Wie wird man, wer man ist

Audrey Tautou im Biopic „Coco Chanel – Beginn einer Leidenschaft“

In diesem Film erfährt man ein paar Dinge über Mode, in diesem Film erfährt man manches über die Lebensumstände der besseren Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts und man erfährt erwartungsgemäß etwas über das erste Drittel des Lebens von Gabrielle „Coco“ Chanel. Vor allem aber bekommt man eine Antwort auf die Frage: Wie verwirkliche ich mich selbst, wie werde ich, wer ich im Innern schon längst bin? Diese Frage wird an einer der eigensinnigsten Frauen Anfang des vergangenen Jahrhunderts exemplifiziert.

Eine Person, die sich aus ärmlichen Verhältnissen und eigener Kraft ihren Weg ebnet, an dessen Ende sie das machen kann, was ihr großes Talent ist und den Beginn unvergleichlichen Weltruhmes bedeutet. – Das stellt einen dankbaren Stoff dar, sowohl für einen Roman als besonders auch für einen Kinofilm, Motiv: vom Tellerwäscher zum Millionär. Die einzelnen Schritte dieses Weges nachzuzeichnen, versucht Anne Fontaine in einer Mischung aus Kostümfilm, freier Biografie und Entwicklungsgeschichte einer unter den vorherrschenden Bedingungen leidenden Frau.

Gabrielle Chanel wird als uneheliche Tochter nach dem Tod ihrer Mutter vom Vater verlassen und zusammen mit ihrer Schwester in ein Waisenhaus gegeben. Dort verbringt sie in unerfüllter Hoffnung auf eine Rückkehr des Vaters ihre Kindheit. Als junge Frau verdient sie sich als mittelmäßige Sängerin in einem Varieté und als Näherin in einer kleinen Schneiderei ihr Geld. Bis zu dem Tag, als Etienne Balsan im Lokal beginnt, immer wieder ihre Nähe zu suchen und so ihren Traum vom Verlassen der Provinz greifbar werden lässt. Als Balsan schließlich zurück auf sein Schloss nahe Paris, dem Ziel eines jeden aufstrebenden Geistes, reist, fährt sie ihm kurzerhand unter einem Vorwand hinterher, mit der unterschwelligen Absicht so etwas wie seine Kurtisane zu werden. Die erste Etappe ist damit geschafft. Ab diesem Zeitpunkt ist sie in einer Gesellschaft, die sie zwar anfangs nicht wahrzunehmen oder sogar abfällig zu betrachten scheint, aber gleichzeitig die nötigen Überschüsse besitzt und viel davon für die Mode auszugeben bereit ist. Darüber hinaus findet sich unter den Lebeleuten auf Schloss Royallieu das entsprechende Bewusstsein und Bestreben, sich selbst in Szene zu setzen und möglichst als erste den neuesten Trend zu präsentieren. So ist die bekannte Schauspielerin Emilienne der eigensinnigen Coco nicht abgeneigt, sondern empfindet gewisse Sympathie für deren teils gewagte Innovationen, zum Beispiel deren schlichte Hutkreationen oder das Tragen von Hosen beim Reiten, was zweifelsohne durch die geänderte Position auf dem Pferd einige Vorteile verspricht und ganz im Gegensatz steht zu dem Eingezwängtsein im Reitkostüm (mit beiden Beinen zu einer Seite) „wie auf eine Torte oben drauf gesetzt zu werden“, was ohne fremde Hilfe schlechterdings unmöglich ist. Coco wird akzeptierte Außenseiterin und gewinnt mehr und mehr auch die Liebe Etiennes. Sie selbst verliebt sich ihrerseits in Boy Capel, der ähnlich wie sie aus ärmlichen Verhältnissen stammt und der einzige zu sein scheint, der ihre moderne innere Kraft erkennt. Er ermutigt sie schließlich, mit ihren Entwürfen einen eigenen Laden zu eröffnen, um so mehr modebewusste Damen zu erreichen als all jene, die bei Etienne ein und aus gehen. Die zweite Etappe ist damit geschafft. Sie macht sich von ihrem Gönner frei, hat ihren eigenen Laden in Paris und verdient ihr eigenes Geld. Ein Novum für eine Frau, die eigentlich gar nicht arbeiten müsste und sich mit allerlei Kurzweil die Zeit auf dem Schloss ihres Mäzens vertreiben könnte, der dann sogar bereit ist, sie zu heiraten. Sie erzielt mit ihrem Geschäft großen Gewinn und erweitert ihre Kopfziermodelle um andere Kleidungsstücke und Accessoires. An dieser Stelle endet der Film mit einer Modenschau als Vorausblick auf das Schaffen Chanels. Nur die ersten Jahre, die zu dem wahnwitzigen Erfolg Coco Chanels führten, werden abgebildet. Die Regisseurin entschied sich dabei bewusst gegen ein schieres biografisches Erzählen und konzentrierte sich darauf, die Kreativität und die Gründe für die gelungene Verwirklichung einer Idee zu zeigen. Denn genau diese Phase ist der Abschnitt dieses Lebens, dem wahrlich romanhafte Züge anhaften. Der Inhalt des Filmes ist dabei relativ schnell erzählt. Worauf es wirklich ankommt, ist, eine Person zu sehen, die gegen die Konventionen, die allen Erwartungen und gesellschaftlichen Vorgaben zum Trotz sie selbst bleibt, sie selbst wird. Gleichzeitig schafft sie es, die Gesellschaft zu modernisieren und nach ihrer Art zu gestalten. Das, was sie so fremd- und eigenartig macht, wird nachahmenswert, wird Mode.

