Eine Erfolgsstory

Wunschkonzert: 20 Jahre Wien Modern


Der Erfolg von WIEN MODERN ruht auf mehreren Säulen. 1987 wurde Claudio Abbado Generalmusikdirektor der Stadt Wien, nun hatte er für seine Idee eines Festivals mit Musik des 20. Jahrhunderts ein perfektes Instrumentarium: Wiener Konzerthaus, Musikverein, außerdem die Wiener Staatsoper, deren Musikdirektor er seit 1984 auch schon war. Die heute mittlerweile fast zwanzig Spielstätten sind etablierte und präsente Orte im Stadtbild, das Publikum ist zahlreich und alle Generationen sind vertreten.

Eine weitere, vielleicht die wichtigste Säule ist die Präsenz der jeweiligen Komponisten in den Konzerten und die Kontinuität in der Zusammenarbeit mit den ambitioniertesten Musikern und Ensembles für Neue Musik. Das Arditti Quartett ist dafür wohl das prominenteste Beispiel, es ist seit 1998 regelmäßig dabei. Im Wunsch- und Jubiläumskonzert am 29. Oktober 2008 meldet sich zudem eine stattliche Anzahl von Personen auf die Frage: „War denn jemand vor zwanzig Jahren beim ersten Konzert des Arditti Quartetts bei WIEN MODERN dabei ?“. Das WIEN MODERN Team hat sich für dieses Konzert mit dem Quartett auf ein ungewöhnliches, für zeitgenössische Musik wohl einzigartiges Experiment eingelassen: Knapp zwei Dutzend Werke, welche in den letzten zwei Jahrzehnten bei WIEN MODERN vom Arditti Quartett gespielt wurden, hat man ausgewählt, per Akklamation, wie man hier so schön sagt, stellen sich die Zuhörer ihr Programm selbst zusammen. Schmunzelnd tragen die vier Musiker den beträchtlichen Stapel Quartettliteratur auf die Bühne. Auch eine Säule von WIEN MODERN ist der Fokus auf österreichische Komponisten, so hat man den Beginn des Konzertes auch vorbestimmt. Friedrich Cerhas 2. Streichquartett von 1990 steht am Anfang des Abends. Ein Stück das sich langsam einschwingt, wie gemacht für den Beginn, gemächlich können sich die Poren öffnen. Langsam wird aus den anfänglichen Geräuschen ein fühlbarer Klang. Messerscharfe repetive Strukturen, die in ein kontemplatives Atmen übergehen, stehen am Ende des sehr konzentrierten Stückes.

Danach wird es spannend, mittels roten Karten wird über die zur Verfügung stehende weitere Literatur abgestimmt. Giacinto Scelsi, Morton Feldman, Olga Neuwirth, Iannis Xenakis, György Kurtág und Witold Litoslawski sind schließlich die Gewinner. Thomas Schäfer moderiert nicht ganz unparteiisch; er kommuniziert zum Teil sehr deutlich, welche Stücke eigentlich wieder mal dran wären. Meist lässt sich das Publikum aber davon nicht beeindrucken und stellt eine erstaunlich prominente Liste Quartettliteratur zusammen. Die geheimnisvolle Musik Giacinto Scelsis hat es schwer im riesigen Großen Saal des Musikvereins. Morton Feldmans Quartett Structures for String von 1952 überrascht mit melodischen Farben, lange Pausen schaffen Raum für die phantasievollen Klangideen des Stückes. Dramaturgisch sehr schön jetzt die Temposteigerung in Olga Neuwirths settori. Klirrende Strukturen, rhythmisches Klopfen – der immanente Drive versetzt die Musiker körperlich in Bewegungen. Dann ein Extrem der Quartettliteratur: Xenakis‘ Tetras. Es gibt keinerlei polyphonen Entwicklungen, das Stück ist in klar abgegrenzte Statements zerlegt. Die Kontraste sind groß und bauen riesige Spannungsbögen auf. Nach dem sirenenhaften, fast kreischenden Beginn lösen sich immer mal wieder assoziative Fetzen aus dem Glissando-Dickicht. Linien werden leicht verschoben. Brachial gestrichen entstehen rhythmische Attacken gegen zarte auf- und abwärtslaufende Linien. Nach der Pause dann noch Kurtág und Litoslawski, ein schöner Kontrast zwischen der fragmentarischen Herangehensweise Kurtágs und dem eher auskomponierten Ansatz Witold Litoslawskis. Das Experiment Wunschkonzert sollte man in jedem Fall nicht zu den Akten legen, durch die Beteiligung des Publikums wurde viel Distanz abgebaut und die erläuternden Worte auf dem Podium waren ganz selbstverständlich und völlig unakademisch!

