Jazzimprovisation unter Spannung

Stoerfall V gibt Konzert in Galerie KUB

Chromatisch schrauben sich Violine und Bass gemeinsam nach oben, um kurz darauf mit einem mal wieder hinter ihren tonalen Startpunkt zurückzufallen. Dieses sich in vier Tönen vollziehende und stetig wiederholende Motiv bildete gleichsam den Prolog des fast einstündigen Konzerts, in dem nicht verschiedene disparate Stücke einander folgten, sondern das kontinuierliche Spiel musikalischer Formen einen einzigen Bogen von Anfang bis Ende spannte.

Nach kurzer Zeit verselbstständigt sich das Motiv, läuft als life-sample des Violinisten Hansi Noack weiter, um aber wenige Sekunden später schon von den Beiträgen der zuvor unmerklich eingesetzten Mitspieler abgelöst zu werden. Flügelhorn und Violine treten in einen Dialog. Der von den anderen Musikern gelegte klangliche Hintergrund drängt aber schon bald mehr und mehr in den Vordergrund, so dass erst gar keine starre Verteilung von Rollen aufkommen kann. Man merkt: Hier befindet sich alles im Fluss und dieser schwillt zunehmend an, entlädt seine Kraft oft brachial, um daraufhin wieder beruhigt abzuklingen.

Der aufmerksame Zuhörer erkannte jedoch trotz aller Spontaneität und Ungebundenheit des Musizierens ein dem ganzen Konzert zugrunde liegendes Prinzip: Während eine Gruppe mit der Verdichtung und Steigerung des Gegenwärtigen im Vordergrund agierte und so die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, bereiteten die übrigen gleichsam im Verborgenen etwas Neues vor, das immer erst durch die allmähliche Auflösung des aktuellen Vordergrunds hörbar wurde. Scharfe Brüche wurden von den fünf Musikern konsequent vermieden.

Die einander ablösenden Formen wurden hierbei besonders durch die klaren rhythmisch-stilistischen Vorgaben des Schlagzeugers Uli Raupach bestimmt. Dieser wanderte ausgehend von progressiven Rockrhythmen durch verschiedenste Stilistiken: Drum ’n Bass, ternäre Grooves und eine eher an den Bossa Nova angelehnte Passage lösten einander großflächig ab und trugen so ganz wesentlich zur globalen Strukturierung des gesamten Konzerts bei. Zwar fanden sich auch vereinzelt tonale Fixpunkte; sie vermochten jedoch keine größeren Strukturen zu schaffen und besaßen so zumeist nur lokale Relevanz. Dies mochte vielleicht auch daran liegen, dass bedauerlicherweise die Gesamtdynamik allzu oft den akustischen Zugriff auf Bassist Ralf Eckhardt für den Zuhörer verstellte. In leiseren Momenten ließen sich aber neben dem souveränen Zusammenspiel beider Rhythmiker bei Eckhardt überdies klare melodische Motive erkennen, die von ihm dann diszipliniert variiert und weiterentwickelt wurden.

In Sachen Interaktion tat sich über den ganzen Abend besonders der Flügelhornist Bert Stephan hervor, der sich unabhängig aller elektronischen Verfremdungen seines Instruments souverän sowohl in stilistische Vorgaben einfügte, als auch rhythmisch und melodisch auf Einwürfe seiner Mitspieler reagierte. Besonders in der eben erwähnten Passage, die rhythmisch an einen Bossa Nova erinnerte: Vor dem klanglichen Hintergrund aus einer minimalistischen Bassfigur, dem schmalen binären Groove und einem subtilen elektronischen Grollen setzt Stephan, von dem man noch ein paar Sekunden zuvor weinerlich verzerrte Töne vernommen hatte, ein – jetzt mit völliger Gelassenheit und dem warmen natürlichen Ton seines Instruments; alles passt zu den hier disziplinierten und zurückgenommenen Vorgaben seiner Mitspieler. Die Intensität und Dynamik nimmt wieder stetig zu und Stephan übernimmt während dieser Verdichtung lange Töne Hansi Noacks ebenso wie rhythmisch die in Dreiergruppen platzierten Akzente der akkordischen Einwürfe von Pianistin Simone Weißenfels.

Obwohl alle fünf Musiker letztlich vollkommen gleichberechtigt agierten, spielte sich der Violinist Hansi Noack eher selten in den Vordergrund und nahm sich über einzelne Passagen kultiviert auch ganz zurück. Selten ließ sich sein Instrument klanglich identifizieren; ob gestrichen, pizzicato oder mit dem Bogen geschlagen – die Violine ertönte meist verzerrt oder anderweitig elektronisch verfremdet. Der musikalische Effekt waren hauptsächlich akustische Rosetten, die von einzelnen via Lautstärkepedal eingeblendeten Tönen bis zu rein geräuschhaften life-samples reichten.

In gewissem Sinne ähnlich nahm sich das Agieren Simone Weißenfels‘ aus, insoweit auch sie sich oft ganz zurücknahm, um den anderen spielerischen Raum zu lassen. Im Gegensatz zu Hansi Noack war ihr von allen elektronischen Effekten freies Klavierspiel dann aber in der musikalischen Szenerie schnell bestimmend. Nicht nur machte sie oft rhythmisch neue Ebenen auf, so dass sich im Zusammenspiel mit Uli Raupach kleinere polyrhythmische Strukturen ergaben. Tonal und melodisch bediente sie sowohl mit dezent perlenden Figuren in den oberen Oktaven wie auch durch ein sich schnell in den Vordergrund drängendes Spiel, das zwischen schnellen ungebundenen Läufen und percussiven Ausbrüchen in Clusters hin und her sprang.

Das Konzert endet in einem sample aus Uli Raupachs Drum-Computer, über das Hansi Noack vereinzelt mit seinem Bogen auf den Seiten der verzerrten Violine kratzt. Insgesamt war über weite Strecken des Abends ein sehr homogenes Zusammenspiel aller Musiker zu hören. Allein zum Ende hin konnte der Eindruck kommen, dass das musikalische Gesamtgebilde etwas orientierungslos umhermanövrierte, was gerade dem Abschluss des Konzerts leider einen schalen Beigeschmack verlieh. Dessen ungeachtet handelte es sich alles in allem um ein solides Konzert von fünf gut aufeinander eingespielten Leipziger Musikern. Auch jenseits der hiesigen Hochschulszene finden sich also Formationen, die hörenswert moderne freie Jazzmusik kultivieren.

STOERFALL V

Elektrifizierte Violine: Hansi Noack
Elektrifiziertes Flügelhorn: Bert Stephan
E-Piano Simone Weißenfels
E-Bass: Ralf Eckhardt
elektrifiziertes Schlagzeug: Uli Raupach

31. Januar 2009, Galerie KUB

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