„The Black Rider“ ist ein Theaterabend für Anfänger und Fortgeschrittene
Nebel wallt, Bäume drehen sich und dazwischen irren Manuel Harder als Wilhelm und die großartige Anita Vulesica als Stelzfuß, eine Art Mephisto, herum und schließen einen Pakt oder, um es auch sprachlich richtig zu treffen, einen Deal. Stelzfuß wird zum Dealer für Wilhelm, der silberne Kugeln für den Goldenen Schuss braucht, um endlich sein geliebtes Käthchen, das traumwandlerisch von Henrike von Kuick gespielt wird, zu freien. Denn ihr Vater Bertram (Thomas Lawinky) ist Erbförster und akzeptiert nur einen Schwiegersohn und Nachfolger, der auch schießen kann. Und der Nebenbuhler Rober (Guido Lambrecht) ist dessen fähig. Dass die silbernen Kugeln auch einen Haken haben, ist klar, aber wir wollen nichts vorwegnehmen. Wen das alles verdammt an den Freischütz erinnert, aus dem schon Carl Maria von Weber eine Oper (Uraufführung 1821) gezaubert hat, der liegt ganz richtig. 1990 haben Star-Regisseur Robert Wilson und William Burroughs unter Verwendung der Musik von Tom Waits mit The Black Rider-The Casting of the Magic Bullets am Thalia Theater Hamburg einen veritablen Theatererfolg geschaffen.
Regisseurin Jorinde Dröse, die sich in ihrer letzten Leipziger Inszenierung noch an einem zeitgenössischen Theater zwischen Hamlet und Naomi Klein abmühte, will an dieses ganz offensichtlich anknüpfen. Ihre Welt ist ebenso wie ihre Figuren postapokalyptisch. Abgewrackte Gestalten einer zerstörten Märchenwelt (Kostüme: Barbara Drosihn) werden durch die Theatermaschine getrieben, die Dröse mit voller Kraft fahren lässt (Bühne: Julia Scholz). Für den Zuschauer eröffnet das Zusammenspiel zwischen festen und schwebenden Bäumen neue Perspektiven. Drehbühne, Nebel, Licht, Projektionen und natürlich fliegende Gesellschaften fährt Dröse wohl choreographiert auf und hat dabei auch keine Skrupel die feine Grenze zum Kitsch stellenweise so derbe zu überschreiten, dass es schon wieder Spaß macht. Wenn etwa Käthchen und Wilhelm über ein Nebelmeer aufeinanderzuschweben und sich im Moment des Kusses ein Regen aus Rosenblättern über sie ergießt, dann ist das so viel zu viel, dass es schon wieder richtig gut ist.
Beeindruckend ist an diesem Abend die teuflisch unnahbare Anita Vulesica als Stelzfuß, die nicht nur Wilhelm, sondern auch das gesamte Publikum mit ihrem trockenen Charme und einer unglaublichen Ausstrahlung um den Finger wickelt. Das gesamte Ensemble liefert eine gute Leistung ab und schafft es sogar gegen den Musicalcharakter des Abends anzuspielen und darüber hinauszuweisen. Dies aber so dezent, dass der Gesamteindruck nur ironisch illustriert, aber eben nicht gebrochen wird. Die Musik, dargeboten von einer sechsköpfigen Liveband unter der Leitung von Ingo Günther und der sehr eigene Gesang tun ihr übriges dazu, diesen Pfad zwischen ernst und leicht in Spannung zu halten.
Inhaltlich konzentriert sich Dröse, neben dem Schaffen großer Märchenbilder, auf die im Stück angelegte Suchtgeschichte, so dass sich dieser Abend durchaus als Manifest gegen massiven Drogenkonsum lesen lässt, auch wenn zugleich die präsentierten surrealen Welten ohne so manche bewusstseinserweiternde Zutat sicher nicht möglich gewesen wären. Der Abend passt sich auch komplett in Hartmanns Konzept ein, nach dem sehr anspruchsvollen Einstieg nun in publikumsfreundlichere Gewässer vorzudringen. Mit dem Black Rider ist nach Arsen und Spitzenhäubchen und dem Psychologie-Erfolg Eines langen Tages Reise in die Nacht ein weiteres Stück entstanden, dass das Leipziger Stammpublikum mit dem neuen Theateranspruch versöhnen soll.
The Black Rider-The Casting of the Magic Bullets
Regie: Jorinde Dröse
Mit: Artemis Chalkidou, Manuel Harder, Matthias Hummitzsch, Andreas Keller, Guido Lambrecht, Thomas Lawinky, Lore Richter, Henrike von Kuick, Anita Vulesica
Band: Simon Bodensiek, Volker Dahms, Ingo Günther, Philipp Rohmer, Bastian Ruppert, Johannes Sens
Premiere: 23. April 2009, Centraltheater
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