Rollenspiele

Zur Uraufführung von „Solo Fanny“ mit einer Replik des Autors Robert Mieth

„Felix macht glücklich.“ Mit diesem Slogan werben derzeit die Veranstalter der diesjährigen Mendelssohn-Festtage in Leipzig um aufmerksame Zuhörer. Diese der Musik geweihten Feiertage stehen unter einem ganz besonderen Zeichen. Denn das Motto könnte gut als Devise für all die von einem breiten Medienecho begleiteten Events, Konzerte, Konferenzen dienen, die sich aus Anlass des 200. Geburtstages bundesweit ausbreiten und über mehrere Monate erstrecken: 2009 wurde gar kurzerhand zum „Mendelssohn-Jahr“ erklärt.

Doch es gibt auch einige wenige, die es sich angelegen sein lassen, den Leuten die unbeschwerte Feierlaune gründlich zu verderben. Denn dass Felix glücklich macht – davon ist Mendelssohns Schwester Fanny in Robert Mieths Theater-Collage, die unter dem originellen Titel Solo Fanny zur Spielzeiteröffnung der Saison 2009/2010 im Kellertheater der Oper Leipzig uraufgeführt wurde, gelinde gesagt nicht gerade überzeugt. Es entsteht vielmehr der Eindruck, als hätte der Autor seiner Heldin Fanny dieses Motto als Stichwort gegeben – und schon bricht einem Vulkan gleich ein Wortschwall aus der „verkannten Schwester“ heraus: zweiundeineviertelstundelang! Als Seilwinderin ihrer eigenen Beredsamkeit spinnt Fanny vermittelst endloser Wortkaskaden in einem nicht abreißen wollenden Faden ihre eigene Geschichte zu einem Text zusammen. Sie konstruiert ihren eigenen Mythos. Sie stimmt eine Parodie auf ihren Bruder an, der im Wortsinn Gegen-Gesang ist und der ohne Atemholen auf das geduldige Publikum hernieder prasselt: so – in etwa – legt Fanny in Mieths Stück eine Offenbarung ab, die sich kurz gesagt gründlich gewaschen hat.

Nun, solche aufgebrachten Damen aus dem Umfeld vermeintlicher Genies sind uns mittlerweile wohlbekannt. Beinahe jeder gutbürgerliche wie fast jeder goethehassende Weimar-Tourist hat sich schon einmal in das monologische Gespräch über den abwesenden Herrn von Goethe im Hause von Stein von Peter Hacks verwickeln lassen. Und Thomas-Bernhard-Kenner ahnen nicht nur, sondern sie wissen längst, woher Robert Mieth Stil und Aufbau seiner Collagen genommen hat.

Umso erstaunlicher, mit wieviel Anmut, Charme, ja Liebreiz die aus Leipzig stammende Sängerin Christine Wolff diese verbitterte Fanny Robert Mieths spielt, wie sie ihre Augen leuchten lässt, um dieser Figur das nötige Quantum Leben einzuhauchen, für das wir Zuschauer ihre Fanny liebenswürdig finden können. Wolff zeigt eine konzentrierte, überlegte, aber immer natürlich bleibende Bühnenpräsenz – zweiundeineviertelstundelang. Mieth war ungnädig genug, den Monolog mit zahlreichen Liedern von Felix und Fanny zu garnieren, die Wolff während ihres Monologs vorzutragen hat. Das bedeutet Schwerstarbeit – schwerer noch als beim „Theatermacher“. Denn eigentlich geht nur eines über eine längere Zeit auf der Bühne: Singen oder Sprechen. Beides zusammen ist eine echte Herausforderung, der sich Wolff wacker stellt. Ihr Liedvortrag ist mit Feingespür für Stimmungen, mit schönen, eleganten Aufgängen, einer geschmackvollen Phrasierung ausgestattet. Dass er nicht perfekt sein kann, verwundert bei diesem Marathon für eine Stimme niemanden. Und dass manche Geste ein Zuviel war, eine Illustration statt einer sich aus dem Textsinn zwingend ergebenden Notwendigkeit, ist nicht ihre Schuld. Christine Wolff hat eine sehr beachtenswerte, sorgfältig einstudierte und ganz lebendige Fannyfigur dargestellt. An ihrer Seite sitzt Anastasia Mozina Braun am „Flügel des Gesanges“ und arrangiert mit vielen musikalischen Zitaten auf Stichworte das Ganze zu einem Hörbild.

