Bekenntnis zur Melodie

„From a Dream“: Das neue Album von Muthspiel, Grigoryan und Towners

Ensembles, in denen alle Musiker ein und dieselbe Art von Instrument spielen, bringt man in der zeitgenössischen Musik schnell ein gewisses Misstrauen entgegen: Zu beschränkt scheinen hier die klanglichen und spielerischen Möglichkeiten, zu sehr droht das Ganze den instrumentspezifischen Klischees anheim zu fallen. Dass aber die Beschränkung auf eine Art von Instrument nicht automatisch musikalisches Einerlei, Instrumentspezifik nicht Stereotypie bedeuten muss, lässt gerade eine Widerlegung solchen Misstrauens zu. Exemplarisch findet sich diese im soeben erschienenen Album From a Dream der Formation MGT.

Ein Unbefangenes, unmittelbares Bekenntnis zur Melodie als solcher

Keine jahrelange Zusammenarbeit verbindet das Ensemble, sondern die drei Gitarristen spielen hier einmalig und in dieser Hinsicht auch unbefangen zusammen. Das musikalische Endprodukt ist dementsprechend deutlich von den verschiedenen Eigenarten der Musiker geprägt. Nicht ein eingeschliffener Gesamtduktus durchzieht die Stücke, sondern Vielfalt und gegenseitiges Ergänzen. Das zeigt sich auf verschiedenen Ebenen: in den Kompositionen als Ganzen ebenso wie in den einzelnen Improvisationen und jeweiligen Beiträgen innerhalb der Titel. Zwar wird im Album auf den „classical background of all three“ hingewiesen. Dieser ist aber weder in einer gleichartigen Tongebung spürbar, noch im jeweils verwendeten tonalen und melodischen Material. Das allen drei gemeinsame „Klassische“ ist vielmehr das durch alle Stücke fast allgegenwärtig hörbare Bekenntnis zur Melodie als solcher und der mit ihr verbundenen Unmittelbarkeit.

Anleitung zum schlichten Träumen voller Tiefe

Dass sich Virtuosität und Komplexität hier nur in nachgeordneter Weise finden, sich nicht in den Vordergrund drängen, ist gerade diesem Grundzug geschuldet. Im Titelstück From a Dream, welches gänzlich ohne Improvisation auszukommen scheint, wird das dennoch in paradigmatischer Weise deutlich. Melodisch dominiert ein schlichtes Thema: Das zentrale Motiv bilden zwei Auftaktachtel auf ihren Zielpunkt hin. Dieses Motiv wird in immer größeren Bögen und dabei stets zielbewusst weiterentwickelt und vermittelt so dem gesamten Stück einen intuitiven Fluss, während die Begleitung unter ständiger Zurückhaltung eher contraintuitiv zwischen Schwerpunkten in Dreier-, Vierer- und Fünfergruppen wechselt. Diese Komplexität untersteht aber vollständig der melodischen Idee, unterstützt sie durch gemeinsame Betonung von Zählzeiten, oder reichert sie an, ohne selbst jedoch vordergründig zu werden. Das Verhältnis der Begleitung zur Melodie in diesem Stück wird über weite Strecken auch durch die unterschiedliche Tongebung unterstützt: Während Grigoryan der Melodie mit seinem Anschlag einen warmen Ton verleiht, der durch nur leichtes Vibrato immer seine Klarheit behält, dämpft Towner die immer zwischen Basston und Akkord wechselnde Begleitung stark ab. Nur während des Mittelteils des Stückes gleichen sich die Stellungen beider Gitarren einander an.

