Die neue Nähe des Argentinischen Films

3. Argentinische Filmtage – Rückblick und Fazit

Zehn Tage Kino, über 3000 Besucher, 27 Spiel-, zehn Dokumentar- und 37 Kurzfilme – das sind in aller Kürze die nackten Zahlen der 3. Argentinischen Filmtage, die vom 30. Januar bis 7. Februar 2009 die Kinosäle in naTo, Schaubühne Lindenfels, Cineding, Moritzbastei und Tangomanie füllten. Damit hat sich rein quantitiv das Festival noch einmal gesteigert, ist aber auch an die Grenzen seiner haushalterischen Darstellbarkeit, wie es im Bürokratiedeutsch so schön heißt, gelangt. „Für nächstes Jahr brauchen wir auf jeden Fall eine kleine, aber wichtige Förderung, sonst wird es schwierig“, fasst Diego Serra vom Sudaca e.V., der das Festival seit drei Jahren in Kooperatoin mit dem argentinischen Instituto Nacional del Cine y Artes Audiovisuales (INCAA) organisiert, die Situation zusammen. Doch vor dem Gang in die Zukunft ist es Zeit zurückzublicken und ein Fazit zu ziehen, von dem was da Besonderes im Wettbewerb des Filmfestes zu sehen war.

Am unteren Ende der Skala: Incómodos und Las hermanas L.

Es waren Filmtage, die sich in der Wettbewerbssektion keinen Ausreißer nach unten leisteten. Selbst schwächere Filme fielen nicht allzu unangenehm auf. So etablierte selbst der etwas langatmig geratene Incómodos (Unbequem) von Esteban Menís eine eigene Würde der Figuren, die in ihrer Einsamkeit zwar zusammen sein können, aber jenseits jeglicher Beziehung. Die Tragik lag so weniger in den gezeigten Personen, sondern schlichtweg in den Umständen einer Zeit begründet, die solche Irrungen möglich macht. Ebenso eher auf dem unteren Teil der Skala angesiedelt war der die frühen Almodovár-Filme erinnernde Las hermanas L. (Die Schwestern L.), in dem ein Haufen mehr oder weniger exzentrischer Menschen sich durch die urbanen Tücken des Sex-, Liebes- und Familienlebens schlägt. Mit Santiago Giralt, Eva Bär, Alejandro Montiel und Diego Schipani waren hier gleich vier KöchInnen am Werk und sie werden sicher viel Spaß gehabt haben bei der Erstellung des Drehbuchs und dem burlesken Weiterentwickeln von Geschichten wie Nachhilfelehrerin verführt Schüler, was seine lichtallergische Mutter freut, die befürchtet ihr Sohnemännchen wäre schwul. Zugleich spannt die Schwester der Lehrerin der ihren Mann aus, nachdem sie fast transsexuell-lesbisch vergewaltigt wurde. Ein flacher, aber unterhaltsamer Spaß, der auch durch den Einsatz von Handkameras nichts an künstlerischer Tiefe gewinnt.

Wobei Handkamera ein gutes Stichwort ist. Denn sie ist wohl das Merkmal dieses Festivals, gepaart mit einem starken Interesse an der Nähe der Kamera zu den gezeigten Menschen. Die Demokratisierung der filmischen Produktionsmittel hat mit dem Einzug des Digitalen vermutlich ihren Höhepunkt erreicht. Nie war es einfacher mit kleinem Budget, digitaler Handkamera und minimalem Lichtdesign in qualitativ hochwertigen Bildern zu drehen. Und der argentinische Filmnachwuchs macht reichlich Gebrauch davon. Es wackelt und ruckelt an allen Ecken und die unmittelbare Nähe ist die beliebteste Einstellung. So gelingen pseudo-dokumentarische Werke, die sich ganz auf die SchauspielerInnen konzentrieren können und das kunstvoll gesetzte Bild nur noch in ausgewählten Momenten zusammenbauen.

Die besten sterben jung: Rodney

So zu besichtigen in Rodney, einem Streifen um eine kleine Bar und eine Gruppe zwielichtiger Gestalten und gesellschaftlicher Underdogs, die alle irgendwie miteinander verwandt sind und an Drogen, Schulden oder ihrer täglichen Portion Kleinkriminalität zugrunde gehen. Abstandslos hält Diego Rafecas die Kamera auf das Schicksal seiner zahlreichen ProtagonistInnen, die mehrfach umschlungen ineinader verwickelt sind. Einzige Konstante in diesem Leben ist die ferne Mutter und Ex-Geliebte, die sich aber, selbst in Saus und Braus lebend, einen feuchten Kehricht um ihre, nun ja Familienbestandteile schert. Rock’n’Roll rules und nur die Besten sterben jung.