Mieths Monolog Solo Fanny – bereits sein sage und schreibe siebtes Stück dieser Art seit 2006 in Folge – wird als „Psychogramm einer Beziehung“ vorgeführt. Diese „Beziehung“ soll die Rekonstruktion des „Verhältnisses“ von Fanny zu ihrem Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy darstellen. Im Grunde ist das „Psychogramm“ nichts mehr als eine historisch etwas später angesiedelte Version des Peter Hacksschen Modells Frau (von Stein) und geniebegabter Herr (von Goethe), die sich epigonal Thomas Bernhardscher Theaterprosa bedient. Der Autor versucht, einen „Monolog der Fanny Cäcilie Hensel geborene Mendelssohn zur Freitagnacht des 13. zum 14. November 1846 in Berlin Leipziger Straße 3“ nachzustellen. An diesem Abend gab Fanny nachweislich im privaten Kreis eine Soirée, zu der eigentlich auch ihr Bruder auftreten sollte – doch der blieb aus. Nach diesem Konzert zog sich Fanny sofort auf ihre Zimmer zurück, man fand sie später in Tränen aufgelöst über ihren Papieren sitzen. Man sollte meinen: Ein gut gewählter historischer Augenblick für ein „Psychogramm“. Eingebettet wird das Ganze in einen Prolog einer sich selbst moderierenden Sängerin inmitten der feierseligen Rezeption Mendelssohns in unserer Zeit. In diesem Prolog wird – wen wird es wundern – kritisiert, dass wir Heutigen als Publikum nur an einem schöngefärbten, leichtbekömmlichen Bild Mendelssohns interessiert seien, das man zwischen Hauptgang und Dessert während eines musikalisch untermalten Schlemmermenüs gerade noch verkraften kann. So weit, so gut. Der kritische Prolog ist bald zu Ende und nun kommt die ungesunde Kost, die den Zuschauern schwer im Magen liegen soll: Die an ihrer Weiblichkeit leidende Frau als Künstlerin im „Masculinäum“, „die verkannte Schwester“ im Beziehungsstress mit ihrem berühmten chauvinistischen „Bruder“ – man ahnt bereits, worauf dieses „Psychogramm“ hinauslaufen wird. Und niemand muss dahingehend enttäuscht nach Hause gehen: Der nächtliche Monolog, zu dem sich noch der unsichtbare, sich nur durch eine englische Melone zu erkennen gebende Mr. Thompson als neugieriger stiller Zuhörer gesellt, wird zum „Tag der Abrechnung“. Vorwürfe in allen Nuancen und Schattierungen, intime Indiskretionen jeglicher Farbgebung, das stille und das laute Leiden der Fanny Hensel werden umfassend und bis zur Selbsterschöpfung zur Sprache gebracht.

Schade, dass Mieth dabei überwiegend nur einen synkretistischen Cocktail mixt, in dem oft wiederholte Versatzstücke aus altgedienten Ideologien zusammengetragen werden. Fanny erscheint allzu stark und eindimensional als das arme, leidende „Opfer“ einer frauenfeindlichen Umwelt und eines übermächtigen Bruders, der wie ihr Vater ihr Talent nur „zurückdrücken“ will. Wahrheit oder Fiktion? Niemand weiß, „wie es eigentlich gewesen ist“. Doch ein solches Genrebild jedenfalls, wie es Mieth den angesichts solcher Platitüden schnell ermüdenden Zuschauern zweiundeineviertelstundelang zumutet, mündet in einen Leerlauf, kreist stets um dieselbe immer unerträglicher werdende Larmoyanz, über die nur die schönen Augen der Frau Wolff hinwegtrösten können. Der Blick in die schwarze, dunkle Bühnenkulisse senkt die Augenlider wieder, die allmählich so schwer werden wie Blei … Immerhin: Das ist ein erstaunliches, nur schwer zu erreichendes Kunststück bei einem „Psychogramm“, das zwei so muntere, geistig regsame und humorbegabte Figuren wie Fanny und Felix als Helden hat. Das wird dem Autor so schnell keiner nachmachen.(Sebastian Schmideler)
Eine Replik auf die Rezension:

