Shibuya in Bockenheim

Impressionen von der 9. Nippon Connection in Frankfurt – ein Vorgeschmack auf die Japanischen Filmtage in Leipzig

237 Minuten Liebeschaos: „Love Exposure“


In der Bankenmetropole Frankfurt herrscht derzeit eher düstere Stimmung. Von einem „Land des Lächelns“ kann da eigentlich keine Rede sein. Dass ein Hauch von fernöstlichem Optimismus und Kirschblütengelassenheit die arg gebeutelte Stadt in den vergangenen Tagen auf den Frühling einstimmte, ist den Machern des japanischen Filmfestivals Nippon Connection zu verdanken, die in diesem Jahr bereits zum 9. Mal das gesamte Spektrum des japanischen Films einem interessierten und zunehmend internationalem Publikum darbietet. Vom Festivalzentrum, gelegen auf dem Campus der Universität, über diverse Programmkinos in der Stadt bis hin zum Deutschen Filmmuseum, liefen in drei Kategorien insgesamt über 150 Filme. Im Wettbewerb, dem mit 2.000 Euro dotierten Nippon Cinema Award, konkurrierten sechzehn aktuelle japanische Produktionen um die Gunst des Publikums. Unter dem Stichwort Nippon Digital stellten junge japanische Filmemacher ihre Debüts vor. Und in der bereits fest etablierten Retrospektive Nippon Retro ging es in diesem Jahr um das in Europa nahezu unbekannte Genre des Pink Films – Filme von den 60er Jahren bis heute, die experimentelle Montage- und Erzähltechniken mit Softcore-Porno-Szenen vermengen. Daneben gab es diverse Parties, die japanische Küche und ein durchaus innovativ gedachtes Begleitprogramm lockten am Wochenende zahlreiche Filmliebhaber an die Bockenheimer Warte.

Leipziger Filmfans ist die Nippon Connection nicht gänzlich unbekannt – als Teil der Nippon Connection Tour durch zahlreiche Städte im In- und Ausland werden Filme aus dem Wettbewerb und den begleitenden Programmen seit einigen Jahren im Rahmen der Japanischen Filmtage der Cinématèque Leipzig gezeigt. In diesem Jahr sind schwerpunktmäßig Filme der Nippon Cinema-Reihe vom 18. bis 23. April in der naTo zu sehen.

2008 war – laut Aussage der Macher von Nippon Connection – das international erfolgreichste Jahr des japanischen Films seit über vierzig Jahren. Zugleich wird konstatiert, auch der japanische Film eile mit großen Schritten dem Zeitalter der Digitalisierung entgegen, ermögliche es so jungen Nachwuchsfilmern, ihren Weg auf die Leinwand zu finden. Noch immer sind, auch auf dem diesjährigen Festival, international einflussreiche Regisseure wie der Altmeister Kurosawa und Takeshi Kitano omnipräsent. Gleichzeitig sticht die Fülle neuer, an westlichen Vorbildern geschulter Werke ins Auge, die bereits eine ganz eigene Bildsprache mitbringen. Unsere Reise zu einigen „Orten“ der 9. Nippon Connection soll aber mit einem Blick zurück beginnen!

