„Träumer“ nach dem gleichnamigen Roman von Gilbert Adair
Sex ist Revolution. Revolution gegen das Elternhaus. Wer sexuelle Abenteuer sucht, verlässt sein Zuhause, die Eltern und auch die Geschwister. Ja, im Normalfall auch die Geschwister! Zu gewissen Zeiten kann das mit einer Revolte gegen die konventionellen Moralvorstellungen verbunden sein. So gesehen scheint die literarische Kombination von sexueller Revolution und den Studentenunruhen von ’68 in Frankreich in Adairs Roman Die Träumer naheliegend. Doch ist die Geschichte verzwickter, denn es geht um eine inzestuös-symbiotische Geschwisterbeziehung, die durch alle erotischen Eskapaden nicht gelöst, sondern nur weiter gefestigt wird.
Bekannt geworden ist dieser Roman durch die Verfilmung von Bernardo Bertolucci, die vor allem durch das hinreißende Spiel ihrer Hauptdarsteller besticht. So richtig plausibel konnte – meiner Meinung nach – jedoch Bertolucci den Widerspruch nicht machen, der zwischen dem psychosozialen und dem politischen Konflikt besteht, zwischen dem Unvermögen, sich aus der Abhängigkeit von der Kinderstube und dem damit verbundenen Lebensgefühl zu lösen, und dem Aufbegehren gegen die Elterngeneration. Um so mehr mag es mutig, wenn nicht waghalsig scheinen, dass ein Off-Theater sich mit dem großen Bertolucci messen möchte. Die Träumer steht seit dem 26. März auf dem Spielplan der Cammerspiele in Connewitz. Wie um alles in der Welt soll so ein Stück und so ein Thema auf die Bühne gebracht werden?
Dass es gelungen ist, grenzt an ein kleines Wunder und ist ein Husarenstück der Regisseurin Elisa Jentsch und der drei Darsteller Sabrina Weidner, Christian Feist und Thomas Deubel. Es gelingt ihnen, die psychologische Dramatik der Dreiecksgeschichte des französischen Zwillingspaares Theo und Isabell und ihres amerikanischen Freundes Mathew sehr plastisch herauszuarbeiten und den politischen Kontext auf das Notwendigste zu beschränken. Mit Hilfe eine Fülle origineller und kreativer Einfälle gestalten sie die sehr intimen erotischen Szenen ganz ohne Krampf und lassen alle Peinlichkeit oder unfreiwillige Komik in einem Feuerwerk aus Spielwitz und schauspielerischer Virtuosität aufgehen. Der Begriff „Sexspielzeug“ bekommt dabei eine völlig neue Bedeutung, wenn etwa in einer Wanne voller ergotherapeutischer Bälle geplanscht oder mit Schlagsahne ejakuliert wird. Mit Hilfe der kindlichen Spielfreude und clownesken Heiterkeit des an sich abgründigen Geschehens wird sowohl der Kern der Thematik zielsicher getroffen als auch ein Weg gefunden, ein ursprünglich filmisches Szenario auf die Bühne zu hieven. Das Bemühen, dem Ganzen dann noch eine finale Dramatik zu geben, schlägt allerdings fehl, denn die Leichtigkeit, die ansonsten das Geschehen regiert, lässt sich in ihrer (auch dramatischen) Wirksamkeit nicht übertreffen. Abgesehen davon ist am Ende alles in bester dramaturgischer Ordnung, wenn die Bühne wie in Constanze-Lauterbach-Zeiten am Schauspielhaus aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Großes Kompliment an alle Beteiligten, auch an die, die hinterher aufräumen müssen.
Träumer
Nach dem gleichnamigen Roman von Gilbert Adair
Regie: Elisa Jentsch
Mit: Thomas Deubel, Christian Feist & Sabrina Weidner
www.cammerspiele.de
Premiere: 26. März 2009, Cammerspiele
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