Nachstehend veröffentlichen wir eine Replik von Robert Mieth auf die obige Rezension. Da sie direkt vom Autor des Stücks stammt und zudem die Form eines Forumseintrags sprengt, findet sie sich hier platziert. Die weitere Debatte sollte aber praktischerweise im Forum ausgetragen werden.

„‚Süßer Schlaf‘, ‚köstlicher Schatten‘

Eine Rezension, die ihren Namen verdient? Sollte dieses aus ökonomisch gesteuerten, lobbyistisch bestimmten Interessenkonflikten heute vollkommen heruntergewirtschaftete Genre sie noch zulassen, sollten sich tatsächlich noch ein paar moralisch aufrechte versprengte Reiter in unzugängliche Felsenhöhlen, unnahbar gewöhnlichen Schritten, gerettet haben, aus der die Menge mit anspruchsvoller Kunstkritik versorgt, die Kunstwelt geistreich aus den Angeln gehoben wird, ‚dachte er in seinem Ohrensessel‘, eine ‚Kritik‘, als er ihrer ansichtig wurde, so ausführlich in ihren sechs Absätzen, dass sie das Gesehene und Gehörte (denn beides gehört ja zusammen) in all ihren Facetten zu beurteilen, in die Echolottiefen des Fanny Solo möglicherweise einzudringen vermag. Da muss Zeit sein zur Lektüre, dachte er behaglich in seinem Ohrensessel, ein geistiger Genuss wird es sein, dem man vielleicht gar nicht gewachsen sein wird, gegebenenfalls werden Dinge zur Sprache gebracht, die er bereits vergessen, verdrängt, die längst dem Gedächtnis entflohen sind. Wenn sich einer so viel Raum in der kargen Herberge des gewöhnlich beifallsarm kritischen Wortes gestattet, muss er dem behandelten Gegenstande ein gewisses Maß an Interesse entgegenbringen.

