„Vorsicht, Gräten!“

Die Theaterturbine liefert mit „Das Labor“ beste Unterhaltung

Das Labor – Eine improvisatorische Versuchsanordnung nennt die Theaterturbine ihr jüngstes Kind, das über die Pfingsttage in einer Doppelpremiere in der naTo das Licht der Welt erblickte. Die Leipziger Improvisationstheatergruppe, die mit Kurzformaten wie Gurke oder Banane oder Riskante Spiele große Erfolge feiert, wagt sich mit dem Labor erstmals an ein Langformat heran. Zwei größere Geschichten werden entwickelt, durch eine Pause getrennt. Qualitativ gleichwertig mit den bisherigen Shows, zeichnet sich die neue durch einige Aspekte im Besonderen aus: Das Langformat kommt weitgehend ohne Moderation, Spielanweisungen, Regeln-Erklären und Mitmach-Trara aus und wirkt dadurch entspannter auf den Rezipienten. Auch weil die Szenen, Situationen und Personen nicht so plötzlich wechseln. Außerdem gibt das Labor den einzelnen Spielern mehr Raum für die Entfaltung von Ideen.

Ganz ohne Publikumsbeistand geht es aber doch nicht. Während der Handlungsentwicklung werfen die Darsteller immer wieder spontan Fragen ein, die ein Zuschauer spontan beantworten darf, zum Beispiel: „In welchem Land spielt die Szene?“. So findet die herrliche Geschichte vom Hotelurlaub in der ersten Hälfte der Premiere vom 30. Mai auf Zuruf in Marokko statt. Raschid D. Sidgi gibt den arabischen Hotelbesitzer, der seine Liebe aus der Düsseldorfer Studienzeit wiedertrifft. Diese, von Heike Ronniger verkörpert, wartet schließlich mit einem gemeinsamen Kind auf und führt die überwiegend komische Handlung in zeitweise tragisch-romantische Gefilde. Darüber hinaus sorgen die Vorschläge der Zuschauer für ganz eigentümliche Skurrilitäten. Susanne Bolf, zwerchfellerschütternd zwischen schwäbelndem Blondchen und Hotelmanagerin mit russischem Akzent changierend, mutiert zur Schwester des Arabers, Karin Werner muß auf die Frage „Was bin ich von Beruf?“ als Striptease-Tänzerin ihren ersten bekleideten Nackttanz hinlegen und wird vom Publikum zu Recht dafür gefeiert. Johannes Gabriel spielt auf köstliche Weise den in die Tänzerin verliebten Hotelgast und zeichnet sich für die tierischen Seiten verantwortlich. Er züchtet Meerschweinchen und glänzt als Karpfen in der zweiten Hälfte, in der die Szene zwischen Operationssaal, Tupperparty und Waldlichtung am Fischteich hin und her springt.

Trotz der großartigen darstellerischen Leistung aller Theaterturbinisten fällt der zweite Abend gegenüber dem ersten etwas ab. Die Kunst, Verbindungen zwischen den entstehenden Handlungsfragmenten zu knüpfen, ist am ersten Abend ausgeprägter. Beim zweiten liegt eine nervöse Spannung in der Luft, die Spieler scheinen zeitweise Schwierigkeiten zu haben, aufeinander einzugehen und hören nicht immer genau hin. So hält man sich in der ersten Halbzeit recht eng an eine Grundproblematik, ohne sie wirklich weiter auszubauen oder spannende Überraschungen einzufügen. Dafür sind die Charaktere sehr schön gezeichnet und konsequent entwickelt. Thorsten Giese gibt den werdenden Vater zwischen übertriebener Besorgnis und Unfähigkeit, mit der neuen Rolle umzugehen, und geht seiner Frau, gespielt von Kathrin Blüchert, mächtig auf die Nerven. Den Riss im Eheglück verschärft Stefan Ebeling als schwuler Bruder der Frau, der in derselben Wohnung wohnt und den fürsorglichen Hausgeist mimt. Armin Zarbock erntet in der Rolle des tumben Modelleisenbahners die meisten Lacher, und Karin Werner gibt mit ihren brachialen Kurzauftritten als dessen handfeste Gattin dem Affen Zucker. Eine ganz eigene Komik ergibt sich durch das Namenschaos. Blüchert heisst erst Evelyn, später Rita, Ebeling wird von ihr Michael genannt, von Giese aber Peter. Ein Umstand, der schon fast pintermäßig-absurde Formen annimmt und von Zarbock schließlich auf die Spitze getrieben wird: „Du, Mich- äh Peter, nein Ralf… Nee, Ralf bin ich ja selber…!“

Die zweite Halbzeit ist spannender. Gespräche und Intrigen in der Kantine des Arbeitsamtes und die Entführung einer millionenschweren Malerin verbinden sich am Ende zu einer Geschichte, in der Ebeling und Zarbock beim finalen Showdown im Gewächshaus in Doppelrollen rasante Platzwechsel vollziehen. Besonders komisch ist auch deren Spontanimprovisation beim Fischessen in der Kantine, als ein Zuschauer „Vorsicht, Gräten!“ reinruft.

Fazit: Das Labor ist ein absoluter Gewinn für die Leipziger Theaterlandschaft. Beste Unterhaltung gepaart mit gelassener Verspieltheit professioneller Theaterleute. Voraussichtlich im September wird es eine neue Ausgabe geben. Unbedingt hingehen. Und vorher reservieren, die Premieren waren bereits voll ausgelastet.

Das Labor – Eine improvisatorische Versuchsanordnung

Coaching: Michael Wolf
Am 30.5.09 mit: Karin Werner, Raschid D. Sigdi, Susanne Bolf,
Johannes Gabriel und Heike Ronniger. Musik: Steffen Greisiger.
Am 31.5.09 mit: Kathrin Blüchert, Thorsten Giese, Stefan Ebeling,
Armin Zarbock und Karin Werner. Musik: Michael Hinze.
www.theaterturbine.de

Theaterturbine

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