Treue, Ehre, Verschwiegenheit

Bis in die Wüste thematisiert Jugend, Kriminalität und Mitläufertum

Asche und Sonja wippen auf dem Sprungbrett. Verbunden durch die Kopfhörer ihres iPods entschwinden die beiden für einen Moment der Realität und summen den aktuellen Erfolg „Allein, Allein“ von Polarkreis 18. Asche ist verliebt. Doch die Romantik kippt. Beeinflusst von seiner Clique erwacht in Asche ein Gewaltpotential, das seine Unsicherheit überspielen soll. Auf der Suche nach Identität und Gemeinschaft ist er bereit, sich an kriminellen Aktivitäten zu beteiligen und sich anzupassen.

Am 26. Februar feierte die Inszenierung Bis in die Wüste unter der Regie von Jürgen Zielinski am Theater der Jungen Welt Premiere. Das Stück von Jean-Michel Räber, das 2006 den Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis erhielt, behandelt die Problemfelder Jugendkriminalität, Mitläufertum und zerfallende Familienstrukturen.

Die Bühne ein Freibad. Das Schwimmbecken – Ort für die Planung krimineller Aktionen. Der Einsatz von Jalousien auf dem hinteren Teil der Bühne verleiht dem Bühnenraum mehr Tiefe, bietet Abwechslung sowie eine klare Trennung der unterschiedlichen Ebenen von Haupt- und Nebenhandlung. Eine Leinwand, die mittig über der Bühne positioniert ist, ergänzt als Bildebene den Bühnenraum um eine weitere räumliche Komponente. Videoeinspielungen von rauschendem Wasser, blinkendem Sirenengeläut und loderndem Feuer führen zu einer visuellen und akustischen Intensivierung des Gezeigten und die atmosphärische Lichtgestaltung unterstützt die Charakterisierung der vielfältigen Schauplätze, wie Disko, Schwimmbad, Wohnzimmer und Polizeipräsidium.

Der Joint wandert zwischen den Akteuren hin und her, rhythmische Bewegungen simulieren den Weg zum Lustgewinn. Onanieren, Kiffen, Glotzen und Ausländer beschimpfen. Tätigkeiten, die den Alltag der drei Jugendlichen Asche, Bodo und Kalle bestimmen. Drei Jungen. Drei Typen. Die Rollen sind klar verteilt. Bodo, stets mit festem Gang und dominanter Ausstrahlung, gibt den Ton an. Asche und Kalle stimmen ein. Der torkelnde Kalle aus Dummheit. Asche aus Unsicherheit. In der Szenerie des Schwimmbades ereignen sich zahlreiche Konflikte, mit denen sich der Protagonist Asche auseinandersetzen muss. Auf der Jagd nach seiner Identität muss er erkennen, dass es nicht immer der beste Weg ist, dem Stärksten zuzustimmen und der Zweifel einen chancenreichen Nährboden für den eigenen Pfad bieten kann.

In Rückblenden und Zeitsprüngen erzählt die Hauptfigur Asche ihr Leben, wobei sie zwischen erzählendem Kommentar und Spiel switcht. Asche lebt in einer problematischen Familie. Der Vater verweist Gewichte stemmend auf männliche Stärke. Die Mutter klagt schluchzend, das Taschentuch immer parat, ihre Not. Mit diesen Angeboten zur Konfliktlösung ist Asche in seinem Alltag auf sich gestellt. Halt gibt ihm seine Clique. In Kapuzensweater und mit einer Dose Bier in der Hand treffen sie sich täglich. Bodo gibt mit fester, mahnender Stimme die Lebensmaxime: „Treue, Ehre, Verschwiegenheit“ vor, Asche und Kalle folgen. „Aber“ gehört gesetzlich verboten.

Asche stimmt in die Brutalität des Anführers ein, meldet allerdings vereinzelt Zweifel an, indem er sich zum Beispiel auf die andere Seite des Beckens begibt. Letztendlich landet er jedoch immer wieder mitten im kriminellen Geschehen. Eine Katze wird erhängt, ein Auto angezündet, ein Mann angeschossen und Alis Gemüseladen in Brand gesteckt. Durch das Knoten eines Seils, das Werfen eines Molotowcocktails auf die Hinterbühne oder den symbolischen Gang mit dem Benzinkanister werden assoziative Bilder hervorgerufen, die der Zuschauer mittels seiner Phantasie ausgestalten kann. Am Ende wird Asche zum Held, da er den Brand im Gemüseladen verhindern kann, indem er Bodo mit dem Benzinkanister niederstreckt.

Der ständige Wechsel zwischen Figur und kommentierendem Erzähler werden von Martin Klemm als Asche nicht stringent durchgehalten. Zu oft verblasst die Figur vor dem Hintergrund des Kommentators. Die Bestimmtheit und Präsenz des Anführers Bodo (Stephan Fiedler) werden überzeugend dargestellt – jeder zuckt bei seinem Anblick zusammen, wodurch das Hierarchieverhältnis innerhalb der Clique deutlich zum Ausdruck kommt. Sehr authentisch und amüsant gestaltet Lukas Kubik den dümmlichen Kalle, der in freudige Rage verfällt, sobald er doch mal einen coolen Spruch landet.

Rechtsextremismus ist ein Thema, das gerade im Jugendtheater intensiver problematisiert werden muss. Die Inszenierung Bis in die Wüste bietet hierfür einen guten Ansatz. Temporeich zeichnet sie den Weg vom Gedanken zum Ergebnis, wobei die intensive Betrachtung der inneren Beweggründe teilweise auf der Strecke bleibt. Mit dem Stück sowie zahlreichen anderen Inszenierungen und Diskussionsforen in dieser Spielzeit setzt das Theater der Jungen Welt ein klares Zeichen für Demokratie und Toleranz.

Bis in die Wüste
Regie: Jürgen Zielinski
Mit: Martin Klemm, Sonia Abril Romero, Chris Lopatta, Stephan Fiedler, Lukas Kubik, Elisabeth Fues, Martina Krompholz & Detlef Vitzthum
Premiere: 26. Februar 2009, Theater der Jungen Welt

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