Entfallen waren sofort die übrigen ‚Betrachtungen‘, von Ambition und Form (nicht von der geistigen Substanz) her zum dramatischen Gretchenspielen und ingefühlten Paminasingen bestimmt, die oberflächliche Würdigung einer ‚beachtlichen‘ Sängerin, die sie sogar im Windschatten der vorzüglich begleitenden Pianistin segeln ließen, andernorts die Fanny sogar als ‚gleichberechtigt‘ in der Familie deuteten, wo sie doch alles andere als das, ihr matter Glanz, ihr höllentiefes Elend gerade aus der Unterdrückung des hohen Talents gekommen war, verständnislose Zeugenschaft einer grandiosen künstlerischen Leistung nicht von dieser Welt, in der ein leuchtender lyrischer Sopran und kehlige, gelegentlich aufgeraute, sorgfältig artikulierende Sprechstimme aufs Wunderbarste vereint waren, um der darzustellenden Figur die gewünschte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Musste sie, die Fanny, doch singen und sprechen und schau-spielen mit dem außerordentlichen Anspruch einer Doppelrolle, beispielsweise, aus dem hochdramatischen Wort heraus die siebenfach verriegelten Pianotöne des traurigen Liedes ‚Wenn sich zwei Herzen scheiden…‘ sofort finden, ohne dass ad finem auch nur ein Stäubchen auf der Stimme lag. Dass diese Feinheiten, diese ‚Fülle des Wohllauts‘ in einem unauffälligen Kammerspiel verborgen, in einem Monodram zumal, nicht ausreichend beachtet, vielmehr als unauffällig hineingewobene Ergänzung, unaufmerksam unterlaufene Zutat nur des Sprechtextes verstanden werden würde, wo es sich doch um die Gestalt des Liederspiels in seiner reinsten Form handelte, nun, das war unter den obwaltenden Umständen möglichenfalls abzusehen. Separat vorgetragen käme er, der Wohllaut, einem vokalen Ereignisse gleich. Doch aber, ach! Als missverstandenes Beiwerk versandete er bedauerlicherweise im verstopften Ohre des betreffend einen, aber maßgeblichen kritischen Zuhörers sang- und klanglos – ungewürdigt, unbemerkt, ungeschätzt. Der professionelle Beobachter, von Amts wegen eigentlich trainiert auf solcherlei vokale Schattierungskünste, war als vermutlich vorurteilsunfreier Rezipient dem Gestaltungsreichtum der Meistersingerin nicht gewachsen. Wie er es selber gestand, und das auch noch öffentlich, lag er zu dieser Zeit, gepeinigt von langer Weile, Überdruss und Antipathie bereits in bleiernem Schlafe, hineingeschaukelt von einem bequemen Nachen, in dem sich viel Bekümmernis über ein Projekt, was sich gegen die konfliktfreie Ablichtung, den schönen Schein in Künstlerbiographien wendet, sich ungefragt angesammelt. Da kann man von Glück noch reden, dass der Profi aus der Wagnerstadt Leipzig sich seinerzeit das Wagnerstück verkniff, in dem der Zeitrahmen tatsächlich einen äußerst geduldigen Zuhörer, einen geistig wachen Wagnerianer eben, fordert.

Dabei war eine Atempause eingeschaltet, in der das unausgeruhte Federkielium anstrengungslos ‚luft von anderem planeten‘ hätte ‚fühlen‘ können. Offenbar hat es aber diese Chance der körperlichen und geistigen Erholung nicht genutzt. Denn nach ihr prasselten auf den armen Mann Plattitüden (wo?) sonder Zahl, altgediente Ideologien (welche?) und eindimensionierte Passionsgeschichten (wie viele?) so unerbittlich freudlos auf ihn ein, dass er sich vor diesen Angriffen auf seine zart gestimmte Psyche nicht anders als in den märchenhaftesten Schlummer, den er im Theater je geschlummert, zu flüchten, retten konnte. In diesem somnambulen Zustand zwischen Wachen und Träumen, der Tiefschlaf folgte später, kann er dann schon mal die Orientierung verlieren, mit seiner mathematischen Grundausrüstung scheint es zum Besten nicht bestellt. Zu der von ihm ausgemachten, dreimal vorgerechneten Zweiundeineviertelstunde, was bedeutet 135 Minuten zuviel, schlägt er bedenkenlos das halbstündige Intervall zu, um seine in dunkler Nacht mehr erahnte, als argumentativ begründete Theorie zu stützen: Überlänge, Leerlauf, Larmoyanz, ein finsteres Gebräu für drohende Zumutung. An die Möglichkeit zu glauben, aus diesen lebenswidrigen, kunstfeindlichen Ingredenzien ein ernstes Spiel zu arrangieren, schien dem Schlafbetäubten ein DingDong der Unmöglichkeit. Nachdem er noch vom synkretistischen Cocktail, einer Art Vergessenstrank, gekostet, wobei unergründlich blieb, woher die Zutaten kamen, vom theatralischen Orte des Geschehens sicherlich nicht, denn außer einigen protestantischen Routinebemerkungen Fannys blieben andere Weltreligionen unerwähnt, entschlummerten die matten Augen endgültig, nicht ohne zuvor wenigstens die schönen Blicke der Protagonistin wahrgenommen, und, eine organische Sonderleistung des Dösenden, ihren Liebreiz, ihren Charme, ihre Anmut gewittert zu haben. Seiner feinen Bebachtung nach genügten allein der armen Darstellerin leuchtende Augen der mühselig(en) und beladenen Fanny ‚das nötige Quantum Leben einzuhauchen‘, der vorzutragende Text, die ihn ‚garnierenden Lieder‘ vermochten es keineswegs. Dass auch noch, wie im Programmheft verzeichnet, einige Arien dabei waren, hatte der nicht immer ganz Momentane überlesen und, was schwerer wiegt, glatt überhört. Bei den Komponisten nahm er es auch nicht so ganz genau. Der kleine Mozart, unter anderem mit dem Tränenton der Servilia sowie mit ‚Abendempfindung‘, dem Gedenklied auf Vater Leopold, beteiligt, eine unüberhörbar düstere Zeichnung selbstbegrenzender Entsagung Fannys, war ihm nicht erwähnenswert. Von anderen Kleinigkeiten mal abgesehen, wie die Wohnung der hiesigen Orts ausgebildeten Sängerin, nachzulesen im Gewandhausmagazin, in rampenlicht, in der LVZ, in der Torgauer Zeitung, nachzuhören bei MDRFigaro. Man muss ihn nicht nennen, den Lebensort, wenn aber, muss seine Adresse stimmen. Vorbereiten tun sich die Leute heutzutage auf die Uraufführung eines hoffnungslos konservativen Stückes, das als höchste Form körperlicher Entblößung ein schwarzes Unterkleid dezent zu bieten hatte, dachte er in seinem Ohrensessel, wie wollen diese nachlässigen Berufsnörgler es erst mit einem ?modernen‘ halten, wofür die Informationen bekanntlich spärlich fließen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Tsi, tsi, tsi. An dieser Stelle unterlief dem Bekrittelten ein allgemeines Schütteln des Kopfes.

