Ein Buch zum Plakatieren und Spazieren

„Street Art. Legenden zur Straße“ lädt zur Auseinandersetzung mit der urbanen Kunst ein

STREETART IS NOT
– anything but art seen + performed in the streets.
– published in this book, nor in any other book or magazine on the topic.
– being auctioned or bought.
– to be found in galleries or museums.
– collectable.
– more than a offer.
– a profession.
– design or stupid self-advertising
– graffiti. But graffiti can be streetart.
anything more than a label that people stick on us, to feel more comfortable. Just take it off + burn it. It might keep you warm for a while? NOMAD

Ein seltsames Vorwort für einen Sammelband zum Thema Street Art, aber in diesem Fall ein wegweisendes. Kein DIY-Lehrbuch oder Kunstbildband will Street Art. Legenden zur Straße sein, sondern eine Reisefibel, denn das Abenteuer wartet draußen vor der Tür. Wer weiterblättert – statt wie empfohlen zum Feuerzeug zu greifen – findet 32 ganz unterschiedliche Annäherungen.

Die Textsammlung mischt munter wissenschaftliche Texte mit den themaimmanenten Fotos. Dazu kommen die im Titel versprochenen Legenden in Form von Essays, Reportagen und Erzählungen der „ArtistInnen“. Street Art ist für uns alle da, so der Tenor. Das nach Die Stadt als Spielplatz (2006) mittlerweile zweite Buch im Verlag Archiv der Jugendkulturen, das sich urbanen Kunsterscheinungen widmet, kommt zu einer Zeit, da die Cut-Outs und Graffitis, die Poster und Sticker im öffentlichen Raum nicht mehr neu und unbedarft sind, sondern etwa in London Werke von Blek le Rat von Glaswänden vor der Vergänglichkeit bewahrt werden.

Doch nicht nur Stadtmarketing, sondern auch Galeristen und Fans kämpfen mit ihren jeweiligen Mitteln gegen die Melancholie der Flüchtigkeit. Letztere nutzen ihre Kamera als Waffe gegen das Verblassen, die Verwitterung, den Moment – eine mittlerweile gut etablierte Kulturtechnik. Fotos werden auf Blogs wie www.woostercollective.com (weihevolle Unterzeile: A Celebration of Street Art) hochgeladen, global gesichtet und archiviert. Der digitale Ehrenfriedhof der Verwehten und Überklebten findet im Archiv der Jugendkulturen bestimmt Vorläufer im Feld des Jagens und Sammelns. Eine kleine aber feine Street Art Kolumne gab es vor zwei Jahren übrigens auch im Leipzig-Almanach.

Und schon sind wir auf der Straße. Ganz ehrlich, wer hat nicht schon mal probiert ein besonders schönes Exemplar von der spröden Wand ins Trockene zu bringen? Die Autorin Heike Derwanz jedenfalls hat es erfolglos versucht und fand Trost bei der japanische Ästhetiklehre. Besonders der Reiz der Flüchtigkeit hat sie überzeugt. Ihr Liebesbrief an die Vergänglichkeit ist daher zugleich pragmatisch und zärtlich. Die Kunsthistorikerin Anika Lorenz dagegen hat eine rein sachliche Perspektive. Dabei räumt sie auf mit der Legende von der neuen Kunst, die zur Jahrtausendwende vom Himmel fiel, um alles städte/bau/fällige Grau bunt zu machen. Nein, alles begann mit einer Hand als Schablone an der Höhlenwand unserer Urahnen. Die Großstadtpflanze Mural hat also tiefe Wurzeln. Doch die Klassifizierung der Street Art sei schwierig, meint Lorenz in Einklang mit dem Anfangszitat, weil in der Street Art Elemente aus künstlerischen, politischen, subkulturellen, sozialen und aktionistischen Bewegungen zusammenflössen. „Das erlaubt es ihr, vieles zugleich zu sein: verspielt wie Dada, politisch agitierend wie die Situationisten, werbeästhetisch-knallig wie Pop Art oder reviermarkierend und namensfixiert wie das Graffiti Writing.“ Apropos Writing: Ein Künstler erdachte eine kleine Utopie, in der die Polizisten nett und hilfsbereit sind. All Cops Are Cool. Was wohl in dieser Welt mit den weitverbreiteten ACAB-Tags passiert?

Warnung: Das Buch ist ein Amuse-Gueule! Und es kitzelt beim Lesen in Kopf und Füßen.

Katrin Klitzke und Christian Schmidt (Hg.): Street Art. Legenden zur Straße
Archiv der Jugendkulturen Verlag
Berlin, 2009
226 S. – 28 € – 300 farbige Abbildungen
www.jugendkulturen.de

Zu den Street-Art-Kolumnen:
Was gehtn draußen: Gohlis (René Seyfarth)

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