Stoisch, statisch

„Schlaf doch ruhig, ich weck Dich dann“ – Heiner Goebbels inszeniert bei den Wiener Festwochen

Der Komponist und Regisseur Heiner Goebbels hat Texte von vier Dichtern des 20. Jahrhunderts vertont: Maurice Blanchot, Samuel Beckett, Franz Kafka und T.S. Eliot. Den fragmentarischen Umgang mit diesen Texten nennt Goebbels dann Szenisches Konzert. Sein ästhetischer Ansatz ist die vokale Eindringlichkeit des renommierten britischen Hilliard Ensembles und die statische Struktur mittelalterlicher Musik – slow motion oder gar die Entdeckung der Langsamkeit? Viele Zuschauer haben dafür nicht die nötige Geduld und verlassen – die Türen zum Teil zuknallend – den Saal, andere sind einfach nur unruhig, stöhnen mitleidserheischend, versöhnlicher ist da das freundliche „Schlaf doch ruhig, ich weck Dich dann“ einer sich um ihren Mann sorgenden Zuschauerin.

„Ich weiß nicht, rief ich ohne Klang, ich weiß ja nicht. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Ich habe niemandem etwas Böses getan,??.Lauter Niemand.“ Den Texten ist das Misstrauen gegenüber linearen Erzählformen gemeinsam, sie sind voller Geschichten innerer Zerrissenheit, welche mit einer stoischen Ruhe zelebriert werden. Im fast 40-minütigem ersten Teil verpacken die vier in Wintermäntel gekleideten Sänger die Einrichtung einer, in subtilem Grau gestalteten Wohnung. Zuerst das Teeservices, dann einen Strauß schwarzer Iris-Blüten, zuletzt Gardinen und den Perserteppich. Noble Tristesse verströmen die von Klaus Grünberg gestalteten Bühnenbilder. Auch im zweiten Teil eine epische Kulisse: In einem mit Ziegeln verkleideten Haus sprechen und singen die Herren des Hilliard Ensembles, zu beobachten durch vier Fensteröffnungen. Eine Art Hyperrealität entsteht, wenn technisch perfekt in Licht und Ton eine öde Umgebung suggeriert wird. Schatten von Autos huschen über die Fassade, Hunde bellen, irgendwo handwerkert ein Nachbar. Reale Details von der Dachrinne bis zur beleuchteten Hausummer stehen im Kontrast mit der Einrichtung der altväterlichen Garage, wo ein Herr entrückt mit einem Magnetofonband hantiert. Statisch – Visuelles Theater könnte man diese Regiearbeit von Heiner Goebbels bezeichnen, und auch schon das durch große meisterliche Fotografien der Bühnenbilder auffallende Programmbuch hat diesen stark visuellen Fokus. Die sich darin entfaltende Suggestivkraft verliert allerdings schnell ihre Wirkung, vor allem im letzten Teil, bei dem sich die Herren in einem Fünf-Sterne-Zimmer einen Lichtbildervortag ansehen, herrscht lähmende Langeweile. Da ist von Musiktheater nichts mehr übriggeblieben und auch die von mittelalterlichen Kirchengesängen inspirierte Musik bringt keine Abwechslung. Die wenigen Rezitationstöne und einfachen Harmonien werden in einem psalmodierenden, stoischen Gesangsstil vorgetragen. Die elektronische Verstärkung der Stimmen verwischt auch noch jegliche Differenzierung der irgendwo zwischen piano und forte angesiedelten Artikulation.

Mit der Übernahme dieser Produktion vom Edinburgh-Festival haben sich die Wiener Festwochen 2009 keinen Gefallen getan, wo sich doch insgesamt nur drei Musiktheaterproduktionen finden lassen, neben Goebbels Inszenierung die Wiederaufnahme von Dido und Aeneas aus dem Jahr 2006 und die Uraufführung der Oper Yvonne des Komponisten Philippe Boesmann. Weshalb man mit dieser Trias das Thema Musiktheater im ansonsten reichhaltigen Programm der Festwochen nahezu marginalisiert, wird nicht wirklich deutlich, ja bleibt unverständlich in der Musikmetropole Wien.

Heiner Goebbels: I went to the house but did not enter
Szenisches Konzert in drei Bildern bei den Wiener Festwochen 2009
Hilliard Ensemble
Österreichpremiere: 21. Mai 2009, Theater an der Wien

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