Der Siegerfilm über eine Verliererin

Argentinische Filmtage die Zweite: „Leonera“

Jury wie Publikum waren sich letzten Endes einig. Leonera (Löwenkönig) von Pablo Trapero ist der große Gewinner der 3. Argentinische Filmtage von Leipzig. Der Film erzählt die Geschichte der 26jährigen Julia (Martina Gusman). Unter Mordverdacht stehend kommt die werdende Mutter in die Müttersektion eines argentinischen Gefängnisses, wo auch ihr Sohn Tomás zur Welt kommt und seine ersten Jahre verlebt.

Regisseur Trapero erzählt die Geschichte seiner Protagonistin mit einem gehörigen Maß distanzierter Nähe und liefert gleichzeitig höchste Eindringlichkeit bei der Beschreibung des sozialen Mikrokosmos Gefängnis. Ständig sich öffnende und schließende Türen, die Tristesse der heruntergekommen Gebäude und das stets etwas dreckige Umfeld lassen keinen Zweifel an der festen Umschließung dieses Raums, eine Umschließung, die nicht nur Geist, sondern auch Seele erfasst. Und in dieser fast schon unwirklichen Trostlosigkeit leben Kinder bei ihren Müttern und haben ein halbwegs normales Leben inklusive Kindergarten und Geburtstagsfeiern. Die Frauen im Muttertrakt, der als Löwinnenkäfig den zentralen Fokus des Films darstellt, bilden eine verschworene, wenn auch mitunter äußerst zickige Gemeinschaft auf Zeit, denn letztendlich hat es niemand vor sich dort für immer einzurichten. Es ist eine emotionale Zweckgemeinschaft, auch wenn sich zwischen Julia und Marta (Laura García), einer der Insassinnen, mehr entspinnt als nur eine Freundschaft.

Dieser Film fügt sich auf mindestens zwei Weisen sehr gut in die allgemeinen Tendenzen des Festivals ein. Auch Trapero legt großen Wert auf Handkamera und auf eine scheinbare Authentizität von Figuren, Orten und Handlungen. Akribisch realistisch formuliert er den Alltag seiner mannigfaltigen Personen und hat doch immer seine Protagonistin Maria im Blick, die er über einen langen Zeitraum begleitet, ohne aber ins Episodische zu verfallen. Dennoch entreißt er ihr nicht ihre Geheimnisse. Bis zum Ende ist unklar, ob sie zu Unrecht verurteilt wurde oder ihr Ex-Freund ihren Liebhaber getötet hat. Auch die Beziehung zu ihrem Sohn entwickelt sich sprunghaft, der Zuschauer erfährt nur soviel, wie vielleicht auch ihre Mitinsassinnen oder Wärterinnen erfahren hätten. Ihren inneren Kern behält sie für sich durch konstantes Schweigen an den relevanten Stellen, das sich wie ein roter Faden auch durch andere Filme des Festivals zieht.

Bei alldem vergisst Trapero aber nicht einen, oder genauer zwei, miteinander verknüpfte rote Fäden einzubauen. Zum einen ist da der ungelöste Mord, der zwischen ihr, ihrem Ex-Freund und dem Rest der Welt steht. Trapero geht es nicht um die Suche nach Wahrheit oder einfacher Aufklärung. Diese wird eher als handelbares Gut verstanden, denn einer muss für den Tod büßen, die Frage lautet er oder sie. Als das aber geklärt ist und das Pendel zu ihren Ungunsten ausgeschlagen hat, schiebt sich eine zweite Konfliktlinie ins Bild, welche die strafjuristische ablöst. Julias Mutter setzt sich mehr und mehr in Szene und ihre gewollte Beziehung zu ihrem Enkel mit ebenso juristischen Folgen löst die Querelen um den Mord ab. So umkreist Trapero die junge Mutter und ihre Psyche und das System Gefängnis bis es zum großen Finale kommt. Ein soziologisch wie psychologisch meisterhaft erzähltes Stück Filmkunst, das es Wert ist ein größeres Publikum zu bekommen.

Leonera

R: Pablo Trapero
D: Martina Gusman, Elli Medeiros, Rodrigo Santoro
A 2008 – 113 min.

www.argentinische-filmtage.de

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