Experimentelle Erotik: Secret Hot Spring Resort: Starfish at Night

Dem Deutschen Filmmuseum kommt beim diesjährigen Nippon Connection, wie schon in den Vorjahren, die ehrenvolle Aufgabe zu, die umfassende thematische Retrospektive zu zeigen. Das diesjährige Thema ist dabei nicht ganz unheikel: Pink Eiga, pinker Film, nennt sich eine Spielart des japanischen Kinos seit den 60er Jahren, in denen der Versuch unternommen wird, humoristische Geschichten, experimentelle Filmsprache und mehr oder weniger explizite Sexszenen miteinander zu verknüpfen. Über 5.000 Filme dieses Genres soll es bis heute geben. Ein größeres Publikum außerhalb Japans haben diese Filme nur selten gefunden, doch das Genre scheint lebendiger denn je zu sein. In Europa erinnert man sich an den recht erfolgreichen Independent-Streifen Tokio Dekadenz aus dem Jahr 1991. Und der diesjährige Gewinner des Oscars für den besten ausländischen Film, Yojiro Takita, begann seine Regisseurslaufbahn ebenfalls mit der Produktion von Pink Movies. Die Retrospektive widmet sich allerdings vornehmlich frühen Pink-Werken, und so wird am Freitagabend unter Anwesenheit von Regisseur Mamoru Watanabe mit Secret Hot Spring Resort (1971) ein würdiger Vertreter der Pink-Reihe gezeigt, der experimentelle Filmkunst und erotische Frivolitäten gekonnt miteinander verbindet. Erzählt wird die Geschichte eines fahrenden Händlers und seiner Frau, die in einem Ferienort stranden. Ihre Ware: Erotische Fotos, die sie an Urlauber, Wanderarbeiter und die lokalen „dirty old men“ verkaufen. Der geschäftstüchtige Sexunternehmer erkennt irgendwann, dass bewegte Bilder noch einträglicher sein können, und verlegt sich auf das Produzieren ungelenk wirkender Sexfilmchen – bis die örtlichen Behörden dem munteren Treiben ein Ende bereiten. Die Moral des Films: Das Geschäft mit dem Sex hat durchaus seine Schattenseiten. Watanabes melancholisch-komischer Film ist ein Meisterwerk seines Genres, da er die lineare Fortführung einer mitunter banalen Handlung immer wieder durch Sexszenen unterbricht. Technisch wird dies auch dadurch veranschaulicht, dass der in weiten Teilen schwarz-weiß gedrehte Film immer dann, wenn es zur Sache geht, in Farbe getaucht wird. Zudem spart das Werk nicht mit selbstironischen Untertönen und heiterem Humor gegen die Ernsthaftigkeit des europäischen Autorenkinos der damaligen Zeit, namentlich die Nouvelle Vague. Dem Publikum und auch dem anwesenden Regisseur auf jeden Fall gefällt es, und eine Reihe wie die diesjährige Nippon-Retrospektive mag durchaus dabei helfen, auch einem hierzulande nahezu unbekannten Kapitel der japanischen Filmkunst einige Türen zu öffnen. Anderenorts soll es bereits Filmwissenschaftler mit dem Fachgebiet „Pink Film“ geben.

Zweimal Wettbewerb, zweimal Gut gegen Böse: Detroit Metal City und Hells

Der Wettbewerb der Nippon Connection 2009, und das ist ein großer Verdienst der Organisatoren, schaffte es erneut nahezu alle Facetten des gegenwärtigen japanischen Kinos abzubilden. Als zwei Beispiele für die enorme Bandbreite der aktuellen Produktion seien hier Detroit Metal City, Gewinner des diesjährigen Nippon Cinema Award, und der bildgewaltige Anime-Film Hells genannt. Beide Filme variieren das altbekannte Thema von Gut gegen Böse, Himmel gegen Hölle, und beiden gelingt es dabei, eine ganz eigene Filmsprache zu entwickeln.

