Humor als Grenzfall zwischen Fremdschämen, Lachen und Verzweiflung

Sacha Baron Cohen alias Borat in der Filmkomödie „Brüno“


Der schwuchtelige Moderator eines Lifestyle- und Modemagazins – Brüno – setzt mit seiner Sendung „Funkyzeit“ die Standards in der österreichischen Medienlandschaft: Welche Fashion ist angesagt, welcher Fummel nur noch von gestern, welche Geschlechtskrankheit (über-)trägt man heute zum Sex, welcher Ausschlag unter der Gürtellinie ist mittlerweile uncool? Die wichtigsten Fragen um Trends und Chic werden endlich geklärt, stilsicher und auf der Höhe der Zeit. Keine Frage, dass man mit diesem Anspruch auch zu den wichtigsten Events der Branche muss, zum Beispiel zu den Mailänder Modeschauen. Brüno selbst trägt einen avantgardistischen Anzug komplett aus Klebeband, womit er hinter den Kulissen allerdings nicht nur stilistisch aneckt. Und als lebendes Couture-Bündel auf den Laufsteg prasselt. Sicherlich ein peinliches Missgeschick, aber leider mit allzu harten Konsequenzen: Nicht nur, dass er auf die Blacklist (ungefähr: Platzverweis/Zugangssperre) gesetzt wird, er verliert auch seine Moderatorenstelle.

Doch aus Österreich kamen schon große Stars, die es weit gebracht haben: einer bis nach Stalingrad, ein anderer bis nach Hollywood und in den kalifornischen Senatorensessel. Wäre ja gelacht, wenn ein Beau mit so viel Starpotential wie Brüno es nicht auch so weit oder gar weiter bringen könnte. In seinem ehrgeizigen Streben nach Ruhm gibt er nicht auf und probiert alle Facetten des Karrierewegs in der Celebrity-Branche: als Filmstar, als Showmaster und Talkshowhost, sogar mit Friedensverhandlungen in Mittelerde (also dieser Landstrich, wo sich Juden und Hindus das Leben schwer machen, obwohl sie doch beide gern Hummus essen). Allerdings scheitert er immer wieder in seinem aufrichtigen Bemühen um Weltgeltung und identifiziert scharfsinnig bald die Ursache für die unangemessen langsame Entwicklung seiner Karriere: Alle großen Stars sind heterosexuell, er aber ist schwul. Das muss sich also ändern, womit die nächste Mission auf dem Plan steht: die Entdeckung des heterosexuellen Mannes, seiner sonderlichen Eigenarten, geheimen Treffpunkte und gewöhnungsbedürftigen Rituale. Ein schwierige Aufgabe, aber Brüno schreckt vor nichts zurück.

Sacha Baron Cohens drittes Alter Ego in Leinwandgröße ist wie Ali G und Borat ein grell überzeichneter Charakter, der nicht als Identifikationsfigur, sondern als Provokateur entworfen ist, und sorgt ebenfalls bereits vor dem Filmstart für Kontroversen, etwa ob der Film durch die schrille Stereotypisierung nicht nur Homophobie kritisiert, sondern auch befördert. Allerdings geht es in diesem Film fast so wenig ums Schwulsein wie in Borat um Kasachen, nämlich so gut wie gar nicht. Im Mittelpunkt stehen die Reaktionen von Personen, die sich plötzlich mit (teils subtilen, teils sehr massiven) Regelverstößen konfrontiert sehen, womit die Normen selbst und deren unhinterfragte Selbstverständlichkeit auf der Leinwand in Frage gestellt werden. Sicherlich ist Brüno kein glaubwürdiger Charakter, der dazu angelegt ist, von den Zuschauer/innen ins Herz geschlossen zu werden. Umso beängstigender ist es dann aber doch, wenn dessen völlig überzogenes Auftreten, sein Agieren jenseits aller Vorstellungen von Peinlichkeit, Scham, Angemessenheit und political correctness, von den damit Konfrontierten tatsächlich für bare Münze genommen wird. Die Mediengeilheit der Beteiligten verwandelt sie angesichts einer Kamera zu den eigentlichen Freaks, die Brüno als Katalysator neben sich verblassen lassen. Dies lässt Paula Abdul, die auf „mexikanischen Stuhlmenschen“ Platz nimmt und so sitzend über die Bedeutung von Mitmenschlichkeit spricht, zu einer genauso absurden Figur werden wie Brüno. Ebenso erklärt ein Kampfsportler, wie man am besten diese schrecklichen Tunten verprügelt („sich gegen sie verteidigt“) und entblödet sich dabei nicht festzustellen, dass man „Homos“ am besten daran erkennt, dass sie nett zu einem sind. In diesen Momenten wächst der Film über sich hinaus, dokumentiert unbeeindruckt die Hohlheit der Befragten und wirft implizit spannende Fragen auf. Zum Beispiel, wie unzufrieden jemand mit sich selbst sein muss, um auf jede Andersartigkeit mit Hass zu reagieren, warum eine ganze Horde von Menschen, die ihre eigene Heterosexualität (oder eigentlich „straightness“) gerade noch enthusiastisch gefeiert hat, sich kollektiv zutiefst verunsichern lässt durch lediglich zwei sich küssende Männer und an welchem Ende des gesunden Menschenverstands man eigentlich lavieren muss, um sein eigenes Kleinkind für unabgesicherte Extremsituationen herzugeben, „Hauptsache, es hat den Job [als Baby-Model]“.

Doch auch der Film selbst hat Schwachpunkte. So gibt es einige provozierte Situationen, bei denen man nicht so recht weiß, ob diese jemals dazu angelegt waren, mehr als schmerzlich peinlich zu sein, deren kritisches Potential man schlichtweg nicht zu erkennen vermag. Ebenso bedauerlich sind einige Längen des Films. Denn im Gegensatz zu Borat, bei dem die Roadmovie-Rahmenhandlung die teilinszenierten Fragmente nur wie einen roten Faden verbindet, wurde bei Brüno wesentlich mehr erzählerisches Beiwerk entwickelt, was fast immer auf peinlichen – wenngleich oft trotzdem komischen – Grenzverletzungs-Klamauk nach Art von Jackass hinausläuft.

Wenn man diese Einschränkung einmal formuliert hat, kann man den Film allerdings als ein anarchisches Glanzstück im weitläufigen Grenzbereich zwischen Trash, Satire und Ernsthaftigkeit feiern, die weit abseits der üblichen Fahrwasser des Filmschaffens liegt. Wer jedoch schon mit Borat und Ali G nichts anfangen konnte, wird an Brüno verzweifeln.

Brüno

USA 2009, R: Larry Charles, D: Sacha Baron Cohen & Gustaf Hammarsten

Kinostart: 9. Juli 2009

www.thebrunomovie.com
movies.universal-pictures-international-germany.de/brueno

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