die in der Mitte von einem Einschnitt in zwei gleiche Hälften geteilt wird. Laut Beschreibung kann dieses autonome[s] Labor auf Schiffen oder direkt auf Wasserläufen und Gletschern ausgesetzt werden, wo sie die Bewegung ihres Trägers aufzeichnet und an einen Satelliten überträgt. Die so gewonnenen Informationen sollen nicht nur helfen, „die globalen Prozesse besser zu verstehen“, sondern sogar zu einem Wandel unserer Sicht auf die Welt führen. In welcher Weise die Daten über die Fluss- Gletscher- oder Schiffsbewegungen ausgewertet werden sollen, darüber wird der Betrachter im Unklaren gelassen. So steht bei dem ausgestellten Objekt offenbar gerade das Nachdenken darüber im Vordergrund, wie die Sonde etwas sichtbar machen könnte, was sich sonst der Wahrnehmung des Einzelnen entzieht, und wie diese Visualisierung sich auf unser Weltbild auswirken könnte. Was dem Auge geboten wird, gibt allerdings recht wenig Anlass, sich diesem Nachdenken ernsthaft zu widmen. Der Betrachter wird mit seiner Neugierde, die das runde Ding auf den ersten Blick weckt, stehen gelassen. Eine Gravierung verweist ihn stattdessen auf den Internetauftritt des Künstlers.
Überzeugender in Hinblick auf das Verhältnis von Visualisierung und Vorstellungskraft wirken die raumfüllenden Installationen Popps. Der Text zu bit.fall. Untersuchung zu Wertewandel und kulturellen Veränderungen verspricht, das Werk verweise auf die „Flüchtigkeit kultureller Werte“. Die Installation im Inneren des Gebäudes basiert auf einem Computerprogramm, das mit Hilfe eines „statistischen Algorithmus [… ] aus den aktuellen Nachrichtenströmen des Internets die inhaltlich relevanten Begriffe herausfiltert“. Ein Ventil- und Pumpsystem lässt diese Worte in Form vieler kleiner Wassertropfen von der Decke fallen, so dass sie nur einen kurzen Moment lesbar sind, bevor sie ins darunter liegende Wasserbecken fallen. Man liest Worte wie „Hoffnung, Telekom, Haft, Urteil“ aber auch „darf, zur, als, auch, zehn“. Der Wort-Wasserfall übt eine starke optische, haptische und akustische Anziehungskraft aus. Er funktioniert als Bild der Flüchtigkeit von Informationen im Internet. Doch gern hätte man mehr darüber erfahren, welche Art von Webseiten dem Programm hier als Quelle dienen und nach welchen Kriterien es die Worte auswählt. Schließlich soll es diejenigen Worte herausfiltern, die jeweils gerade „bedeutend“ sind und damit kulturelle Werte symbolisieren. Auf der anderen Seite spielt die Arbeit auch mit dem unwillkürlichen Bemühen des Betrachtern, einen Zusammenhang zwischen den Worten herstellen zu wollen und die Informationsbruchstücke wieder zu einem sinnvollen Ganzen zu fügen.
Bei den beiden Arbeiten micro. spheres & micro.perpendiculars. Untersuchung zu Anpassungsprozessen, Individuum und Gruppe versprechen die Texte mehr als die ausgestellten Werke halten können. Zugegeben, die beiden Arbeiten sind als „work in progress“ gekennzeichnet. Sie funktionieren nicht wie im Text angekündigt, was vermuten lässt, dass sie sich tatsächlich noch in der Entwicklungsphase befinden. Ei-gentlich sollen micro. spheres, zwei kniehohe schwarze Kugeln auf dem Boden des Raumes, auf die Bewegungen des Besuchers reagieren. Dass sie dies tun, kann man sich einbilden. Auf jeden Fall rollen sie ohne erkennbare Regelmäßigkeit ein wenig hin und her. Dies ist aber vielleicht gerade Teil der Arbeit und macht ihren Reiz aus: Dass der Besucher schwankt zwischen der Suche nach einer Regelmäßigkeit in den merkwürdigen Kugelzuckungen und dem Eindruck, dass hier etwas nicht funktioniert.
Im Fall der micro.perpendiculars sieht man durch die Glasscheibe des Vortragsraums mannshohe, weiße Kapseln, die in verschiedenen Neigungswinkeln zum Boden aufrecht stehen und sich kaum merklich bewegen. Auch sie sollen im fertigen Zustand auf jede Bewegung in ihrer Umgebung reagieren und damit Interaktionsprozesse zwischen Individuum und Gruppe sichtbar machen. Der Besucher bleibt aber vorerst ausgesperrt, so dass es der Vorstellungkraft überlassen bleibt, wie es wäre, sich zwischen den Kapseln zu befinden.
Die meisten der ausgestellten Arbeiten von Julius Popp lassen den Betrachter mit dem Gefühl zurück, mit Hilfe der schicken Maschinen etwas vorgegaukelt zu bekommen. Deren ansprechende Optik kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gegenstand der Untersuchung und deren Ergebnisse oft nicht so recht einleuchten. Einige Arbeiten Popps entstehen im wesentlichen in der Vorstellung, versprechen aber, mehr zu sein als das. Dagegen bleiben Lombardis Arbeiten als weniger auffällige, aber tiefgehende künstlerische Untersuchungen in Erinnerung, deren Ergebnisse zugleich sehr konkret vor Augen liegen und einen Vorstellungsraum eröffnen.

Carte Blanche IV: Dogenhaus Galerie Leipzig
Galerie für Zeitgenössische Kunst
Karl-Tauchnitz-Straße 9-11, 04107 Leipzig
www.gfzk-online.de
08. November 2008 – 11. Januar 2009

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