In unserer raschlebigen, das Unterste nach oben kehrenden Zeit einen Abend durchzustehen, der temporär etwas über Fernsehformat liegt, nun, das scheint bereits eine schwere körperliche Prüfung zu bedeuten, ein geistwilliges Mitgehen gar nicht einberechnet. Die Geißel des Hastens und Jagens nach Erfolg, nach sozialem Status, das macht: Eine ständige Steigerung der rezeptiven Geschwindigkeit ist allenthalben vonnöten. In weniger Stunden immer mehr Informationen aufzunehmen, sie im Beruf oder auch privatim zu verwerten, um sie, eigen-willig verwandelt, wieder von sich zu geben, dazwischen notdürftig uhrabhängig leben, dies in Übereinstimmung zu bringen würde gute existenzielle Wirkung tun, allein, es blüht vielen nicht mehr. Der rasende Trott bestimmt immer mehr den Aufenthalt des Individuums auf Erden. Sich ins Theater zu begeben, sich still zu versenken, konzentriert zuzuhören, nur wenigen gelingt dies Kunststück noch. Es gehört, mögliche finanzielle Bedrängnis unerwähnt gelassen, heutzutage schon Mut dazu, die billigen Televisionen einmal beiseite zu schieben, aus dem Hause zu gehen, sich einem Kammerspiel zu widmen, wo nichts weiter geschieht, als dass eine, höchstens zwei Personen harmonisch zueinander reden, verbal ihre Konflikte zu lösen versuchen, einander in die Haare kriegen, miteinander wortreich die Messer wetzen. Ein dröhnendes Event mit Fassanstich hat es da einfacher, Trachtenfeste, Karneval, Comedy, lärmende Rockfestivals zersetzenden Kalibers, dies geistige Ödland setzt die Zeichen der Zeit. Was soll gegen diese popularen Bindungskräfte da ein bescheidenes Monodram ausrichten? Nur wenig Interessierte, Zugewandte, Gespannte, deren Haufe immer kleiner wird, wagen sich noch heran, ein Außenseiterthema als wesentlich, als ansehens- und anhörenswert zu empfinden, in unserm Falle die Geschichte einer Frau vor grauen Jahren, deren künstlerisches Talent in einer bemittelten Familie durch Kotau ohne Not vor gesellschaftlichen Zwängen, wenn auch nicht wirklich, blieb ihr doch das handwerklich Erworbene ihrer Kunst erhalten, zugrunde ging. Sattsam bekannt? Als Emanzipationsideologie bis zum Überdruss behandelt? Mitnichten, es ist immer wieder frisch und neu, zu erfahren, wie es zuging in fernen Zeiten, da das im Wesentliche rechtlose bürgerliche Weib nur Gebärmaschine war, im Fleische wandelnde Küchenschürze, das prominente Einzelschicksal das ganze moralische und rechtliche und politische Elend der Vormärzgesellschaft, die einen Heine verjagte, bezeichnete.

