Maschine Mensch?

Vallants „Hybride, Klone und Chimären“ und Gesangs „Perfektionierung des Menschen“ bewegen sich zwischen theoretischer Machbarkeit und ethischem Urteil

Die Mensch-Maschine
Halb Wesen und halb Ding
Die Mensch-Maschine
Halb Wesen und halb Überding
Kraftwerk: Die Mensch-Maschine

Pränatale Diagnostik, Gesichtstransplantationen, biomechanische Transplantate – weit haben es Medizin und Biotechnologie zumindest im Sinne der Machbarkeit bereits gebracht. Doch was bedeuten sie für den Menschen und das Denken vom Menschen? Christoph Vallant und Bernward Gesang haben sich an die Begriffsarbeit gemacht, welche sich angesichts dieser Herausforderungen stellt. Dabei gehen sie auf höchst unterschiedliche Weisen vor.

Gesangs Ziel ist die ethische Bewertung solcher Projekte, die er Enhancement nennt: „Unter Enhancement verstehe ich den Versuch einer technischen Verbesserung normaler Eigenschaften des gesunden Menschen durch Eingriffe in dessen Körper. So etwas beginnt mit Schönheitsoperationen und kann mit Chimären enden.“ Dabei hütet er sich vor vorschneller Parteinahme, stimmt weder das naive Lob des Fortschritts an, das bereits die Machbarkeit als Imperativ zur Umsetzung interpretiert, noch gibt er den sturen Kulturpessimisten, für den jede technische Neuerung sogleich Teufelszeug ist. Gesang betont vielmehr die Relevanz des Einzelfalls. So prüft er pro Kapitel moralphilosophisch verschiedene Felder, in die er zuvor einführt – vom Überblick bestehender Techniken bis zu Fragen der Gerechtigkeit und menschlichen Natur – und schließt sein Buch mit einer Liste, welche Art von Enhancement er für ethisch vertretbar hält.

Die Verkennung sozialer Realitäten und Strukturen der Macht

Letztlich, so sein Credo, müsse immer ganz konkret am jeweiligen Fall und im Kontext entschieden werden. Zudem dürfe niemand genötigt werden, sich solchen Maßnahmen zu unterziehen. Damit unterschätzt er allerdings gesellschaftliche Zwänge, die Menschen immer wieder zu Schritten treiben, welche eigentlich nicht ihrem Willen entsprechen. Und wie wenig Entscheidungsfreiheit gerade auf dem kapitalistischen Markt herrscht, muss an dieser Stelle wohl nicht explizit erörtert werden. Es dopt doch heute schon kein Sportler aus reiner Laune heraus und auch bezüglich der sozialen Gerechtigkeit zeigen sich, gelinde gesagt, Lücken. So dürfen Gesang zufolge Enhancement-Techniken nicht zur Herausbildung einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ führen. Hier hätte man gern nachgehakt, besteht eine solche doch bereits heute im Gesundheitssystem. Auch Schönheitsoperationen, die immerhin im Auge des jeweiligen Operierten als Enhancement gelten dürften, sind zumeist eine Frage des Geldes und damit nicht jedem und jeder zugänglich. Und wie stellt sich der Gesang überhaupt das Verfahren vor, das über den Einsatz von solchen Techniken entscheiden soll? In der Regel geht die technische Entwicklung ihrer Folgenabschätzung und ethischen wie legislativen Bewertung voraus. Solche souveränen Entscheidungssituationen, wie sie im Buch suggeriert werden, gibt es gar nicht. So klar sich folglich die Argumentation zunächst liest und sich Perfektionierung des Menschen auch gegen verkürzte Antworten wendet, schrammt es doch an der Wirklichkeit vorbei.

Die drei Kränkungen des Menschen und schiefe Metaphorik

Angesichts der bio-technologischen Herausforderung an den Menschen ist Christoph Vallant darum versucht, ein Vokabular zu entwickeln, mit dem sich das vor uns liegende Feld nicht mehr nur zukünftiger Möglichkeiten erkunden lässt. Er beginnt historisch in der Antike bei der Vorstellung des Kosmos als Maschine, kommt schließlich zur Mensch-Maschine in den Beschreibungen von d’Holbach und La Mettrie aber auch bei Descartes. Dann führt der rote Faden über die anatomischen Theater weiter bis zur Öffnung der Maschine Mensch und zum Studium seiner Organe, was schließlich in der Übernahme von Begriffen aus der Kybernetik in die Biologie respektive Biotechnologie führt und Vallant zu einer Art Paradigmenwechsel erklärt. Er fasst sodann die drei Kränkungen, die der Mensch im Zuge der Moderne erfahren habe, zusammen: Der Ausschluss aus dem Zentrum des Himmels mit der kopernikanischen Wende, das Verwenden von Leichen als Anschauungsobjekte und Beschreiben der Körpermaschine sowie die Maschinen als Metapherlieferanten für das Menschenbild.

