Richard Münch erklärt, wie sich in Bildung und Wissenschaft das ökonomistische Menschenbild globaler Eliten durchsetzt
War nicht eben erst die Hochschulrektorenkonferenz in Leipzig? Gibt es nicht schon das ganze Jahr und immer wieder verschiedenartige Studierendenproteste, hier in Sachsen zum Beispiel gegen das SächsHG? Wer hat eine Ahnung? Wer weiß überhaupt, was da los ist? In Globale Eliten, lokale Autoritäten – Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co. versucht Richard Münch, Professor der Soziologie in Bamberg, einen Überblick über und einen Durchblick in das Tohuwabohu von Bildung und Wissenschaft in Deutschland zu vermitteln. Auf gut 200 Seiten widmet er sich in zwei „Fallstudien“ erst der Schule, dann der Universität. In der Einleitung heißt es:
‚PISA‘ und ‚McKinsey‘ stehen für einen grundlegenden Wandel der Herrschaft der Gegenwart. Das ‚Programme for International Student Assessment‘ (kurz: ‚PISA‘) verkörpert die Transformation von Bildung in Humankapital, ‚McKinsey‘ die Umgestaltung aller Lebensbereiche nach ökonomischen Denkmodellen. Es stoßen globale Eliten auf lokale Autoritäten. Aus diesem Zusammenspiel entstehen institutionelle Hybride, gute Absichten ziehen oft unerwünschte Nebenfolgen nach sich.
Hat man sich erst einmal eingelesen und das Dickicht des Soziologieslangs durchdrungen, wird dieses Buch zu einer angenehmen Lektüre. Immer wieder kommen große Thesen und manchmal auch eine für jugendliche Leser sicher willkommene Polemik. Die Kernthese ist schon angeklungen: Die Hybride, also Mischlinge, die entstehen, wenn alte gewachsene Systeme dadurch verbessert werden sollen, dass aus einem anderen System gewisse Eigenschaften übernommen werden, seien dysfunktional. Die USA erschienen wettbewerbsfähiger als Deutschland. Doch Wettbewerbsfähigkeit sei im Zuge der Ökonomisierung des Denkens der neue Maßstab, der angesetzt werde. Deshalb werde versucht, das deutsche Bildungssystem dem amerikanischen anzugleichen. Dies geschehe aber nur auf struktureller Ebene, nicht auf inhaltlicher. Über Inhalt und seine Vermittlung verfügten „lokale Autoritäten“ wie Lehrer, Professoren und zum Beispiel der Philologenverband noch im großen Maße. Ihnen gegenüber stünden „globale Eliten“ – Bildungsforscher, Bildungssachbearbeiter und Beratungsunternehmen wie McKinsey. Sie propagierten unter dem Mantra größerer Gerechtigkeit und Transparenz ein Qualitätsmanagement, also ständige Kontrolle und Akkreditierung sowie leistungsorientierte Mittelvergabe. Handeln nach Statistiken, also Zahlen, sei gerechter als Handeln nach Gefühl, also praktisch Erlebtem und Erfahrenem, – ein ökonomistisches Denken. (Bei der vielen Akkreditierung frage ich mich, wer die Akkrediteure akkreditiert.)
Diese „globalen Eliten“ hätten sich gegen jene Lokalen verbündet, da sie von einem Durchsetzen ihres ökonomistischen Denkens profitierten. Wenn ihre Sichtweise übernommen werde, würden sie zu Vorreitern. Sie wären jene, die die Probleme erkannt hätten und sie hätten auch entsprechende Lösungen parat. Dies rentiere sich nicht nur finanziell, auch gewönnen sie an Prestige. Was man nun beobachten könne, sei die Abwehr der Eingesessenen und Etablierten, die zufrieden seien, wenn alles beim Alten bliebe und der Angriff der Andersdenkenden. Ein Reformbedürfnis stelle Münch dabei gar nicht in Frage, vielmehr erkenne er, dass es im ganzen Streit mehr um Oberherrschaft, Definitionsmacht und die Sicherung von Pfründen gehe als um wirkliche Verbesserungen.
Was sind die Vorteile des alten deutschen und was die des angelsächsischen Systems in Schule und in Universität? Er kommt zu dem Schluss, dass beide aufgrund der von ihnen gelegten Prioritäten in manchen Bereichen besser und in anderen dafür schlechter seien. Dysfunktional sei jedoch ein deutsch-amerikanischer Hybrid. (Dabei spricht man in der Biologie gerade von „hybrid vigor“, was soviel heißt wie Hybridstärke.)
Anschaulich vergleicht Münch das Shanghai-Ranking mit der Bundesligatabelle und Universitäten mit Automarken – Harvard als Rolls Royce. Dabei stellt er fest, dass die Platzierung im Shanghai-Ranking wie in der Bundesliga eine Frage der Kaufkraft sei und das symbolische Kapital eine Frage der Vermarktung. Die Exzellenzinitiative sei ein kläglicher Versuch, eine deutsche Ivy-League (Harvard, Princeton, Yale, Brown, Cornell, etc.) zu schaffen. Im Zeitgeist des Marketing, des mehr Schein als Sein, wolle man „Leuchttürme“ errichten. Die Universitätslandschaft werde stratifiziert – da ein paar Universitäten als erstklassig ausgezeichnet wurden, erscheine nun der ganze Rest fälschlicherweise als zweitklassig. In der Schlussbetrachtung heißt es:
Die Regime der Wissenschaft, Humankapitalproduktion und der Unternehmensberatung erzeugen einen weltumspannenden Rationalismus […] eine Entwicklung, die alle Lebensbereiche durchdringt und sie einer grundlegenden Transformation weg von lokalen Traditionen und hin zu globalen Formaten unterwirft.
Und besonders auf das deutsche System bezogen fällt sein Urteil so aus:
In der Hochschulpolitik haben es die Professoren geschafft, die Bildungsexpansion seit den sechziger Jahren statt in die Fachhochschulen in die wissenschaftlichen Studiengänge der Universitäten zu leiten und die Zahl der Mitarbeiter, die sie befehligen können, exorbitant zu steigern. Im Rahmen dieses oligarchischen Systems entstand ein akademisches Proletariat ohne Karriereaussichten, gleichzeitig wurden Frauen systematisch ausgegrenzt. Der Graben zwischen dem wissenschaftlichen Bildungsanspruch und den realen Studienleistungen, zwischen außer- sowie inneruniversitärer Forschung und erbärmlicher Lehre wurde immer tiefer und breiter.
Ob die Akteure alle so gute Strategen sind, wie es erscheint, bezweifele ich, vielmehr scheint mir ihr Handeln ein situationsbedingt intuitives. Das Bild eines ‚großen Plans‘ entsteht nur im Nachhinein und wäre falsch. Dieses Buch analysiert die Auswirkungen eines neuen Zeitgeists auf Bildung und Wissenschaft, manchmal artet es auch in eine umfassende Gesellschaftskritik aus. Vielleicht haben Veränderungen sich schon immer auf ähnliche Weise abgespielt. Vielleicht gab es nie „reinrassige“ Systeme und immer Hybride, weil der Mensch ständig sein Umfeld neu wahrnimmt und ständig verändert. Dann erschiene Münchs Hybrid-Hypothese nicht so aufregend. Sein Beitrag zur Diskussion bleibt aber des Ideen- und Informationsreichtums wegen ungeschmälert und damit sehr empfehlenswert.
Richard Münch: Lokale Autoritäten, globale Eliten – Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co.
Suhrkamp Verlag
Frankfurt/M. 2009
266 S. – 13,- €
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