Zur Vielgestalt musikalischer Intentionen

Der letzte Konzertabend der 33. Leipziger Jazztage gehört Marc Ribot, Avishai Cohen und dem Transatlantic Freedom Suite Tentet

Der Konzertabend vom 29. August im Leipziger Opernhaus, mit welchem die 33. Leipziger Jazztage ihr nahendes Ende ankündigten, präsentierte drei Formationen, die in ihrer Abfolge einen vielseitigen, fast schon disparaten Eindruck machten.

Den Abend eröffnete das Transatlantic Freedom Suite Tentet um die Freejazz-Ikone Günter Baby Sommer – eine im Namen des Jazzclub Leipzig in Auftrag gegebene Arbeit zum Gedenken an die friedliche Revolution 1989. Zwei schon vor Beginn des Konzerts an eine Leinwand projizierte Bilder – das Plakat der 14. Leipziger Jazztage 1989 und das Foto einer damaligen Volkspolizeiblockade – gepaart mit einer O-Ton-Einspielung des mitwirkenden Saxophonisten Ernst-Ludwig Petrowsky aus dem Konzert der 14. Jazztage bekräftigen noch einmal ausdrücklich diesen inhaltlichen Bezug. Damit wurde zugleich der eigene Anspruch aufgestellt: Musik wird hier zwar selbst nicht zum Politikum, aber sie beansprucht in ihrer abstraktesten Gestalt die Darstellung eines konkreten Politikums als Repräsentant des allgemeinen Gedankens von Freiheit und Selbstbestimmung.

Ein klar strukturierter Aufbau der Besetzung bildete hier den Rahmen für solistische wie gemeinsame Improvisation: Das herausstechend lyrische Zwischenspiel des Fagottisten Eckart Bormann schloss den sich wechselnd in kleinen Gruppen und Solisten vollziehenden Auftritt des Tentets ab und bildete so zugleich das dramaturgische Zentrum, nach dem sich die freie Improvisation innerhalb des gesamten Ensembles fortsetzte. Wirkte das Zusammenspiel im Fall der als zweites auftretenden Gruppe aus Ernst-Ludwig Petrowsky, Oliver Schwerdt und Christian Lillinger anfangs noch eher lose und zusammenhangslos, so setzte sich die schon im Großen des allgemeinen Aufbaus deutlich hervortretende Strukturierung später auch im Kleinen der gemeinsamen Improvisationen durch. Besonders Sommer arbeitete hier herausstechend motivisch und bot seinen Mitmusikern so auch klare Ansatzpunkte zur gemeinsamen Gestaltung; auch seine Rolle als Dirigent in der zweiten Hälfte trug wesentlich dazu bei, den letztlich neun Stimmen bei aller Freiheit des individuellen Spiels zu einem organischen Gesamtklang zu verhelfen. Allein, es blieb durchaus fraglich, ob dieses Projekt dem eingangs erwähnten Anspruch genügen konnte. Jenseits der personellen Kontinuität in Gestalt Sommers und Petrowskys und des im Ganzen metaphorisch zu verstehenden freien Zusammenspiels aller Beteiligten fehlte hier leider der eigentlich inhaltliche Nexus zum Ereignis 1989, was somit das konzeptionell-künstlerische Fundament des gesamten Projekts letztlich aushöhlte.