Eine noch ganz junge, erst fünf Jahre alte Säule bei WIEN MODERN heißt Dschungel Wien und bedeutet ein Programm für Kinder und Jugendliche im Wiener Museumsquartier. Das Stück AL di LA ist ein Tanztheater mit Objekten, das Laurent Dupont vor allem für die ganz jungen ZuschauerInnen konzipiert hat. AL und LA, ein Mann und eine Frau, er blau und sie rot. Beide sind neugierig, manchmal haben sie Angst, sie sind vorsichtig, weichen einander aus, finden sich wieder, flüchten, kommen zurück – am Ende spielen sie zusammen. Eine einfache schwarze Bühne, weiße transluzente Kulissen in Verbindung mit ein paar Gegenständen reichen aus, die vielen zum großen Teil noch sehr kleinen Kindern zu fesseln. Am Ende dürfen sie selbst auf die Bühne und ordentlich die weißen Kulissen bemalen. Licht und Schatten, ein paar Klänge, aber viel Bewegung – was die Kinder zu sehen haben, erscheint manchem Erwachsenen zu wenig, die Kinder aber strahlen und das ist wohl der beste Applaus für die beiden Tänzer Flavia Bussolotto und Maro Tizianel.

Das Konzert des Radiosinfonieorchesters Wien im Musikverein stellt dann nochmal in reizvoller Weise den konzeptionellen Ansatz des Festivals heraus. Erstklassischste Ensembles werden von ausgesuchten Kennern Neuer Musik geführt. Emilio Pomárico am Pult des Radiosinfonieorchesters Wien beleuchtet verschiedenste konzeptionelle und geografische Ansätze. Salvatore Sciarrinos Stück erzeugt eine sehr konzentrierte Atmosphäre, fast dreißig Minuten kommt er ohne Orchestertuttis aus, die Spannung entsteht durch eine eigenartige Verschränkung der Sprechstimme mit dem Orchesterklang. In sehr ruhigen Stellen lösen sich zarte Linien im Blech, perkussive Aktionen bringen reizvolle Brechungen. Beat Furrers Konzert für Klavier und Orchester ist im Kontrast dazu ein physisch sehr intensives Stück. Aktionen türmen sich aufeinander, besonders effektvoll dabei die Tuttis in tiefem Blech. Emilio Pomárico ist auch im zweiten Stück die gestaltende Kraft, das fast mechanisch bearbeitete Klavier verwebt er transparent mit dem irrlichternden Blech des Orchesters. Die zum Teil fast akrobatischen Aktionen des Pianisten verdichten und beschleunigen sich bis zum abrupten Schluss. Hugues Dufourt energiegeladenes Stück über ein Pollock-Bild steht am Ende des Konzertes. Die materiellen Eigenschaften des Bildes, seine Farbflächen, Tropfspuren, das schillernde Materialgefüge haben Hugues Dufourt zu einem gewaltigen Klangapparat inspiriert. Die ersten älteren Zuhörer verlassen nach wenigen Minuten fluchtartig den Saal. Die anfängliche physische Wucht des Stückes lässt der weiteren dramaturgischen Entwicklung leider wenig Raum, das fortwährende Auf- und Ab der gewaltigen Aktionen führt leider in eine zum Teil ermüdende Monotonie. Trotzdem: Am Ende viel Applaus im Großen Saal des Wiener Musikvereins.

WIEN MODERN 2008
Arditti Quartett Wunschkonzert

29. Oktober 2008, Wiener Konzerthaus, Mozart Saal

Dschungel Wien im Museumsquartier

Dschungel Wien Modern Al di La
Tam Teatromusica (I)
Konzept & Regie: Laurent Dupont
Performance: Flavia Bussolotto & Maro Tizianel

31. Oktober 2008

RSO Wien

Salvatore Sciarrino: Morte di Borromini (1988)
Beat Furrer: Konzert für Klavier und Orchester (2007)
Hugues Dufourt: Lucifer d’apr?s Pollock (1992-2000)
Bariton: Otto Katzameier
Klavier: Nicolas Hodges
Dirigent: Emilio Pomárico

31. Oktober 2008, Musikverein Wien, Großer Saal



Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.