Felix, der Glückliche

Chailly „Großes Concert“ zu den Mendelssohn-Festtagen

Volker Tarnow hat in der „Welt“ Anfang dieses Jahres unter dem Titel Felix Germania, ein Glücksfall der Musik einen spannenden Artikel zum 200. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy veröffentlicht, in dem er schreibt: „Das Bild von Felix, dem Glücklichen, stimmt in großen Zügen. Man hat allerdings darüber Felix, den Facettenreichen, nahezu vergessen. Er war viel mehr als der Sunnyboy des Biedermeiers.“ Tarnow zeichnet das Bild des Gründers der ersten Musikschule Deutschlands 1843 in Leipzig, des Bachentdeckers und des Erschaffers des deutschen Chorliedes. Für Mendelssohn war es kein Widerspruch sich in seinen Gewandhauskonzerten auf die Vergangenheit zu konzentrieren, auf der anderen Seite neue Gattungen wie die zur zyklischen, einsätzigen Form tendierenden Klavierkonzerte oder die Symphonie-Kantate, das Streichoktett und die lyrische Klavierminiatur zu erfinden. Wo sein Großvater Moses, der Aufklärungs-Philosoph, den Geist befreien will, sucht Felix Befreiung in der Musik.

Mendelssohns befreiendes Musikschaffen hat ganz offensichtlich die Programmierung des heutigen Abends beeinflusst. Es startet mit Luigi Nonos zwölftönig angelegter einsätziger Komposition Composizione per orchestra No. 1. Das Werk, welches 1952 in Hamburg uraufgeführt wurde, hat bis heute nichts von seinem Ausdruckswillen verloren. Die Musikgeschichte will wissen, dass die Komposition ein geheimes Programm hat. Nono arbeitete 1951 an einem Werk über den kommunistischen Journalisten und Schriftsteller Julius Fucik, der von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Aus diesem Werk wurde aber nichts, Ideen und Ausdruck sollen sich nunmehr in Composizione per orchestra No. 1 wiederfinden. Subtile Farben und der narrative Einsatz einzelner Stimmgruppen erzeugen ein differenziertes Klangbild, im dritten Teil, den der Schlagzeugapparat, Klavier und Harfe bestreiten, türmen sich die Klangflächen aufeinander. Ein Hinweis auf das tragische Leben Julius Fuciks? Das Gewandhausorchester wirkt ein wenig angestrengt bei diesem stürmischen Beginn, gerade in den Schlagzeugattacken hätte man sich mehr sinnlichen Reiz gewünscht.

Für Beethovens G-Dur Klavierkonzert hat man heute Maurizio Pollini gewinnen können. Pollini nach Nono – das macht Sinn! Pollini in Leipzig – auch das macht Sinn, wo gerade auf der anderen Seite des Augustusplatzes Peter Konwitschny Nonos Al gran sole carico d’amore probt. Pollini, Freund und Weggefährte Nonos, hat sich natürlich den Besuch einer Probe in der Oper nicht nehmen lassen. Das sind die musikalischen Begegnungen, welche auch Felix glücklich gemacht hätten.
Über Beethovens G-Dur Klavierkonzert ist seit der öffentlichen Uraufführung am 22. Dezember 1808 mit Beethoven als Solisten am Theater an der Wien viel geschrieben wurden. Wohl jeder hat die eingängigen Akkorde des klassischen Evergreens im Ohr und doch erreicht Maurizio Pollini heute unsere gespannte Aufmerksamkeit. Mit der Gelassenheit eines Bildhauers bearbeitet er das Material, schnörkellos bereichert er die Partitur um feinste Nuancen, die immer wieder aufhören lassen.

Auch die drei Uraufführungen der Mendelssohn-Festtage 2009 hätten Felix glücklich gemacht. Detlef Glanert, Sir Peter Maxwell Davies und Georg Friedrich Haas haben Kompositionsaufträge erhalten. Haas´ Traum in des Sommers Nacht erlebte heute seine Uraufführung. Eine sehr farbenreiche Musik hat Haas da geschaffen, Haas´ Idee war, eine auf Zitatenschichtung setzende Struktur zu generieren. So schwierig dieser Ansatz erscheint, so überzeugend ist das Ergebnis. Haas ist nicht der Gefahr erlegen, Bekanntes lediglich neu zu montieren, Motive aus Mendelssohns Schaffen leuchten nur kurz als Ausgangspunkte musikalischer Entwicklungen auf. Nach einem rhythmischen Beginn mit viel Schlagzeugflächen stehen vier Akkorde aus dem Sommernachtstraum am Anfang starker auf- und abschwellender Bewegungen, kräftige Farben tauchen auf und verschwinden mit der Regelmäßigkeit des Aufleuchtens eines Leuchtturms. Mit dem Hebriden-Motiv beginnt eine äußerst polyphone Struktur. Riccardo Chailly gelingt es, das sich generierende extrem dichte Netz musikalischer Felder immer durchhörbar zu gestalten, das Gewandhausorchester jetzt in allen Stimmen gefordert, fühlt sich wohl in Haas´ Musik. Viel Applaus für den sichtlich bewegten Georg Friedrich Haas.

Der Kontrast zu Mendelssohns Italienische Sinfonie am Schluss des Konzertes könnte nicht größer sein. Für ein Konzert der Mendelssohn-Festtage geht das aber völlig in Ordnung. Man hat die von Mendelssohn überarbeitet Fassung von 1833/34 für den heutigen Abend gewählt. Diese Fassung arbeitet u. a. die Themen der Klarinette und der Bläserstimmer voller und moderner heraus. Alle technische Anstrengung hinter sich lassend nutzen die Bläser des Gewandhausorchesters diese Vorlage in genialer Weise. Nach der heutigen Interpretation könnte man diese Fassung Konzert für Bläser und Orchester nennen, auch Felix wäre darüber sicher glücklich!

Felix, der Glückliche

Mendelssohn-Festtage Leipzig
GROSSES CONCERT

Luigi Nono (1924 – 1990)
Composizione per orchestra No. 1

Ludwig van Beethoven (1770 – 1824)
4. Konzert für Klavier und Orchester G-Dur op. 58

Georg Friedrich Haas (geb. 1924)
Traum in des Sommers Nacht – Hommage ? Felix Mendelssohn Bartholdy
(Uraufführung, Auftragswerk des Gewandhauses zu Leipzig)

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
4. Sinfonie A-Dur (Italienische)
(Welterstaufführung nach der authentischen Ausgabe von Breitkopf & Härtel)

Gewandhausorchester
Riccardo Chailly
Maurizio Pollini, Klavier

Freitag, 28. August 2009, Gewandhaus Leipzig




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