Schon bei der Deutschland-Premiere von Detroit Metal City am Samstagmittag wurde klar, dass dieser Film gute Chancen auf den Gesamtsieg haben würde. Das Publikum im restlos gefüllten Saal des Filmzentrums bedachte Toshio Lees flott erzählte Coming-of-Age-Geschichte mit Szenenapplaus und Chorgelächter. Was noch nicht unbedingt etwas über die Qualität des Films aussagt. DMC erzählt die Geschichte des Bauernjungen Negishi, der zum Studium nach Tokio geht, den es eigentlich aber in die Metropole zieht, weil er mit zuckersüßer Popmusik gitarrespielend die Welt erobern will. Es kommt, natürlich, anders: Seiner Popmusik ist wenig Erfolg beschieden, Negishi bringt es nach Ende seines Studiums hingegen in greller Kostümierung und viel Schminke zum Frontmann der kunstblutrünstigen Death-Metal-Band Detroit Metal City, die, getrieben von einer sadistischen Managerin und singend von Mord und Vergewaltigung von Erfolg zu Erfolg eilt. Problematisch wird es, als Negishi seine Liebe aus Studienzeiten, Yuri, wiedertrifft, die mit Sound und Attitüde von DMC so gar nichts anfangen kann. Es beginnt ein munteres Verwirrspiel mit viel Situationskomik, aber auch einigen Längen, an dessen Ende ein fulminantes Gitarrenduell Negiris mit dem Protagonisten der fiktiven amerikanischen Death-Metal-Formation Jack (gespielt von einem überaus lässigen Gene KISS Simmons) steht. Detroit Metal City ist knallig und bunt und übertrieben und laut, war in Japan selbst ein Kassenschlager und würde mit Sicherheit auch hierzulande einige begeisterte Zuschauer finden. Mitunter allerdings wirkt Toshio Lees Film ein bisschen zu überladen, zu aufgesetzt sind die popkulturellen Querverweise und die Überbetonung der simplen, aber wahren Botschaft, jeder soll seine Träume leben.Hells von Yoshinobu Yamakawa ist da ein ganz anderes Kaliber – in dieser düsteren Anime-Welt gibt es zunächst wenig zu lachen für die Schülerin Linne, die auf dem morgendlichen Weg zur Schule geradewegs von einem Laster totgefahren wird und sich unversehens in einer bizarr-psychedelischen Manga-Hölle wiederfindet. Auch hier gibt es eine Schule und Unterricht, doch an der Death River Academy, beherrscht von dem unerbittlichen Mr. Helvis, tummeln sich in erster Linie Untote und Zombies. Linne hingegen, die noch recht lebendig wirkt, entdeckt zunehmend ihr Kämpferherz und tut fortan alles, um mit einigen Gleichgesinnten dem Fegefeuer zu entgehen. Regisseur Yamakawa ist dabei ein intensives Trickfilm-Abenteuer gelungen, das mit einer Fülle von Spezialeffekten aufwartet, die den Betrachter bisweilen vergessen lassen, dass die eigentliche Handlung weitgehend banal ist. Es geht hier mehr um die Liebe zum Detail, schnelle Bildabfolgen und skurril gezeichnete Gestalten, als um eine wirklich packende Story. Die Macher der Nippon Connection, sonst eher reserviert bei der Auswahl von Anime-Produktionen, haben Hells dennoch in den diesjährigen Wettbewerb mit aufgenommen. Das in Japan so traditionsreiche Genre findet auch in Übersee eine wachsende Anhängerschaft, und diese zog auch am Samstagnachmittag die finsteren Trickfilm-Welten dem glänzenden Wetter nur allzu gerne vor.