Wie dieses Stück, so stammt über die Hälfte aller Titel aus der Feder Ralph Towners. In Hinblick auf die kompositorischen Elemente ist dies auch ohne weiteres herauszuhören; Towners Titel wirken so unmittelbar vor allem durch ihre jeweils klaren und eingängigen melodischen Strukturen. Neben From a Dream ist das beispielsweise gut hörbar bei Stücken wie In Stride, das sich melodisch wie harmonisch fast ausschließlich in einer einfachen Dur-Kadenz bewegt, und Icarus, dessen melodische Idee sich eines tongeschlechtlich offenen Sus-Akkords bedient. Muthspiel und Grigoryan arbeiten diese kompositorischen Vorgaben durch ihre Beiträge meist nur noch aus. Besonders Wolfgang Muthspiel beweist hierbei große Einfühlungsfähigkeit und eine adäquate Umsetzung – sei es durch eine Dopplung der Melodie zwischen klassischer und elektrischer Gitarre, die sich durch ihren unterschiedlichen Charakter im Ton gegenseitig klanglich erweitern und dem Ganzen mehr Fülle geben, sei es durch die zusätzliche Ausgestaltungen in Form von eingeblendeten akkordischen Flächen, Nebenmelodien oder oktavierten Bassläufen.

Melodische Motive im Wechselspiel

Auf Seiten der Improvisation erfüllt sich die bisher im Rahmen der kompositorischen Momente aufgezeigte Grundtendenz durch die verstärkte Arbeit mit Motiven. Kaum wird hier technische Virtuosität bezugslos in den Vordergrund gestellt, nur selten verliert das Improvisierte wirklich die Beziehung zum kompositorischen Rahmen. Selbst bei schnellen Titeln wie Towners Tammuriata bleiben lange Läufe nur lokale Gestaltungsmittel der Improvisation; alle drei Spieler arbeiten hier jeweils mit melodischen Motiven, die sie in Wechselwirkung mit ihren jeweiligen Begleitern weiterentwickeln. Die seltenen Momente, in denen der Rahmen einmal tonal oder stilistisch verlassen wird, bereiten selbst nur die Akzentuierung der darauf folgenden Stelle des kompositorischen Rahmens vor, indem die so aufgebaute Spannung wieder aufgelöst wird. Dadurch verlieren die Improvisationen aber nicht etwa an Bedeutung oder Freiheit, vielmehr gestalten sie homogen das Vorgegebene in ihrer eigentümlichen Weise weiter aus, ohne dabei die Einheit des ganzen Stücks aufzugeben.

Dieser sonst diszipliniert durchgehaltene Bezug der improvisatorischen Teile zum kompositorischen Rahmen zeigt sich in seiner losesten Form nur einmal – in Wolfgang Muthspiels Komposition Eos. Zwar bleibt im Hintergrund der Improvisation hörbar ein tonaler Fixpunkt. (Ein Groove auf dem jeweiligen abgedämpften Grundton ist übrigens ein Stilmittel, das an vielen Stellen des Albums zu finden ist.) Alles jedoch, was sich um diesen herum aufbaut, hat eher einen klanglichen, geräuschhaften Charakter; neben Vierteltonreibungen, percussiv genutzten Bässen dominieren klangliche Verfremdungen der Instrumente und prägen so den improvisierten Mittelteil des Stückes. Zwar sind die Übergänge zwischen Improvisation und Komponiertem hier keineswegs bruchhaft, doch fehlt gerade das, was alle anderen Stücke dieses Albums so stark macht: die musikalische Einheit unter der jeweiligen melodischen Idee. Improvisation und Komposition haben hier das einzige Mal fast keinen anderen Bezug zu einander, als dass sie neben der schmalen tonalen Kontinuität glatt in einander übergehen. Was fehlt ist die Einheit des musikalischen Ausdrucks.

Dieses einzelne Manko kann aber die Güte der gesamten Aufnahme nicht trüben. Den Zuhörer erwartet hier ein Album, das gerade wegen seiner vordergründigen Schlichtheit und Unmittelbarkeit voll musikalischem Tiefgang ist. Damit wird auch jede rein instrumentspezifische Attraktivität gesprengt. Nicht nur bestätigt sich das anfangs erwähnte Misstrauen nicht; der Umstand, dass nur Gitarren hier miteinander musizieren, erweist sich sogar eher als unwesentlich. Im Vordergrund steht Musik in ihrer Unmittelbarkeit.

Muthspiel, Grigoryan, Towner (MGT): „From a Dream“

Wolfgang Muthspiel: elektrische Gitarre
Slava Grigoryan: klassische & Baritongitarre
Ralph Towner: klassische & zwölfsaitige Gitarre

Material Records – Wien 2009

www.materialrecords.com

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