Ewig vom Frieden

Im Sammelband „Der Friede ist keine leere Idee …“ treten die Friedensbilder zu Beginn der politischen Moderne in den Blick

Dass Frieden sein soll, wird selten bestritten. Wie aber gestaltet sich Frieden, geht man über Vorstellungen von ruhenden Waffen hinaus? Mit welchen Bildern lässt sich die Idee des Friedens, die laut Kant nicht leer ist, unterfüttern? Ist sie nicht auch beim Königsberger, obwohl mit ihm das Friedensdenken politisch wird, seltsam bildlos? Hieran schließt die Fragestellung des Sammelbands: Welcher Art waren die Vorstellungen vom und zum Frieden an der bellizistisch dominierten Epochenschwelle „um 1800“ und welchen Veränderungen unterlagen sie? Nach der systematischen Einleitung durch Herausgeber Thomas Kater rückt die Friedensbildlichkeit in den einzelnen Beiträgen unter wechselnden Perspektiven in den Blick, werden ihre Vielfalt und Unterschiedlichkeit offenbar.

Den philosophisch-politischen Diskurs von Herder bis Hegel befragt Klaus Dicke hinsichtlich der möglichen Verwirklichung von Frieden. Trotz Divergenz in den Vorstellungen, die zum Beispiel Erziehung, Gerechtigkeit oder Handel als friedensstiftend anführen, ist in jeder der Frieden durch praktische Vernunft geboten. Alle Vorschläge gründen letztlich auf Hoffnung, weshalb zu fragen bleibt, welche theologische Reminiszenz in ihnen anklingt.

Die Symbiose von pietistischen und reichspatriotischen Motiven veranschaulicht Helke Dreier an der Person Friedrich Carl von Mosers (1723-98). Während der wahre Frieden ins Jenseits verlegt wird, soll der temporäre Verzicht auf kriegerische Mittel zwischen den Reichsländern in der Beschränkung absolutistischer Willkür durch die Stärkung juridischer und etatistischer Institutionen gewährleistet werden. Von zentraler Bedeutung bleibt das Verhältnis zu Gott und Mitmensch, denn der bürgerliche Seelenfrieden ist der Garant stabiler Staatsordnung.

Buchstäbliche Bilder vom Frieden sind im Medium der Kunst anzutreffen. Hans-Otto Mühleisen vergleicht französische und deutsche Friedensdarstellungen zwischen 1789 und 1815 in Emblemen, Kalenderblättern und Bilderbögen. Frieden wird jeweils als Dominanz der eigenen Ordnung ins Bild gesetzt und findet als universale Größe selten vordergründige, häufig gar keine Abbildung. Auffällig ist die Austauschbarkeit der Personen, denn nur Motto und Bildunterschrift stiften spezifischen Sinn. Wie Hans-Martin Kaulbach zeigt, überwiegen in der öffentlichen Friedensbildlichkeit des ganzen 19. Jahrhunderts allegorische Elemente. Der Friede prangt an den Denkmälern als Herrschaftsattribut und Werk siegreichen Waffenganges. Spiegeln sich in der Kunstmalerei darüber hinaus auch lebensweltliche Realität und Kriegserfahrung, so ist auch ihr eine identitätsstiftende, mobilisierende Funktion zu unterstellen.

Die Transformationen der Nibelungenliedauslegung erörtert Peter Glasner insbesondere am Werk Johann August Zeunes (1778-1853). In den Wechsellagen der antinapoleonischen Kriege ist der Epos Motor für den Kampf, aber auch Erziehungs- und Erbauungslektüre für Nachkriegsvorstellungen, die in der widerspruchslosen Kulturidylle deutscher Sprachgemeinschaft münden. Solche Indienstnahme bleibt in der zeitgenössischen Rezeption nicht unwidersprochen, zeichnet aber die Richtung zukünftiger militaristischer Instrumentalisierung – „Siegfrieden“ und „Nibelungentreue“ – vor.

Auch in Flora und Fauna ist der Friedenstopos bildlich. Stefan Groß kennzeichnet exemplarisch an den Anlagen in Wörlitz und Weimar aufklärerisch inspirierte Gärten als Repräsentation von Frieden und Freiheit. Im umfriedeten, alle Gewalt ausschließenden Ort wird die Harmonie der Schöpfung als uneinholbares Ideal veranschaulicht. Das Gartenreich wird darüber hinaus zur kontemplativen Bildungsstätte, in der erfahrbar wird, dass ein gesellschaftlicher Frieden nur unter der Vorraussetzung individuellen Gemüt- und Seelenfriedens gewährleistbar ist. Die Variantenvielfalt des Tierfriedens zählt Martin Leutzsch auf. Das gelingende Miteinander von Mensch wie Tier wird einerseits als Repressionsfreiheit, Kulturation und Zähmung entworfen oder im Bild animalischer Solidarität utopisiert. Andererseits wird evolutionstheoretisch der Krieg als Normalzustand ausgerufen, was dem Rassismus Tür und Tor öffnet. Denn hier kann Frieden nur als Befriedung unter dem Paradigma der Beherrschung gedacht werden.

