Neue Musik ganz anders

Hof Klang: Das Festival für Neue Musik lässt Architektur erklingen

Mit dem Untertitel „Festival“ formulieren die Macher von ‚Hof Klang‘ einen hohen Anspruch: Wo andernorts die Festivals schrumpfen oder wie der Klangrausch vom MDR heuer zum letzten Mal stattfinden, hat es die kleine Initiative um Steffen Kühn gegen den Trend geschafft, bereits zum dritten Mal ein sehr anspruchsvolles Programm zu präsentieren und mit dem Projekt „Neue Musik und Kinder“ einen festen Pflock für Hof Klang 10 einzuschlagen.

Wer die letzten Ausgaben von ‚Hof Klang‘ erleben konnte, kannte bereits die verblüffenden Klangeigenschaften des himmelblauen Hofes in der Nikolaistraße 47. Klangeigenschaften, welche die heutige Musik hervorragend verträgt. Durch die räumlichen Möglichkeiten, die sich hier im Gegensatz zu einer klassischen Konzertsituation bieten, stellt sich überdies eine besondere Atmosphäre ein, die hilft, Hemmschwellen zu überwinden, welche in der Neuen Musik häufig bestehen. So hat Hof Klang 09 an zwei Tagen wieder um die dreihundert Hörer erreichen können, in der Mehrzahl Hörer, für die Neue Musik wirklich etwas Neues und Unbekanntes ist.

Die Programmierung von ‚Hof Klang 09‘ hat sich auf Kompositionen konzentriert, welche die Stimme, den Kontrabass und das Schlagzeug solistisch einsetzen. Kaija Saariaho und Sofia Gubaidolina sind zwei Komponistinnen, die sehr viel mit der menschlichen Stimme gearbeitet haben. Oft gibt ja gerade die Stimme der Neuen Musik ein Gesicht und kann die Ohren dadurch leichter erobern. „Korvat auki“, was so viel bedeutet wie Ohren auf, hieß bezeichnenderweise auch Saariahos Gruppe während ihres Musikstudiums in Helsinki.

Mit Sofia Gubaidulina und ihren Fünf Etüden beginnt das Programm. Ein Stück für die drei auch schon im letzten Jahr in Scelsis Okanagon zusammen agierenden Musiker, Aline Khouri (Harfe), Tobias Lampelzammer (Kontrabass) und Schlagzeuger Gerd Schenker. Subtil loten sie die feinsinnige Komposition aus. Wo anfangs noch das Ausklingen und Dehnen einzelner Töne im Vordergrund steht, werden später die komplexeren Strukturen mit hoher Energie aufgeladen, man glaubt bisweilen einen jazzigen Groove zu spüren. Toller Start, die Ohren sind auf.Il pleut von Kaija Saariaho, das zweite Stück, ist eine subtile Anspielung auf das (Regen-)Risiko eines Open-Air-Konzertes. Doch in dem Text von Guillaume Appollinaire regnet es (nur) weibliche Stimmen. Der Sopranstimme des Abends, Claudia Herr, – sie singt vom zweiten Balkon des Hofes – gelingt es vortrefflich sich auf die lyrische Dimension des Textes einzulassen. Aline Khouri an der Harfe auf der Bühne gegenüber gibt die perkussiven Kontraste zur sehr ruhigen Sopranlinie. Räumlich schon sehr spannend wird das Stück durch die Live-Geräusche des Hofes zu einem eindrücklichen Erlebnis: Wild pfeifende Mauersegler und das Läuten der Nikolaikirche verorten die Performance.

Mit Kaija Saariahos Stück für Kontrabass und Elektronik, Folia, geht es weiter. Bei ‚Hof Klang 08‘ hatte sich Tobias Lampelzammer mit seinem Kontrabass auf eines der schwierigsten Stücke der Kontrabassliteratur, Theraps von Iannis Xenakis, eingelassen: Wie er alle technische Anstrengung hinter sich lassend, den Sturzflug aus übersinnlichen Höhen in die dissonantesten Tiefen bewältigte, ist noch in guter Erinnerung. Und auch heute schafft er es wieder das technisch extreme Stück im Ergebnis gelassen und heiter im Klangraum des Hofes zu platzieren. Cornelia Fredericke Müller (Elektronik) dehnt, verdoppelt und verhallt die am Instrument erzeugten Töne, die Lautsprecher gegenüber der Bühne schaffen ein vieldimensionales Hörerlebnis, die Zuhörer sind begeistert, viel Applaus dafür vor der Pause.

