Eine Frage der Tagesform

„Germania Song“ versucht die Manipulation

Das Leipziger Centraltheater beginnt die neue Spielzeit mit dem Stück Germania Song des dänisch-österreichischen Performance-Duos SIGNA. Im gesamten Haus wurde ein Ball der fiktiven Familie von Unland-Deuthen des Jahres 1989 rekonstruiert. Die Besucher erfahren zu Beginn, dass damals alle 46 Kinder der Familie bei einem Massaker ums Leben kamen. In Gesprächen sollen die Besucher erforschen, was sich damals abspielte, sechs Stunden von 20 Uhr bis 2 Uhr morgens hat man dazu Zeit.Germania Song versucht eine allumfassende und verwirrende Manipulation. Die Suche nach der Vollkommenheit der Illusion macht die Performance ungewöhnlich, zum Teil auch sehr reizvoll. SIGNA arbeitet mit Laien, die Mitspieler werden über folgende Anzeigen akquiriert:
„Das international agierende und in Kunst- und Theaterwelt gefeierte Performance-Duo SIGNA – die dänische Performance- und Installationskünstlerin Signa Köstler und der österreichische Performance- und Medienkünstler Arthur Köstler – bespielen zum Auftakt der Spielzeit 2009/2010 im September für 10 Tage das Centraltheater Leipzig.
Aus diesem Grund suchen SIGNA und Centraltheater interessierte Laien aus dem Großraum Leipzig, die an der theatralen Non-Stopp-Performance als Darsteller mitwirken möchten. Gesucht sind Menschen jeden Alters, die viel Zeit und genauso viel Ausdauer mitbringen. Sie sollten sich für den Entstehungsprozess einer künstlerischen Arbeit begeistern und aufgeschlossen sein im Umgang mit Szenen, die nach allgemeiner Maßgabe das sittliche Empfinden stören könnten.“ (24. Mai 2009 in Kulturarbeit)

Das sittliche Empfinden versucht man nach ungefähr zwei Stunden zu stören, die Mitspieler beginnen sich zu streiten, zum Teil kommt es zu Schlägereien. Frauen werden bedrängt und begrabscht. Auch die Interaktion mit den Zuschauern, die am Anfang nur in zum Teil ermüdenden Gesprächen über metaphysische Sorgen bestand, wird intensiver: Frauen wollen geküsst werden, man wird zum Tanz genötigt oder zur Parteinahme aufgefordert. Dem Besucher wird mehr und mehr die Freiheit verweigert, sich vom Geschehen zu distanzieren, stattdessen verwickelt man sich mit jeder Minute weiter in die Geschichte der Familie von Unland-Deuthen. Habe ich mich gerade zum Tanzen überreden lassen oder wollte ich tanzen? Ist der konspirative Wodkaausschank in der Garderobe Spiel oder Reaktion auf den immer gleichen Sekt, der mit stoischer Ruhe ausgetragen wird?

SIGNAs Arbeiten suchen außergewöhnliche Grenzerfahrungen, auf der einen Seite werden sie von der Kritik gefeiert, anderenorts aber auch als seicht und manipulativ empfunden. Die Reflexionen über Einflussnahme, Wahrheit und Selbstbestimmung sind subtile und deshalb sehr spezielle theatrale Formen, letztendlich wird die persönliche Tagesform eines jeden einzelnen über die Wahrnehmung der Performance entscheiden. Die Premiere endete bereits gegen ein Uhr. Ob das an der Tagesform des Premierenpublikums oder an der Qualität der Performance lag werden die nächsten Vorstellungen zeigen.

Germania Song

Eine Performance von Signa
Konzept: Signa & Arthur Köstler
Regie: Signa Köstler
Ausstattung: Thomas Bo, Signa Köstler
Licht/Ton/Video: Arthur Köstler
Dramaturgie: Anja Nioduschewski

Premiere: 17. September 2009, Centraltheater

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