Von Verstummten, Lehrerinnnen und dem Verhängnis einer Urinprobe

Argentinische Filmtage die Dritte: „El Frasco“

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“ Meistens beginnt das große Verhängnis mit ganz kleinen Dingen. Wie bei Pérez (Darío Grandinetti), der von allen nur el mudo (der Stumme) genannt wird und bei dieser Frage vor Schreck seine Thermoskanne fallen lässt, deren Innenfassung aus Glas natürlich zerbricht. Die Fragende ist die Lehrerin Romina (Leticia Bredice), die in einem Wohnwagen am Stadtrand lebt und jemanden braucht, der ihre gut verpackte Urinprobe ins Labor bringt. Busfahrer Pérez willigt in den Wunsch der schönen, jungen Frau ein und verspricht das Päckchen abzuliefern. Was natürlich, wie es sich für eine gut gemachte Road-Komödie gehört, nicht ganz so einfach ist.

Alberto Lecchi malt in El Frasco (Das Fläschchen) filmisch und humorvoll das Bild eines etwas eigenartigen Mannes. Der Film, der den zweiten Platz im Publikumswettbewerb gemacht hat, zeigt Darío Grandinetti als einen Perez, der, irgendwo zwischen entrückt und traumatisiert, sein Leben als Busfahrer ableistet, was vor allen Dingen deshalb gelingt, weil es ausschließlich aus einfachen Routinen besteht. Die Abwechslung, das Neue, das dieser kleine Auftrag ihm beschert, bringt bereits sein festes Gefüge an die Grenzen der Belastbarkeit. Offensichtlich unfähig zum Kontakt mit anderen, vermeidet er diesen, wo es geht, doch das gestaltet sich mehr und mehr schwieriger und auch das Beschweigen führt letztendlich in eine Art Katastrophe, die aber zu einer persönlichen Katharsis wird. Das große Paradigma der Psychoanalyse, dass Reden helfe, ist hier noch intakt (vergleiche Lluvía).

Aber es ist nicht diese doch sehr häufig gesehene Fabel, die den Film so sehenswert macht, es sind die filmisch sehr genau und wunderschön genutzten Elemente. Das Schwere kommt leicht daher, immer mit einem Schmunzeln, das aber niemals denunziert. In den Bildern eines Panoramas, die durch ihre ständigen Variationen nur noch großartiger werden, komponiert Lecchi diese Geschichte eines Einsiedlers. Die ständig gleiche Busroute führt nicht nur zu subtilen Running Gags, sondern ist zugleich das psychische Abbild des Fahrers. Dabei benutzt er kräftige Farben, die sicher auch schon mal einen Computer von innen gesehen haben. Der Film findet so schnell seinen Rhythmus und sein Tempo, das quasi den Kontraktpunkt zum Verhalten des stummen Busfahrers darstellt.

Natürlich geht am Ende nach der Katharsis alles gut, denn nicht nur Pérez trägt eine unbewältigte Lebensgeschichte mit sich herum und so muss er sich im neuen, roten Pickup nicht alleine von seinem Dorf verabschieden. Ab in den Sonnenuntergang, der wieder einmal sehr farbig daherkommt.

El Frasco

R: Alberto Lecchi
D: Leticia Bredice, Dario Grandinetti, Martín Piroyansky
Argentinien 2008 – 93 min.

www.argentinische-filmtage.de

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