Papercraft aus dem Gestalten Verlag zeigt die Vorteile des Materials Papier
I’m attracted to its openness as a material. The blank page is this great metaphor for nothingness and the potential for „somethingness“. Julien Valée, kanadischer Graphikdesigner
Die einführenden Texte zu dem umfangreichen Bildband Papercraft betonen vor allem den Reiz des Papiers in Kontrast zum Everything-goes des Internets. Statt flexibel, unendlich, multimedial und global ist die Seite Papier begrenzt. Dennoch liegt der Materialvorteil im wahrsten Sinne des Wortes auf der Hand: Unter Einsatz von Zeit und Mühe, ja fast meditativer Handarbeit als Schaffensprozess entsteht etwas zum Anfassen. Das trifft natürlich genauso auf den Sammelband zu, der im Gegensatz zu DIY-und Designblogs zum Blättern einlädt – übrigens laut dem my-climate-Siegel im Impressum klimaneutral.
Der Titel Papercraft: Design and Art with Paper verweist zuerst aufs Handwerk, dann auf die Kunst. Tatsächlich hat vieles weniger mit dem traditionellem Zeichnen auf dem Papier zu tun, als den Metamorphosen des Papiers selbst. Durch Falttechniken wie Origami, aber auch durch Kleben und Rollen entstehen neue Objekte im Raum. Doch was vergessen wird vor lauter Hype ist die Tradition. Papier ist und war billig und Schablonen, Scherenschnitte, Tapisserie und Collagen sind in der Populärkultur tief verwurzelt. Von der Papiermöhre auf dem Cover bis zum 3D-Draculafigürchen hat zudem alles den Hauch des Verspielten, ja Kindlichen. Da stand der Kaufmannsladen Pate, hier Spielzeugtiere oder aber Schautafeln aus Schulzeiten, die in die dritte Dimension versetzt werden. Zugleich sind es aber Objekte zum Staunen, denn selber basteln will oder kann man das nicht. Kein Wunder, dass die Werbeindustrie längst dieses junge, hippe und wahnsinnige Designfeld für ihre Werbung entdeckt hat. So machte Julien Valée etwa eine Rauminstallation für einen MTV-Spot und arbeitete als Produktdesigner für Swatch. Papierkunst wird so ernstzunehmende Designform und Einnahmequelle.
Der Gestalten Verlag etwa begann als kleines Unternehmung in den 90ern und druckte Flyer für die Berliner Technoszene. Heute arbeiten 40 Personen rund um die Welt für das Verlagshaus, das durch ihre Kalender Crackpot und Spooky bekannt ist. Die Verlagssprache ist übrigens durchgängig die Weltsprache Englisch. Global und multimedial gibt sich auch das Buch zur Papierkunst. Internationale Künstler präsentieren ihre Arbeiten und eine DVD mit ein paar Figurenbastelbögen zum Ausdrucken, und 17 Clips ergänzen die schönen Fotografien des Bandes. Wer aber mehr über einzelne Arbeiten oder Künstler wissen will, wird im angehängten Künstlerindex leider meist nur einen Link finden. Der Verlag selbst hat auf seiner Homepage eine aufklärende TV-Serie, die ergänzend zum Bilderbuch Hintergründe zu den Designern und ihrer Arbeit bietet.
R. Klanten, S. Ehmann, B. Meyer (Herausgeber): Papercraft: Design and Art with Paper
Sprache: Englisch
Die Gestalten Verlag
Berlin 2009
256 S. – 44 €
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