Save the best for last: Love Exposure

Am Sonntagmittag ein ähnliches Bild: draußen über zwanzig Grad Celsius und strahlend blauer Himmel, drinnen ein vollbesetzter Festivalsaal. Und gezeigt wird ein Film, der außer Konkurrenz laufen muss, da Love Exposure / Ai no mukidashi von Sion Sono dieses Jahr schon auf der Berlinale gezeigt wurde, somit keine Deutschland-Premiere mehr ist und also auch nicht am Nippon Cinema-Wettbewerb teilnehmen darf. Und dann noch: Was der Besucher für einen Druckfehler im Programmheft hält, entpuppt sich als wahr: Love Exposure ist annähernd vier Stunden lang – doch niemand flüchtet, bevor es im Saal dunkel wird, und was folgt, sind 237 Minuten emotionale Achterbahnfahrt, unzählige Variationen der Themen Liebe, Lust und Verlust, Verlangen, Sünde und Begierde. Meisterhaft fügt Sono die Lebenswege völlig unterschiedlicher, und doch in ihrem Verlangen nach Liebe vereinter Menschen zusammen, entfernt sie dann wieder, schafft neue Paarungen. Oberflächlich handelt Love Exposure vom Reifeprozess des Priestersohns Yu, der sich, in Rebellion gegen den autoritären Vater, der Sünde verschreibt, nur um die wahre, reine Liebe in Gestalt der Schülerin Yoko zu finden. Was folgt, ist eine komplizierte Liebesgeschichte, durchkreuzt von eifersüchtigen Eltern, einer obskuren Terrorsekte, überzeichneter Gewalt und rauschhaften Bildern. Die Berlinale überhäufte Sonos Werk bereits im Februar mit überschwänglichem Lob, und auch bei der Nippon Connection mag der Applaus gar nicht mehr enden. Jede Minute des Films ist ein Gewinn, keinen Augenblick kommt Langeweile oder Erschöpfung auf, denn Love Exposure gönnt weder seinen Akteuren noch dem Publikum eine Pause, spielt mit den Erwartungen des Zuschauers, um diese direkt wieder mit einem neuen Einfall zu konterkarieren. Es bleibt zu hoffen, dass die Vorführung von Love Exposure beim diesjährigen Nippon Connection eine Initialzündung wird, diesen Film auch regulär einem größeren Publikum in Deutschland zugänglich zu machen. Sion Sono, der in seiner Heimat als Lyriker, Filmemacher und Performance-Künstler kontroverse Bekanntheit genießt und sich mit Filmen wie Suicide Circle und Strange Circus auch außerhalb Japans schon einen Namen gemacht hat, hat mit Love Exposure eine beeindruckend komplexe Filmoper geschaffen, die es verdient hätte, auch in großen Sälen gezeigt zu werden. Immerhin: Leipziger Filmfans haben die Gelegenheit, Sonos Film am Dienstag im Rahmen der Japanischen Filmtage zu sehen. Arigatou!

Nippon Connection

Japanisches Filmfestival
Frankfurt am Main
15.-19. April 2009

www.nipponconnection.com


Secret Hot Spring Resort: Starfish at Night

(Maruhi yu no machi: yoru no hitode)
Japan 1970, 16 mm, 73 Min., OmeU
Regie: Mamoru WATANABE
Drehbuch: Wataru HINO (Atsushi YAMATOYA)
Produktion: Kanto Eihai
Weltvertrieb: Stance Company
Darsteller: Reiko OTSUKI, Tomomi SAHARA, Jun YOSHIDA, Hiroshi NIKAIDO, Yuichi MINATO


Detroit Metal City

Japan 2008, 35mm, 104 Min., OmeU
Regie: Toshio LEE
Drehbuch: Mika OMORI nach einem Manga von Kiminori WAKASUGI
Produktion: Toho Co. Ltd.
Kamera: Koichi NAKAYAMA
Musik: Takayuki HATTORI
Darsteller: Kenichi MATSUYAMA, Rosa KATO, Yasuko MATSUYUKI, Gene Simmons
www.go-to-dmc.jpHells
Japan 2008, HD, 117 Min., OmeU
Regie: Yoshinobu YAMAKAWA
Drehbuch: Kazuyuki FUDEYASU, Yoshinobu YAMAKAWA nach einem Manga von Shinichi HIROMOTO
Produktion: Madhouse
Animation director & character design: Kazuto NAKAZAWA
Art director: Hiroshi OHNO
Sprecher: Misato FUKUEN, Daisuke KISHIO, Fumihiko TACHIKI

www.mv.avex.jp/hellsangels


Love Exposure

(Ai no mukidashi)
Japan 2008, 35mm, 237 Min., OmU
Regie & Drehbuch: Sion SONO
Produktion: Omega Project, Ltd., An Entertainment Inc.,
Studio Three Co., Ltd,
Kamera: Sohei TANIGAWA
Musik: Tomohide HARADA
Verleih: Rapid Eye Movies
Darsteller: Takahiro NISHIJIMA, Hikari MATSUSHIMA, Sakura ANDO, Makiko WATANABE, Hiroyuki ONOUE

www.ai-muki.com

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