Vollkommen gegensätzlich nahm sich hierzu das zweite Konzert aus: Das fünfköpfige Ensemble um den israelischen Bassisten Avishai Cohen präsentierte vordergründig schlichte und den Zuhörer unmittelbar angehende Kompositionen zwischen nahöstlicher Folklore und Jazz. Jeder einzelne Titel wirkte klar und eingängig arrangiert, ohne damit aber in allzu starre Formen zu verfallen. Im Vordergrund stand immer der jeweils melodische Gedanke des Themas, dem sich die einzelnen Improvisationen so unterordneten, dass die vorgegebene musikalische Idee nie zum bloßen Medium degradiert, sondern immer als zentraler Bezugspunkt behandelt und ausgearbeitet wurde. In der konkreten Umsetzung der Themen wechselten die verschiedenen Motive meist zwischen Unisoni von Pianist Shai Maestro und Oud-Spieler Amos Hoffman und gemeinsamen Vokalpassagen von Cohen mit Karen Malka. Die Schlichtheit und Unmittelbarkeit der Kompositionen wie Arrangements ergänzte sich schlüssig durch die Improvisationen, welche vordergründig mit einer entsprechend eingängigen Melodik und Motivik arbeiteten. So stachen etwa die Soli Maestros auch im gezielten Eröffnen neuer rhythmischer Ebenen und punktuellem Erweitern des harmonischen Rahmens nie aus dem vorgegebenen Rahmen heraus. Daneben zeigte besonders das Solo Cohens im Titel Two Roses ein beeindruckendes Wechselspiel mit dem über den gesamten Abend äußerst innovativ agierenden Percussionisten Itamar Doari; ständig wanderten rhythmische Phrasen zwischen beiden hin und her, Stopps und Zielpunkte wurden gekonnt vorausgesehen. Dieses souverän umgesetzte Gesamtkonzept musikalischer Unmittelbarkeit wurde vom Leipziger Publikum auch wärmstens aufgenommen und seitens der Musiker mit zwei Zugaben quittiert. Das letzte Stück, Alfonsina y el mar, mit seinem eindrücklichen Text von Cohen solistisch interpretiert, bildete nicht nur formal einen Abschluss, sondern erwies sich geradezu als exemplarische Gestalt des gesamten zweiten Konzerts.

Das letzte Konzert des Abends bestritt der Gitarrist Marc Ribot mit seinem Trio Ceramic Dog, welches durch die Violinistin und Sängerin Eszter Balint erweitert wurde. Die Musiker präsentierten eine recht eigentümliche Verbindung von einfachen Liedformen in verschiedenen Rockstilistiken und synthetischen Verfremdungen. Eher zum rein Klanglichen tendierende Flächen, die auf verschiedene Weise intensiviert, verdichtet und gleichzeitig durch Einbrüche des Synthesizers von Shahzad Ismaily oder durch Schlagzeuger Ches Smith durchschnitten wurden, gingen in typenhaft anmutende Rockrhythmen über, wie etwa in progressiv geschlagene Akkorde oder in die in 6/8 schwingenden Arpeggien einer Rockballade. Dazu sang Ribot meist introvertiert zurückgenommen Texte, die in gleicher Weise auf paradigmatischen Rock Bezug nahmen: „Break on through to the other side!“, „I found a love“ und so fort. Die Ausbrüche aus diesen Klischees heraus geschahen meist immer noch in Verbindung mit für Rockmusik stilgetreuen Gitarrensoli, die aber schnell in den allgemeinen Auflösungstendenzen von erst klaren melodischen Phrasen ins Klanglich-Destruktive gleiten. Das alles wirkte letztlich wie eine Persiflage und ist wohl auch gerade so zu verstehen; eine Auseinandersetzung mit den inzwischen zum Klischee erstarrten Formen einer Musikrichtung in den letzten 50 Jahren. Die großen Bögen der einzelnen Titel, in denen sich das Ensemble letztlich immer wieder in die zuvor verlassenen Formen fand, wirkten jedoch an einzelnen Stellen leicht überzogen, insofern dort, wo eine weitere Intensivierung nötig gewesen wäre, sich keine mehr ereignete. An solchen Stellen verlor sich damit auch leider die eigentliche Pointe.

Dass diese drei Konzerte keine thematische Einheit bildeten, war für jeden Zuhörer unschwer zu sehen. Zwar ist ein derart vereinigendes Band in keiner Weise notwendig, noch war wohl von den Organisatoren beabsichtigt; dennoch zeigte sich in der Konzeption des gesamten Abends ein Anordnungsproblem, da die größte musikalische Zugkraft klar auf dem Ensemble Avishai Cohens lag. Es wäre durchaus wünschenswert gewesen, dieses Konzert zum Abschlusspunkt zu machen. Damit wäre nämlich nicht nur eine klare Finalität in den Abend gekommen. Zudem hätte das Ribot’sche Projekt auch mehr Luft gehabt, den ihm gebührenden Eindruck zu entfalten. So stand es leider notgedrungen im Schatten seines Vorgängers, was den musikalischen Eindruck ungebührend schmälerte.

Leipziger Jazztage

Transatlantic Freedom Suite Tentet
Avishai Cohen: Aurora
Marc Ribot: Ceramic Dog feat. Eszter Balint

29. August 2009, Oper Leipzig


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