Die Gruppe „Neue Musik Hanns Eisler“ brachte Krzysztof Meyers 3 Stücke op. 40 in einem ihrer legendären Rathauskonzerte am 16. Januar 1976 zur Uraufführung. Gerd Schenker, der Uraufführungsschlagzeuger, führt das Stück auch heute wieder auf, das zweite Mal nach der Uraufführung. Das dreisätzige Solostück für Schlagzeug und Einspielungen ist wie geschaffen für den himmelblauen Hof der Nikolaistraße 47. Im ersten Satz werden die Melodieinstrumente in sehr unterschiedlichen dynamischen Abläufen vorgestellt. Im zweiten Satz, der mit leisen diffusen Klängen beginnt, entwickelt sich ein Spektrum an Klangballungen, die dann mit Tonbandeinspielungen ergänzt werden, so dass sich ein Dialog zwischen eingespieltem Tonband und Interpret entwickelt. Dieser Dialog findet im direkten räumlichen Gegenüber von Schlagzeug und Lautsprechern statt. Das Tonbandeinspiel, welches Gerd Schenker extra für diese Aufführung aufgenommen hat, wird anfangs im Originalklang gegeben, in der Folge aber durch Veränderungen, durch Rückwärtseinspiel oder Einspiele im doppelten Tempo verfremdet: ein eindringliches hin und her sich überlagernder und widerstreitender Effekte.Adjö ist von skandinavischer Lyrik inspiriert, die Komposition beginnt sehr fragmentarisch. Vorsichtig tastend musizieren Claudia Herr (Sopran), Bettina Lange (Flöte), und Juliane Tief (Gitarre) vom zweiten Balkon des Hofes. Etwas Geheimnisvolles liegt in dieser Inszenierung; in der langsam einsetzenden Dämmerung des Abends weben sie die spröden Strukturen der Partitur, allmählich nimmt das Stück dann einen energischeren Ausdruck an und verdichtet sich. Bewegliche Melodien des Soprans und der Flöte umschmeicheln sich, bevor sie anfangen sich zu verhaken und weiter zu verdichten. Zauberhaft diese elf Minuten zarte Musik, schöner und eindringlicher kann man wohl nicht adieu sagen!

Dramaturgisch sehr richtig erwartet die Zuschauer am Ende des Abends eine szenische Aktion mit 5 Liedern aus den Galgenliedern ? 3 von Sofia Gubaidulina. Steffen Kühn hat im Rahmen seines Projektes „Neue Musik und Kinder“ die holländische Regisseurin Lotte de Beer gewinnen können. Kühn über sein Projekt: „Gerade Kinder haben oft einen verblüffend offenen Zugang zu Neuer Musik, sie haben wider Erwarten auch wenig Schwierigkeiten die technisch sehr anspruchsvollen Partituren umzusetzen. Woran das liegt und die sich anschließende Frage, ob man hier etwas von Kindern lernen kann, sind die Ausgangspunkte des Projekts ‚Neue Musik und Kinder‘.“ De Beers Plot um Morgensterns kabasurde Texte erzeugt verblüffende Bilder und Situationen. Die Mitglieder des Opernkinderchores verweben im Hof die zu Beginn die klassisch ernste Haltung mimende Sopranistin Claudia Herr mit sich und dem Publikum, dazu schweben aus den Hoffenstern rote Wollknäuels. In Das ästhetische Wiesel singen die Kinder dann selbst zur anspruchsvollen Begleitung von Kontrabass und Schlagzeug. Das Publikum ist begeistert und entlässt die Akteure erst nach langem Applaus.

Durch die Kombination von sehr anspruchsvollen, jedoch farbenreichen Kompositionen, erstklassigen Musikern und der besonderen Aufführungssituation hat es ‚Hof Klang 09‘ wieder geschafft, Neue Musik in Leipzig lebendig werden und wirken zu lassen. Aber auch durch die bewusste Beschäftigung mit der Tradition Leipzigs – Dr. Dettloff Schwerdtfeger, Geschäftsführer des Bacharchivs, ist im zweiten Jahr Begleiter und Schirmherr des Festivals – verortet sich ‚Hof Klang‘ im Musikleben der Stadt und leistet einen wichtigen Beitrag für die Wahrnehmung Neuer Musik.

Hof Klang 09
Festival für Neue Musik

Teil 1
Sofia Gubaidulina: Fünf Etüden für Harfe, Bass, Schlagzeug
Kaija Saariaho: Il pleut für Harfe und Sopran
Kaija Saariaho: Folia für Bass und Electronics

Teil 2
Krzysztof Meyer: 3 Stücke op. 40 für Schlagzeug mit Zuspielband
Kaija Saariaho: Adjö für Sopran/Percussion, Flöte, Gitarre
Sofia Gubaidulina: 5 Lieder aus den Galgenliedern ? 3 für Sopran, Bass, Schlagzeug

Schirmherr: Dr. Dettloff Schwerdtfeger
Träger: Gesellschaft für Kunst und Kritik e. V.
Konzeption & künstlerische Leitung: Steffen Kühn
Organisation & Technik: Eik Stiefel
Sopran: Claudia Herr
Harfe: Aline Khouri
Flöte: Bettina Lange
Gitarre: Juliane Tief
Soundkünstlerin: Cornelia Frederike Müller
Kontrabass: Tobias Lampelzammer
Schlagzeug: Gerd Schenker
Regie: Lotte de Beer und Rahel Thiel
Ausstattung & Licht: Marouscha Levy
Mitglieder des Kinderchors der Oper Leipzig

2. & 3. Juli 2008, Ehemalige Pelzmanufaktur Selter, Nikolaistraße 47

www.hofklang.de

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