Dass Vallant einer Mystifizierung der Kybernetik aufsitzt, die Missverständnis wenn nicht Verdunklungsstrategie ist, scheint ihm nicht aufzukommen. Diese schiefe Metaphorik ist aber die Crux. Denn er übergeht, dass es zunächst die Maschinen waren, die mit menschlichen Beschreibungen versehen worden sind und es sich nun höchstens um „Rückübersetzungen“ handelt. Wenn man originär menschliche Attribute leichtsinnig auf Apparate überträgt und sodann vom „Verhalten“ von Maschinen spricht und „künstliche Intelligenz“ propagiert, muss es zu komischen Ausdrücken wie „Botenstoffen“ kommen, welche die Frage nach sich ziehen, was die denn für Messages mit sich herumtragen. Nicht mehr weit ist es dann, nach einer Hermeneutik des „genetischen Textes“ zu rufen. Nur, weil man einst die Maschinen mit menschlichen Attributen ausstattete – sei es, um sie verständlicher zu machen, sei es aus wissenschaftsstrategischen Gründen – gelingt es scheinbar mühelos, die Menschen in Maschinenbilder zu setzen. Das ist bereits hinlänglich diskutiert worden, hier soll nur auf Heinz von Försters Ausdruck der umgekehrten Vermenschlichung (anthropomorphia inversa) hingewiesen werden sowie auf die Käthe Meyer-Drawes Studie Menschen im Spiegel ihrer Maschinen. Vallants überschwängliche frohe Botschaft kulminiert dann in Sätzen wie den folgenden:
„Die Avantgarde der genetischen Poeten geht allerdings noch einen Schritt weiter. Anstatt vorhandene Texte [Gencodes, T.P.] durch eigene Sequenzen zu erweitern, geht es ihnen darum, gleich von vornherein neue Texte und damit künstliche Lebensformen zu erschaffen. Anstelle des genetischen Lektors, der in bestehende Partituren eingreift, tritt der Dichter, welcher aus dem genetischen Alphabet neue Texte erschafft.“

Im Schlusskapitel fasst Vallant die vier in seinen Augen bisher absehbar möglichen Transzendierungen der conditio humana zusammen. Zum einen nennt er die Implantation von artfremden Genen und Chromosomen, was er als Überschreiten der Artgrenze beschreibt. Das Verzögern des Alterungsprozesses stelle zweitens ein Überschreiten des „natürlichen“ Laufs menschlichen Lebens dar. Drittens ließe sich so die Ordnung der Erbfolge als Übergabe des Genmaterials anders strukturieren und schließlich könne man so auch der Undurchsichtigkeit des Schicksals beikommen, indem man die „Botschaft“ des genetischen Programms entschlüssele. Nach solchermaßen grundsätzlich bejahender Lektüre anthropotechnologischer Möglichkeiten, die bestimmt ist vom Fehlschluss, dass bloße Machbarkeit gleich die Umsetzung rechtfertigt – also in anderer Art unbegründet von einem Sein das Sollen ableitet – liest sich Vallants Fazit überraschend nüchtern. Was das für ein Mensch wäre, der stets um die genaue Stunde seines Todes wüsste, fragt er da, und ob dieser Art Übermensch – wie er ihn in Nietzschefolge immer wieder nennt – glücklich sein würde. Sicherlich nicht, wenn Glück sich doch bestenfalls als … Unbestimmtes, aus der Ungewissheit erfahren denken lässt.

So bleibt auch in Vallants Buch vieles offen bis opak, was nicht zuletzt seiner verkürzten Ideengeschichte menschenverändernder Machbarkeitsphantasien geschuldet ist, die eine Linie von Descartes und La Mettrie bis zur schiefen Maschinenanthropologisierung der Kybernetiker ergeben soll. Als erstaunlich fällt auch auf, das Vallant den Diskurs um die (menschliche) Natürlichkeit unbedacht lässt, was doch eine wesentliche Kategorie sein müsste, wenn man von Chimären oder Hybriden spricht. (Bei Gesang bleibt dieser Punkt ebenfalls unberührt.) Auch Namen wie Donna Haraway, die ihr Cyborg Manifesto vor bald 20 Jahren vorlegte, oder Stellarc, der sich intensiv am Mensch-Maschine-Interface künstlerisch abarbeitet, sucht man im Buch vergebens. So bleibt, sich zunächst weiterhin an Kants Frage abzuarbeiten: Was ist der Mensch?

Christoph Vallant: Hybride, Klone und Chimären. Zur Transzendierung der Körper-, Art- und Gattungsgrenzen
Königshausen & Neumann
Würzburg 2008
157 S. – 24,80 €

Bernward Gesang: Perfektionierung des Menschen
de Gruyter
Berlin 2007
176 S. – 19,95 €

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