Um ein Missverständnis aufzuklären, sei gesagt, dass Solo Fanny als monodramatisches Liederspiel klassisch-romantischen Charakters, mit der Bezeichnung Text/Musik-Collage nur unzureichend erfasst, zu verstehen ist, dessen Inhalt und Form aus der Verwebung von Text und Musik besteht. Die Kompositionen sind nicht etwa eingestreut, untergemischt, dem Autor unwissentlich unterlaufen, sie sind nicht Zuckerguss, Süßstoff, ?Garnierung‘, Zeitfüller, Arrangement, akustisches Schlaraffenland, einzig allein bestimmt, der überragenden Solistin anstelle eines unterlassenen Liederabends Situation zum Schöngesang zu geben; sie besitzen das Recht, als mit der Fabel gleichgeschaltet betrachtet zu werden, sie erfüllen, dies das Besondere darin, die dramaturgische Funktion inhaltlich annähernd gleicher Ausdrucksstufe. Wenn Fanny die eigene Beseelung durch Musik nicht mehr ausreicht, springt das literarisch ambitionierte Wort herbei, wenn ihr das passende, präzise Wort fehlt, übernehmen Lied und Arie den als unzulänglich, unzureichend empfundenen Ausdruck zu seiner Steigerung in eine andere Sphäre. Wie kann man da von ?ungnädig garnieren‘ sprechen, als würde es sich um eine verkorkste Gemüsebeilage handeln. Eine totale Fehlkonstruktion, zumal sie verbunden ist mit dem stümperhaften Hinweis auf Bernhards Schauspiel ?Der Theatermacher‘, offenbar mit dem Ziel, den wehrlosen Autor uneingeschränkter plagiatorischer Bedienungsmentalität zu zeihen, ihn folglich mit Plagiatsvorwürfen, was Diebstahl geistigen Eigentums bedeutet, zu überziehen. Meines Wissens sendet das aus der Luft gegriffene Stück außer einem Gewitter über Utzbach, wenn man vom Husten der Frau Bruscon absieht, kein weiteres bemerkenswertes akustisches Zeichen aus, von dem eine verwertbare Idee abzuleiten war. Auch in Form und Anlage und Stil und Wortschatz orientiert sich Solo Fanny, nur weil ihr Autor so frei, im Programmheft eine ins Groteske gesteigerte, auf die Spitze getriebene, mit zeitkritischen Anzüglichkeiten vergorene Parodie auf die pythonlangen Sätze des Erfinders der Hassprosa einzurücken, wobei die stilistisch zu imitierende Vorlage mit dem Roman ?Beton‘ sich allein wegen der Beziehung zu Mendelssohn Bartholdy anbot, keineswegs an der zutiefst konfrontativen Bernhardschen ‚Theaterprosa‘. Wollte man die Substanz dieser Rüge hochrechnen, wäre jeder monologische Ansatz, der seit altgriechischen Zeiten in der Welt ist, mit Plagiatsunterstellungen zu bedecken.

