Bilder einer Landjugend

„Geschichten aus den Neunzigern“ erzählen in skizzenhaft-realistischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen von einer eigentlich hoffnungslosen Zeit

Lehn dich zurück, entspann dich.
Wer jetzt noch will, der kann mich.
Wünsch dir ein ’68.
Halt’s Maul, sei still und setz dich.
Geld zieht immer mehr als Ochsen,
Erst essen, dann darfst du kotzen.
Wer glaubt, dem wird gepredigt,
Das Thema ist eh‘ erledigt.
Das sind nur die 90er, mein Freund.
Und das ist nicht mal bös‘ gemeint.
Hier hat keiner mehr Hoffnung.
…But Alive: Das sind die 90er, Baby

Will man sich wirklich an die Neunziger erinnern? Blühende Landschaften, sichere Renten, Loveparade – wirklich hübscher ist es heutzutage auf der Makroebene ja auch nicht. Zum Glück sind da die persönlichen Erfahrungen des „kleinen“ Lebens, die umso reichhaltiger und spannender als das öffentlich Wahrgenommene sind. Hier wie in den Neunzigern. Und an diesen zu rühren lohnt allemal.

Der Comiczeichner FAB/Fabian Stoltz nähert sich dieser Epoche episodenhaft und er gibt mit subjektiver Verve Zeugnis vom Aufwachsen in der bayerischen Provinz. Seine Serie zählt bis dato vier Teile, die miteinander in Beziehung stehen, aber keiner Chronologie folgen. Die Erzählung beginnt mit Ok, Griechenland im Jahr 1999: Zwei Freunde haben sich auseinander gelebt, ihre Kommunikationslosigkeit mündet im Sprung des einen vom Schiff ins Meer. In Punkrock! (2002) steht eine Schülerband im Vordergrund, die frisch gegründet alsbald an den Realitäten eines Dorfschulfestes – Alkverbot inklusive – zu scheitern droht. Den Brückenschlag zwischen beiden Heften leistet An solchen Tagen (2005), das zeitlich dem ersten Heft nachgeordnet ist. In einer Mischung aus endzeitlicher Vision und real(-politisch-)em Geschehen werden die Themen Kosovokrieg, urbane Lebenswelt und Freundesbande zu einer Geschichte verstrickt. Ausscheider nun ist der Titel des neuen Teils, der im Juli 1995 spielt. Die Abifeier ist angesagt, denn endlich ist die Schule nicht nur einen Sommer lang aus, sondern für immer. Nun also gilt es, das Ausscheiden mit einer zünftigen Feier zu begehen, die hier „Maßbandfest“ genannt wird. Das findet in und um ein Partyzelt im Wald statt, das zum Epizentrum der Story wird: Konflikte der Vergangenheit treten wieder zutage, es gibt Brüderschaftsküsse und Eifersüchteleien, exzessives Trinken und Nacktbaden, versagtes Flirten und heimliche Zärtlichkeiten.

FABs Geschichten stellen Kleinode des Independent-Comics dar. Die kontrastreichen Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind im klaren Strich gehalten. Ihr Realismus wird durch die skizzenhaft bleibenden Panels abgeschwächt, was nicht ohne gewinnende Wirkung auf das Erzählte bleibt. Den gleichsam realistischen Handlungssträngen wird so eine poetische Spur beigemischt und die ohnehin reichlich vorhandene Melancholie verstärkt. Hierdurch gewinnt diese Retrospektive einer Jugend einen Fokus über die biografische Erzählung hinaus, so dass sich in ihr auch die Erinnerungen der LeserInnen spiegeln können.

Fabian Stoltz: Geschichten aus den Neunzigern
Schwarzer Turm
Weimar 2008
42 S. – 6 €
www.schwarzerturm.de

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