Den historischen Fokus des Bandes verlassend, problematisiert Peter van den Dungen die museale Darstellbarkeit des Friedens. Im 20. Jahrhundert fassbar werdend, haben Friedensmuseen im Gegensatz zum vielfach exponierten Krieg mit der Frage der Ausstellbarkeit zu ringen, wie sich in ihrer häufigen Bildleere zeigt. Um über den Antikriegstopos hinauszureichen, müssten neben der Ausstellung von mörderischem Gerät und Leidenszeugnissen Gegenbilder entworfen werden, deren visionärer Charakter vielleicht notwendig ist.

Die theoretisch anregendsten Beiträge stammen von Dierk Spreen und Albert Kümmel. Ersterer thematisiert das Soziale als Ort des Friedens und kritisiert den modernisierungstheoretischen Gesellschaftsbegriff, der Gewalt ausklammert und Frieden unter dem Stichwort „Zivilgesellschaft“ als wesenhaft anlegt. In einem solcherart normativ gefassten Begriff von Gesellschaft sind Friedensbilder funktionslos. Dieser entwicklungslogischen Vorstellung entgegen zeigt Spreen den Zusammenhang von Gesellschaftskonstitution und Gewalt beispielhaft in den Friedensbildern der politischen Romantik, namentlich anhand des Zeitschriftenprojekts Phöbus. In der Mobilisierung des Sozialen gegen die napoleonische Herrschaft wird Krieg zur Überwindung aller Antagonismen im Frieden, der hier idealiter als Versöhnung erscheint. Selbstredend ist das Modell einer sozialen Harmonie höchst problematisch. Es kann nämlich jederzeit Mobilisierungsmedium gegen einen außerhalb der Ordnung Stehenden sein, der als Feind auf Versöhnung nicht zu hoffen hat und mit allen Mitteln zu bekämpfen ist. Entkoppelt man hingegen den Friedensbegriff von jenem der Gesellschaft, lässt sich das Bild eines Friedens, der sein soll, als handlungsanleitendes Regulativ entwerfen, das zu fallspezifischen Entscheidungen befähigt.

Als eine mögliche Kulturtechnik der Konfliktbegegnung erörtert Kümmel in Auseinandersetzung mit dem Spiritualismus den Adorzismus. Im Gegensatz zum exklusiven Exorzismus sucht dieser nach Haltungen und Praxen, mit den fremden Geistern zu leben. Eine solche Strategie unterläuft die binäre Opposition von Freund und Feind. Weil sich Innen und Außen von Gesellschaft(en) angesichts ihrer Heterogenität nicht mehr klar trennen lassen, akzeptiert die adorzistische Haltung die Existenz inkommensurabler Positionen, statt diese in einem totalisierenden Zug zusammenzuführen. Kümmels ungewöhnlich anmutender Ansatz stellt den Adorzismus keineswegs als Allheilmittel vor. Er vermittelt vielmehr ein Gespür dafür, dass Medikationen der Konfliktbewältigung keine einseitigen sein dürfen, sondern sich diskursiv im Feld zwischen Akzeptanz und Verneinung zu bewegen haben, dass Spannungen auch auszuhalten sind und allenfalls situative Befriedungen als möglich erscheinen.

In einzelnen Beiträgen wäre eine zusammenfassende, synoptische Zuspitzung von Nutzen gewesen. Nichtsdestotrotz ist der Band eine ebenso materialreiche wie instruktive Sammlung detaillierter Studien. Er zeigt, dass Vorstellungen vom Frieden nur vor dem jeweiligen sozialen und geschichtlichen Hintergrund verständlich werden, und führt die Notwendigkeit über Negativbeschreibung hinausgehender Friedensbilder vor Augen. Frieden ist nicht als ewig zu denken, sondern als Prozess des fortwährenden Aushandelns von Konflikten. Mit dieser Einsicht wird die historische Dimension überstiegen: Dass weder das Ringen um den Frieden, noch das Nachdenken über seine Möglichkeiten abgeschlossen, sondern weiterhin aufgegeben ist und es die Leerstelle des Friedensbildes positiv zu füllen gilt.

Thomas Kater (Hrsg.): „Der Friede ist keine leere Idee …“- Bilder und Vorstellungen vom Frieden am Beginn der politischen Moderne
Klartext Verlag, Essen 2006
264 S. – 19,95 €

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