Wie sollte ein Autor beschaffen sein, der so etwas Ähnliches wie eine Nachahmung versucht und damit an die Öffentlichkeit geht, Personen behelligt, bis in die Lichtquellen ein Theater beschäftigt? Lebensmüde? Literarisch verwahrlost? Suizidal gefährdet? Wieviel harte Prüfungen dieses Projekt durchlaufen musste, um ins Offene zu kommen, das kann sich eine uneingeweihte Person von außen kaum vorstellen. Des genialen Bernhards Bücher sind in Millionenauflagen verbreitet, seine Stücke werden landauf, landab bis europaweit gespielt, wer wollte es wagen, auch nur in seine Nähe zu kommen. Ebenso verhält es sich mit dem Vorwurf epigonaler Anlehnung an Hacks‘ Goethestück, die klassische Klassikerdemontage schlechthin, verfasst offenbar unter dem Einfluss psychoanalytisch geprägter Goethestudien der 1970er Jahre eines Kurt Robert Eissler. Eine zurückgewiesene Aristokratin beklagt sich über ihr misslungenes pädagogisches Projekt namens (junger) Goethe, ein geistreicher, musikloser, hamsterradähnlicher Monolog ohne Aufenthalt. Die reine Sprachkunst eines großen Dichters. Was hat dieser bedeutende, vielgespielte Theatertext mit Solo Fanny zu tun, mit Fanny Hensel, die ihre Lebensbeichte, und zwar vor sich selber, ablegt, den Grundkonflikt ihres Lebens, die verratene Eltern- und Geschwisterliebe benennt, ihre weitläufige Familie nicht schont, zum berühmten Bruder, den sie nicht demontiert, sondern zu erklären versucht, aufschaut, doch punktuell ein wenig verachtet, wobei die Liebe stärker ist als die Verachtung und sie überglänzt, was ihr das Weiterleben möglich macht; es sind die Nuancen, die Solo Fanny dem klassischen Theatermonolog, der sich stets an eine imaginäre Person wendet, entziehen, da Fanny ihren von Selbstbezichtigungen starrenden Vortrag angesichts einer englischen Melone nur ü b t, ihn nicht wirklich hält, zwecks Selbstzensur aus ihrem improvisierten Text aussteigt, ihn wendet, ergänzt, mit neuen Erkenntnissen weiterführt. Diese Form des mit Musik verwobenen verdeckten Monologs mit inneren und äußeren Stimmen scheint in den Theaterannalen kaum verzeichnet. Dass die im Monodram Solo Fanny anwesende, vom klassischen Grundmuster abgespaltete Form die Kunstkritik, wenn sie denn schon das kleine Stück ins Visier nimmt, ignorierte, nicht bemerkte, nicht erwähnte, ist mehr als fragwürdig, sogar enttäuschend. Stattdessen hat sie es sich angelegen sein lassen, die Stoppuhr anzustellen, eine fehlerhafte Zeitrechnung aufzutischen, sich behaglich als einziger Schlafgast einer Aufführung zu inthronisieren, deren unprofessionelle, aufnahmebereite, gestrafft lauschende Besucher durch den Stoff, seine schauspielerische Präsentation und seine ’sattrotrosenherrlichkeitenübersäte‘, ‚überirdisch sommernachtstraumsopranwundermildsüße‘ sängerische Interpretation zusammengehalten schienen, zweifelsfrei nicht ermüdeten und die Augen schlossen, vielmehr, nehmt, gestreut über drei Vorstellungen, alles nur in allem, mit reichhaltigem Beifall für die tief tragisch anmutende Fanny, am ersten und dritten Tag mit Bravi für die phänomenale Hauptakteurin nicht geizten. Es wurde auch nicht gehustet, nicht ein einziges Mal, was auf das Nachlassen von Aufmerksamkeit hätte schlussfolgern lassen, ein schweres, das Schlafbedürfnis herausforderndes Leiden an der ernsten Fanny war bei ihnen keineswegs auszumachen, resümierte er emotionslos in seinem beim Trödler aufgespürten und redlich erworbenen Ohrensessel, der sich als raumgreifendes Requisit in Bernhards Erregung ?Holzfällen‘ ebenso hätte platzieren lassen.

Solo Fanny. Psychogramm einer Beziehung

Robert Mieth
Sängerin/Fanny Hensel: Christine Wolff
Klavier: Anastasia Mozina Braun

Uraufführung: 14. September 2009, Kellertheater Oper Leipzig

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