Den unbekannten Soldaten

„Elender Krieg. 1914 – 1915 – 1916“ von Tardi und Verney ist graphische Erzählung und Historiographie

Sengen, brennen, schießen, stechen,
Schädel spalten, Rippen brechen,
spionieren, requirieren,
patrouillieren, exerzieren,
fluchen, bluten, hungern, frieren …
So lebt der edle Kriegerstand,
die Flinte in der linken Hand,
das Messer in der rechten Hand –
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.
Erich Mühsam: Kriegslied

Entbehrung, Leid und Tod in den Schützengräben, sinnlose Materialschlachten, hunderttausendfaches blutiges Gemetzel – Der Erste Weltkrieg scheint kein Thema, das man mir nichts, dir nichts in Comicform gießt. Und doch unternimmt Elender Krieg genau dies und bietet eine grafische Erzählung sowie historiografische Darstellung der Jahre 1914-16 in einem Band.

Den Comic-Part übernimmt der mit Recht gefeierte Zeichner Jacques Tardi, der spätesten mit seiner Adaption von Léo Malets Kriminalgeschichten um Detektiv Nestor Burma auch ein großes deutschsprachiges Publikum fand. Tardi hat sich immer wieder mit dem Thema Krieg und soziale Bewegungen auseinandergesetzt, diese als historische Hintergründe oft auch in die Krimis eingebracht. Im vierbändigen Zyklus Die Macht des Volkes – nach dem Roman von Jean Vautrin – etwa schildert er detailreich die Revolution der Pariser KommunardInnen und deren blutige Niederschlagung durch die Versailler Reaktionäre. Tardi lässt in Elender Krieg einen unbekannten französischen Soldaten auftreten, der lakonisch bis zynisch seine infernalische Umwelt und die Ereignisse von der überschwänglichen Kriegseuphorie bis zum Wahnsinn Verdun kommentiert. Man begleitet ihn bis in die Schützengräben, erlebt quasi aus der Nahperspektive, wie qualvoll das Leben und Sterben im Todeslabyrinth war. Durch die Parallelisierung beider Seiten Leiden an der Westfront wird der Fokus ganz auf die Grausamkeit des Kriegs gelenkt, in dem Millionen Menschen ihr Leben ließen, während im Hintergrund die offizielle Propaganda von Heldentum und Tapferkeit abgespult wird. Für „Gott“, „Kaiser“, „Vaterland“ und andere Hirngespinste, für das es sich lohnen soll, das eigene Leben zu geben.

Der nachgestellte Beitrag des Historikers Jean-Jacques Verney gibt die Ereignisse in einer lesbaren Chronologie wieder, die keine Aneinanderreihung von Daten bleibt, sondern den Wahnsinn an und hinter den Fronten zeitlich und kontextuell einordnet. Die Raserei des industriellen Krieges wird greifbar, auch wenn sie unbegreiflich bleibt. Ein Album, das über das Elend des Grande Guerre hinaus einen Appell gegen den Krieg richtet.

Angeschossen, – hochgeschmissen, –
Bauch und Därme aufgerissen.
Rote Häuser – blauer Äther –
Teufel! Alle heiligen Väter! …
Mutter! Mutter!! Sanitäter!!!
So stirbt der edle Kriegerstand,
in Stiefel, Maul und Ohren Sand
und auf dem Grab drei Schippen Sand –
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.
Erich Mühsam: Kriegslied

Jacques Tardi & Jean-Jacques Verney: Elender Krieg. 1914 – 1915 – 1916

Edition Moderne
Zürich 2009
72 S. – 19,80 €

www.editionmoderne.de

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