Zum Abschluss des Strawinsky-Zyklus führt das Ballett vier Choreographien auf
„Igor Strawinsky“ – Mit dem blauen Schriftzug wird dem Publikum gleich noch mal in Erinnerung gerufen, wer heute Abend im Mittelpunkt steht. Mit Strawinsky-Projekt III schließt die Oper Leipzig den Zyklus um den russischen Komponisten ab. Vier verschiedene choreographische Interpretationen stehen auf dem Programm von Ballettdirektor Chalmer und vier sehr unterschiedliche Choreographien bekam das Publikum zu sehen.
Nach einer konzertanten Einführung – Fireworks, Orchester unter musikalischer Leitung von James Tuggle – wird das Publikum in das Land der aufgehenden Sonne entführt – die Rücken der Tänzer ziert passender Weise ein aufgemaltes Sonnengesicht. Die Geschichte des chinesischen Kaisers, der über der mechanischen Reproduktion seine reale, betörende Nachtigall vergisst und deshalb krank wird, dient Goecke als Ausgangspunkt für die Choreographie von Le Chant du Rossignol. Auf der Bühne ist von der Handlung jedoch nicht mehr viel zu sehen. Vielmehr wird mit Fokus auf Oberkörper und Arme die Bewegungssprache der tierischen Vorbilder auf den menschlichen Körper übertragen. Kleinteilige, rasche Bewegungen in Händen und Armen und rasante Trippelschritte schwören das Bild eines 12-köpfigen Vogelschwarms empor. Eine Unterscheidung der einzelnen Rollen ist kaum mehr möglich, nur die Nachtigall ist in den drei Tänzerinnen erkennbar. Die Kostüme verstärken dies noch durch ihre Einheitlichkeit. Eine Uraufführung mit spannender Bewegungs- und Formensprache, die von den Tänzern – leider bis auf den teils unsynchronen A-cappella-Moment – mit technischer Präzision ausgeführt wurde.
Aufgerissene Münder, nach hinten geworfene Köpfe und abgespreizte Ellbögen. The Cage von Jerome Robbins aus dem Jahr 1951 bringt den Zuschauern Frauen in animalisch-kriegerischen Posen und Männer als Opfer. Der Vorhang öffnet sich zu einer leeren Bühne, über der sich ein aus Fäden angedeutetes Netz befindet. Man sieht eine Gruppe von Tänzerinnen mit toupierten Haaren, deren Kostüme – Trikots mit applizierten Stoffsträngen – an Kriegsbemalung erinnern. Die Novizin (beeindruckend interpretiert von Bridget Breiner) ist von den anderen durch ihre auf dem Rücken noch nicht wirklich zu erkennende Musterung und die kurzen Haare zu unterscheiden. In einem amazonenhaft-tierischen Tanz wird die Novizin von der Gruppe auf einen Initiationsritus vorbereitet. Der erste auftretende Tänzer erfährt dann auch keine Gnade und wird mit spinnenhaft anmutenden Bewegungen von ihr geopfert. Abschluss des Tötungsaktes bildet eine heroische Siegespose. Choreographische Elemente wie aufgerissene Münder, nach hinten gezogene Ellbögen und extrem unter Spannung stehende Hände tauchen immer wieder auf, bilden ein Charakteristikum in den Bewegungen der Tänzerinnen. Auch im gelungenen Pas de Deux der Novizin mit ihrem zweiten Opfer schleicht sich dieses Repertoire der jägerischen Gesten regelmäßig ein, doch stets überwiegt der Ausdruck ihrer gegenseitigen Anziehung. Erst die erneut dazukommende Gruppe reißt die beiden Liebenden auseinander und erinnert die Novizin an ihre Aufgabe. Im letzten Tanz erledigt sie ihren Liebhaber und ist mit der kennzeichnenden Siegespose in der Hierarchie etabliert.
Balanchines choreographische Interpretation Strawinskys wird den Zuschauern durch Pas de Deux-Variationen näher gebracht. Itziar Mendizabal und José Urrutia zeigen uns ein Paar, das zum Tanz geht. Immer wiederkehrenden Ausgangspunkt auf der blau ausgeleuchteten Bühne bilden dabei Klavier (Christian Hornef) und Violine (Julius Bekesch), denen im 1. Satz des Duo Concertant auch von den Tänzern die verdiente ungeteilte Aufmerksamkeit gilt. Die Wechselbeziehungen von Musik und Tanz, Mann und Frau sind in den folgenden Pas de Deux thematischer Mittelpunkt. In zwei Tänzen herrschen im Wechsel von Soli und gemeinsamen Partien schnelle Bewegungen und kleine Sprünge vor, sie zeigen Freude am Tanzen und zwei Partner, die sich einander nähern. Eine Nähe, die in der langsameren Variation elegant dargestellt wird. Aufs Äußerste verdichtet ist sie im letzten berührenden, ein klein wenig kitschigen Pas de Deux (aber wer braucht das nicht ab und zu?). Auf der verdunkelten Bühne, nur in zwei Lichtkegel getaucht, konzentrieren sich die Bewegungen auf den Oberkörper und die Arme, um alles in der stilisierten Geste des Handkusses zum Höhepunkt kommen zu lassen. Vor allem Itziar Mendizabal besticht in den Variationen durch ihre Präsenz und Technik.
Finale des Abends und der Strawinsky-Reihe, wie könnte es anders sein, ist Le Sacre du Printemps in einer Choreographie von Glen Tetley (1974). Ein Mann (Alexander Zaitsev), keine Frau, ist erwählt, als Opfergabe die Götter zu besänftigen. Bereits sehr früh im Stück ist er auf dem Boden liegend auserkoren und wird daraufhin immer wieder von den anderen Tänzern über die mit stilisierten Bäumen gerahmte Bühne getragen. In mehreren Etappen durchdringt sein Opfertanz die weitere Choreographie. Er ist geprägt von weitgreifenden Bewegungen in den Gliedmaßen, Stolpern und viel Wechselspiel von Konvex und Konkav im Rücken – Elemente mit Wiedererkennungswert, die eine archaische, teilweise tierische Atmosphäre erschaffen. Doch es scheint, als ob nicht der Auserwählte im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr das tänzerisch überzeugende (Herrscher-)Paar. Lange und häufig sind die beiden auf der Bühne zu sehen. Den letzten Tanz zeigt der Auserwählte innerhalb der anderen Tanzenden, bevor er im Hintergrund verschwindet, um für das fulminante Abschlussbild über der zelebrierenden Menge in die Höhe zu entschweben. Mit begeistertem Applaus und einigen Bravo-Rufen feiert das Publikum den Klassiker Strawinskys schlechthin.
Strawinsky-Projekt III: Le Sacre du Printemps u.a.
Le Chant du Rossignol (Uraufführung) – Choreographie: Marco Goecke
The Cage – Choreographie: Jerome Robbins
Duo Concertant – Choreographie: George Balanchine
Le Sacre du Printemps – Choreographie: Glen Tetley
Leipziger Ballett und Gewandhausorchester
Premiere: 28. November 2009
Oper Leipzig
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