Ausnahmekünstler

HK Gruber und Martin Grubinger begeistern mit Musik aus dem 20. Jahrhundert

HK Gruber, das Multitalent aus Wien, fegt seit den sechziger Jahren durch die Klassikwelt. Sein Stil als Komponist ist unverwechselbar. In einer erfrischend undoktrinären Art verbindet er so unterschiedliche Einflüsse wie Berg, Strawinsky, Kabarettsongs und Popmusik, aber richtig gruberts erst mit seiner sehr persönlichen Note schwarzen Humors und einer unvergleichlichen Wiener Gelassenheit allen Ismen gegenüber. So auch in seinem wohl bekanntesten Werk Frankenstein !!, was seit der Uraufführung 1978 in Liverpool unter Simon Rattle in den Konzerthäusern der Welt gespielt wird. Kurt Weill ist für ihn eine Schlüsselfigur. Mit emphatischem Tonfall wirbt er oft für „Respekt vor der Einfachheit“ und bezeichnet in dem Zusammenhang Weills Schaffen als „einfach aber nicht banal“. Seine Programme, die er als Dirigent seit vielen Jahren mit den Spitzenorchestern der Welt erarbeitet, sind ebenso unverwechselbar und erfrischend wie seine Kompositionen. Der Fokus liegt auf dem 20. Jahrhundert.

George Antheils A Jazz Symphony gerät zu einem fulminanten Auftakt. Der Titel ist Programm, 14 Bläser, 3 Schlagzeuger, 3 Geigen, ein Bass und das Klavier geben der Klassik den Jazz. Einfache Themen und Rhythmen, hier und da schimmert Gershwin durch, aber im deutlichen Gegensatz zu Gershwin fasziniert das Werk durch eine Art kreative Sperrigkeit. Gelassen und souverän ordnet HK Gruber die vielen verrückten musikalischen Ideen, so dass sie sich transparent entfalten können. A Jazz Symphony scheint wie geschaffen für die exzellenten Musiker des Gewandhausorchesters, die in den vielen solistischen Aktionen ihr Können so richtig herausstellen können.

So souverän wie HK Gruber das Orchester leitet, beherrscht Multipercussionist Martin Grubinger seine Instrumente, die den gesamten vorderen Teil der Bühne einnehmen. Der erste Satz von Rough Music beginnt tastend, Marimba und Xylorimba geben den Hauptrhythmus des Stückes vor. Martin Grubinger entlockt dem Marimba einen ganzen Kosmos von Klangfarben. Durch Verwendung unterschiedlicher Härtegrade der Mallets und einem hoch differenzierten Anschlag von weich-nobel über räsonierend bis hart-aufdringlich moduliert er die Töne, macht sie groß oder klein, rund oder eckig. Faszinierend! Im zweiten Satz kontrastiert das ungestüme Schlagzeug mit dem eher harmonischen Orchester, komplexe Flächen im Blech werden mit dem prasselnden Schlagzeug verwoben und aufgefangen. Im letzten Teil wird das Stück versöhnlicher, melodische Folgerungen des Orchesters provozieren barsche Reaktionen des Soloparts, der an einer großen Trommel am Ende allein das Feld beherrscht. Tosender Beifall genau auf den letzten Takt, Jung und Alt bejubeln das Ausnahmetalent. Als Artist in Residence des Gewandhauses hat er im April seinen nächsten Auftritt, heute gibt er als Zugabe schon mal einen kleinen Ausblick darauf. Was jetzt folgt, übersteigt alles, was man sich gewöhnlicherweise auf einer kleinen Trommel vorstellen kann. In schon akrobatisch zu nennenden Aktionen versetzt Martin Grubinger das kleine Fell des Instrumentes in komplexeste Schwingungen, die ein ganzes Schlagzeugensemble vermuten lassen. Mit viel Humor fliegen die Schlegel durch die Luft und landen zum nächsten Ton wieder sicher in der Hand des Percussionisten, oft werden sie gar selbst zu Klangkörpern. Wirklich zirkusreif ist die Aktion, als ein Schlegel einfach lose auf dem Unterarm liegt und durch Impulse seines „Schlegelkollegen“ angetrieben wird. Das Publikum ist aus dem Häuschen.

Der zweite Teil des Abends gehört amerikanischen Komponisten. Die „brave“ Orgel in Aaron Coplands Sinfonie für Orgel und Orchester hat es nach dem explosiven ersten Teil zu Beginn etwas schwer, die solistisch geführte Bratsche und die Querflöte bringen erstes zartes Flimmern in die Komposition. Der zweite Satz wird bestimmt durch wilde Aktionen der sechs Schlagzeuger, spätestens hier beginnt man zu verstehen weshalb Walter Damrosch, Dirigent der Uraufführung das Werk mit den Worten kommentierte: „Wenn ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren eine Sinfonie wie diese schreiben kann, wird er in fünf Jahren fähig sein, einen Mord zu begehen“. Tiefe Tuttis der Orgel im dritten Satz melden jetzt deutlich die Solistenrolle an. Michael Schönheit gelingt es zunehmend besser mit dem Orchester zu kommunizieren, HK Gruber weidet sich geradezu an den folgenden schrillen Aktionen, bevor er den pathetischen Schluss einleitet. Uff! Was soll jetzt noch kommen? Leonard Bernsteins Sinfonische Suite On the Waterfront entstand aus der Filmmusik zum gleichnamigen Film. Marlon Brandos Schauspielkunst soll Bernstein so überzeugt haben, dass er sich auf das Abenteuer Filmmusik eingelassen hat. Mit dem Ergebnis war er allerdings nicht zufrieden und schuf deshalb aus dem Material die sechssätzige sinfonische Suite. Das Stück passt hervorragend in das heutige Programm, jazzig geht es zu, explosionsartige Schlagzeugaktionen bestimmen den Rhythmus, die dominierenden Klangfarben liefern das Horn und die Bassklarinette. HK Gruber führt wiederholt gelassen durch die komplexen Strukturen und schafft so Raum für die exzellenten Solisten des Gewandhausorchesters.

Woran es liegt, dass schon das heutige Donnerstagskonzert fast ausverkauft ist? Sicher an den herausragenden Interpreten, verblüffend ist die Freude des etablierten älteren Publikums an dem ungewöhnlichen Programm. Also liebe Gewandhausmacher, lieber Opernintendant, wagt euch heran an weniger bekannte Literatur, das Publikum rechtfertigt den ewigen Verweis auf das klassische Repertoire jedenfalls nicht. Das Publikum ist sehr offen und begeisterungsfähig gegenüber Neuem, es muss nur gut gemacht sein!

GROSSES CONCERT

George Antheil: A Jazz Symphony (Fassung 1955)
HK Gruber: Rough Music – Konzert für Schlagzeug und Orchester
Aaron Copland: Sinfonie für Orgel und Orchester
Leonard Bernstein: On the Waterfront – Sinfonische Suite
Gewandhausorchester
Dirigent: HK Gruber
Schlagzeug: Martin Grubinger
Orgel: Michael Schönheit

26. Februar 2009, Gewandhaus Großer Saal

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