Es hätte schön werden können

Jubiläumskonzert: Die Gewandhaus-Reihe Musica Nova feiert ihr 25-jähriges Bestehen

25 Jahre MUSICA NOVA – eine Erfolgsstory in Sachen Neue Musik! Friedrich Schenker ist gekommen, sächsisches Musikurgestein und unter Kurt Masur künstlerischer Berater der Kammermusikkonzerte, die der Reihe MUSICA NOVA vorausgingen. Steffen Schleiermacher, seit 1989 der Macher von MUSICA NOVA und künstlerischer Leiter des Ensemble Avantgarde, moderiert und leitet den Abend.

Selten hat Leipzig solch innovative und im europäischen Vergleich gewichtige Projekte zu feiern wie dieses. Wien Modern, von Claudio Abbado gegründet, feierte letztes Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Das renommierte Ensemble Modern ist gerade mal elf Jahre jung. Einzig das Arditti Quartett, das in diesem Jahr sein 35-jähriges Jubiläum feiert, kann auf eine längere Tradition zurückschauen. Ebenso das Ensemble Intercontemporain, welches vor 33 Jahren von Piere Boulez ins Leben gerufen wurde.

Grund zum Feiern! Und wie!
Selbstredend sind Oberbürgermeister Burkhard Jung erschienen, alter und neuer Kulturbürgermeister und und und. Gewandhausdirektor Andreas Schulz hält eine ergreifende Rede auf die innovative Musik: Sie biete dem traditionsreichen Gewandhausorchester die Chance zur Weiterentwicklung und mache Mut zum Neuen. Komponisten aus der ganzen Republik sind gekommen: Wolfgang Rihm, Helmut Lachenmann, aus Österreich Olga Neuwirth und viele andere. Sie alle feiern mit, weil sie dankbar sind, dass ihnen MUSICA NOVA seit vielen Jahren eine Plattform für ihre Kompositionen bietet.

Der Mendelssohnsaal ist bis zum Brechen gefüllt, nicht alle finden einen Platz. Viele weitere Zuhörer lauschen dem Jubiläumskonzert durch die offenen Türen. So wird der Blick bereits freigegeben auf das festliche Buffet, welches die Oper Leipzig, Nachbar auf der anderen Seite des Augustusplatzes, zu diesem Anlass spendiert hat. Alexander von Maravic, kommissarischer Intendant der Oper und sein Chefregisseur Peter Konwitschny werden später das Buffet mit dem wärmsten Worten eröffnen.

„Am Ausgang erwartet jeden ein Glas Sekt. Teilen Sie es sich gut ein!“

Das heutige Programm mit Werken von Schenker, Schleiermacher, Thiele und Franke führt in eindrucksvoller Weise vor, welch innovatives Potential diese Stadt in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Seit vielen Jahren pflegt Leipzig kontinuierlich zeitgenössische Künstler und verpasst es auch an diesem Abend nicht, sein musikalisches Potential unter Beweis zu stellen. Mit Bach und Mendelssohn auf der einen Seite haben die Kulturverantwortlichen seit langem erkannt, dass die Pflege der Tradition auch und vor allem bedeutet, Neues zu wagen, einen Rahmen zu schaffen, der Künstler herausfordert und provoziert. Über Qualität entscheidet in der Regel sowieso die Nachwelt, wie die Wiederentdeckung des fast vergessenen Bach durch Mendelssohn in schönster Weise gerade in Leipzig zeigt.

Ja, so schön hätte es kommen können!
Stattdessen erlebte das Publikum des heutigen Abends mehr zufällig und nebenbei das 25. Jubiläum. Die Ankündigungen des Konzertes verschwiegen diese Tatsache völlig! Prominente Gäste waren anwesend, aber bis auf die ungelenke Übergabe von zwei Blumensträußen durch Andreas Schulz (ohne Rede!) an Friedrich Schenker und Steffen Schleiermacher trat niemand in Erscheinung.

Auf dem Programm stand Filmmusik von Nono, Wolpe und Eisler, zwar selten gespielte Stücke, aber mitunter so innovationslos im Sinne des Mottos MUSICA NOVA, dass die ersten Hörer im zweiten Teil den Raum verließen. Die Glücklichen, könnte man sagen, denn das Ende ging dann so: „Da haben wir uns heute noch was Besonderes ausgedacht: Am Ausgang erwartet jeden ein Glas Sekt. Teilen Sie es sich gut ein!“ Mit diesen Worten beendete Steffen Schleiermacher den Abend.

Weshalb Leipzig wiederholt auf solche Weise Jubiläen begeht, ist ein Rätsel. Dabei sei an den verpassten 70. Geburtstag von Friedrich Schenker im Jahr 2007 erinnert. In diesem Jahr begeht Siegfried Thiele seinen 75. – man darf gespannt sein, was die Stadt Leipzig sich dieses Mal Großartiges ausgedacht hat.

Filmmusik? Schauspielmusik!
25 Jahre MUSICA NOVA – Jubiläumskonzert

Hanns Eisler: No more Peace
Stefan Wolpe: Der eingebildete Kranke
Luigi Nono: Drei Lieder des Narren
Stefan Wolpe: Musik zu Hamlet von William Shakespeare
Hanns Eisler: Die Gesichte der Simone Machard
Luigi Nono: Ricorda cosa ti hanno tatto in Auschwitz, Konzertversion
Hanns Eisler: Höllenangst

Sopran: Olivia Stahn
Bariton: Holger Falk
Ensemble Avantgarde
Leitung & Moderation: Steffen Schleiermacher

4. März 2009, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal


Lesen Sie zwei andere Meinungen zum Konzert:
Gelungenes Konzert: „Filmmusik? Schauspielmusik!“ (Alba, 9. Klasse FWS Leipzig)
Katharsis im Konzertsaal: Eine Sittengeschichte der Neuen Musik in Leipzig (Jean Cage aux Folles)


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