Die Gewinnerfilme im Wettbewerb: Leonera, Lluvia, El Frasco

Dennoch ertrank der Wettbewerb nicht in sozialen Schieflagen. Zwar näherte sich Pablo Traperos Siegerfilm (Jury- und Publikumspreis) Leonera (Löwenkäfig) ebenfalls einem sehr heiklen Thema, nämlich straffälligen Frauen mit Kindern im Gefängnis, und mit Lluvia (Regen) von Paula Hernández stand eine weitere enge urbane Geschichte auf dem Programm, aber die Festivalplaner waren schlau genug, auch noch andere Akzente zu setzten. El Frasco war einer dieser ganz hellen Momente, indem mit viel Liebe zu den Figuren und dem Medium Film eine durchaus banale Geschichte ganz wunderbar erzählt wird.

Klassisches Kino: La Cámara Oscura

Ganz großes und von der Jury mit dem dritten Preis bedachtes Kino gab es dann zum Abschluss mit María Victoria Menís‘ La Cámara Oscura. In klassischen Einstellungen und mit viel Liebe zum historischen Detail erzählt sie die Geschichte von Gertrudis in einer Kolonie jüdischer Einwanderer gegen Anfang des 20. Jahrhunderts. Von ihrer Mutter verachtet, führt sie ein tristes, glückloses Leben als ewiges Mauerblümchen. Auch ihre Ehe mit einem erfolgreichen jüdischen Landwirt kann sie nicht recht froh machen, denn ihr Geist strebt nach Poesie und ganz anderen Aufmerksamkeiten als das triste Landleben ihr bieten kann. Erst das Auftauchen eines surrealistischen Fotografen, der ihre Neigungen entdeckt, lässt in ihr neue Ideen reifen. Menís erzählt diese Geschichte klassischer als jeder andere Film des Festivals. Es ist großes, unprätentioses Kino, da auch sie sich auf die Darsteller konzentriert, gleich wohl die üppige detailverliebte Ausstattung und einige den Surrealismus aufgreifende Animationsszenen verraten, das noch ganz anderes, zumindest vom Budget her, möglich gewesen wäre. Obwohl nicht mit der Handkamera arbeitend, nähert sie sich doch dem großen Thema, das dieses Festival wie ein roter Faden durchzogen hat: dem Schweigen.

Schweigen als filmische Sprache

Es ist dieses Nicht-Sprechen-Können, das viele der Filme vereint. Nur in El Frasco wird das Schweigen schlussendlich gebrochen und der ansonsten im Drama übliche Fluss der Gesprächstherapie entsteht. In Argentinien sind Freud und seine Methoden der Psychoanalyse nach wie vor äußerst populär, doch wirkt es so, dass die junge Generation von Filmemachern ihnen nicht mehr traut. Jeder schnürt hier sein eigenes Bündel und trägt es über den Film hinaus. Die Lösung, so scheint es, liegt nicht im Sprechen, sondern sie ist schlichtweg nicht vorhanden. In dieser verkaterten Welt ist jeder für sich und vor allem allein. Melancholie bricht sich Bahn angesichts der vielfältigen, aber zugleich sinnfreien Möglichkeiten der Postmoderne. Vom Leben erfährt man oft nur wenig, vielmehr geht es um den Tango mit Gevatter Zeit. Glücklich ist irgendwie anders, aber schön war das Festival gerade deshalb.(Torben Ibs)

Preise der Jury:
1. Leonera, Pablo Trapero, ARG/KOR/BRA, 2008
2. Lluvia, Paula Hernández, ARG, 2008
3. La cámara oscura, María Victoria Ménis, ARG/FR, 2007

Preise des Publikums:
1. Leonera, Pablo Trapero, ARG/KOR/BRA, 2008
2. El Frasco, Alberto Lecchi, ARG/SPA, 2008
3. Lluvia, Paula Hernández, ARG, 2008

Jury:
Matthias Meinhardt (Kinowelt)
Jörn Seidel (KREUZER)
Antje Stamer (Medienboard Berlin-Brandenburg, Auswahlkommission DOK Leipzig 2008)



3. Argentinischen Filmtage 2009

30. Januar bis 7. Februar 2009, wechselnde Orte

www.argentinische-filmtage.de

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.