Welche Faktoren spielen eine Rolle, um solche Erneuerungen möglich zu machen? Welche Kraft und Stärke muss von dieser Frau ausgegangen sein, dass sie viele von denen, die anderen Traditionen und Prinzipien anhingen, im Laufe der Jahre quasi übertreten und ihren Vorschlägen folgen lässt? Die Zeit war günstig. Sie schrie nach Veränderungen, sie schrie nach jemandem, der sich traut. „Zuviel Federn, zuviel Schminke, zuviel Schischi.“ Der Trend zum „weniger ist mehr“, zur Eleganz und Geradlinigkeit geht einher mit dem Wunsch nach Autonomie der Frauen, die nicht mehr gewillt waren, sich in unbequeme Korsetts quetschen zu lassen und auf der Suche nach einer Mode, die diese neue Lebenseinstellung besser zum Ausdruck brachte, waren. Coco nähte sich die Kleidung ihrer Männer um und verwendete Schnitte und Stoffe, die eine Frau dazu befähigten, ihren bloßen Schmuckstückcharakter ebenso wie den restlichen dazu gehörigen Zierrat ablegen zu können. Die bescheidenen Mittel wider den Pomp schafften eine neue Magie der Schlichtheit, welche dieser Zeit gut tat und sie nicht nur modisch, sondern metierübergreifend erfrischte. Coco Chanel war mit ihrer Inspiration, ihrem Einfallsreichtum, ihrem Geist und ihrer Modernität zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Durch ihren Anspruch auf alle Freiheiten in Beruf und Liebe, die für Männer längst selbstverständlich waren, schenkt sie allen Frauen die Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens, die es braucht, um ihnen selbst dazu Mut zu machen.

Der Film versteht es in seinem unorthodoxen Umgang mit der Biografie die berühmte Person Coco Chanel auf frische Weise zu zeigen und sie gleichzeitig als mutige Frau, als Charakter ihrer Epoche, die den Wunsch und die Fähigkeit besitzt die Welt zu bezaubern und zu verändern, darzustellen. Dazu trägt eine wieder einmal glänzende Audrey Tautou als Coco, sowie Benôit Poelvoorde in der Rolle des Etienne bei. Eher unpassend ist die Besetzung des Boy Capel durch den aalglatten Alessandro Nivola. Leider geht dadurch die Tiefe der für Chanel überaus wichtigen Beziehung verloren und erhält stattdessen einen seifigen und theatralischen Beigeschmack, der dem Zuschauer eher ein Gähnen als die vielleicht passendere Träne entlockt. Sieht man von diesem kleine Makel ab, ist es ein sehr gelungener und unterhaltsamer Film über eine Frau mit Visionen und Überzeugungen, die den Nerv der Zeit treffen und das Märchen von der armen Näherin aus der Provinz zur angesagtesten Modeschöpferin von Paris wahr werden lassen.

Coco Chanel – Beginn einer Leidenschaft

Fankreich 2009, 110 min, R: Anne Fontaine, B: Edmonde Charles-Roux, D: Audrey Tautou, Alessandro Nivola, Marie Gillain, Benoît Poelvoorde, Emmanuelle Devos

Kinostart: 13.08.2009

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