Arbeits-Zustände

Der Beat der Lebenswelt zwischen Muße und Maloche verändert sich

Allen Menschen in ihrem Arbeitsleben ein Höchstmaß an innerer Befriedigung zu ermöglichen – wer weiß, ob das jemals gelingt. Die Arbeitsverhältnisse in diese Richtung zu entwickeln ist eine sinnvolle Aufgabe, deren Lösung vor uns liegt. Menschen davor zu bewahren, der Arbeit mehr abzuverlangen, als diese selbst unter den günstigsten Umständen zu geben vermag, bezeichnet eine Aufgabe gleichen Ranges. Selbstverwirklichung durch Arbeit – diese Losung liegt genau im Schnittpunkt beider Problemkreise. Sie drängt auf die Aneignung der Arbeit durch die Arbeit leistenden Menschen, und sie verdrängt, dass keine Arbeit je zum Leben in seiner Fülle „passt“.

Wolfgang Engler: Lüge als Prinzip

„Arbeit soll sich wieder lohnen.“ – So und in abgewandelter Form lauteten einige Slogans zur vergangenen Bundestagswahl im September 2009. Sie erweckten ganz den Anschein, als ob sich Erwerbsarbeit jemals gelohnt hätte. Aus Arbeitnehmersicht jedenfalls dürfte das zu bezweifeln sein. Eine solche Verlustgeschichte verschleiert zudem, dass stets eine Minderheit von Menschen am Luxus teilhatte, eine Arbeit verrichten zu dürfen, die ihnen auch entspricht. Oder anders: Geld dafür zu bekommen, was eine erfüllende Tätigkeit statt entfremdeter respektive entfremdender Arbeit ist.

Mit den Veränderungen der Arbeitswelt, in denen sich notwendig der „flexible Mensch“ (Richard Sennet 1998) formt, geht auch ein Wandel im Lebensrhythmus oder den Lebensrhythmen einher. Der Sammelband Arbeit und Rhythmus untersucht, in welcher Gestalt diese unter den neuen Bedingungen von Erwerbsarbeit erscheinen. Der Buchtitel geht auf ein gleichnamiges Werk des Leipziger Nationalökonomen Karl Bücher (1847-1930) zurück, der den Traum der Vereinigung aller menschlichen Lebensaspekte und -verhältnisse träumte, also die Aufhebung der Trennung von Arbeit und Freizeit, Mühsal und Lust etc. anstrebte. In einer Hinsicht sind wir diesem heute näher, als man sich wünschen würde: prekäre Arbeitsverhältnisse, Druck auf dem Jobmarkt, technologische Möglichkeiten der permanenten Erreichbarkeit – irgendwie ist der Mensch immer „auf Arbeit“.

Der eröffnende Beitrag zeichnet noch einmal die moderne Vorstellung von der glücklichen, ja glückbringenden Arbeit, der Erfüllung im Job nach. In geraffter Darstellung findet sich so die Entwicklung vom fordistischen Idealtypus des Fließbandarbeiters hin zu Überlegungen zur Einheit und Harmonisierung von Arbeit und Leben etwa in der Lebensreformbewegung. Ein anderer Beitrag nimmt unter soziologischer Perspektiv die verschiedenen Subjektivierungsformen in den Blick, denen das erwerbstätige Individuum ausgesetzt ist und sich gleichermaßen unterwirft. Bei der Lektüre wird immer wieder das Ineinanderfließen von Arbeit und Freizeit, was unter dem Stichwort „Selbsterfüllung“ von der selbst behaupteten digitalen Boheme propagiert wird, als Entgrenzung der Arbeit sichtbar. Sie rekurriert heute auf alle Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen, Dienst nach Vorschrift erscheint als Auslaufmodell. Das Individuum muss permanent all seine Potenziale ausschöpfen und wird schließlich in einem letzten Schritt als „Unternehmerisches Selbst“ (Ulrich Bröckling 2007), als selbstausbeuterische Ich-AG angerufen. Das veranschaulicht ein Beitrag über einen Berliner Senfladen, der als vom Arbeitsamt geförderte und ideologisch von Werbeleuten betreute Vorzeige-Ich-AG medial das Lob des Entrepreneurs anstimmte.

Ästhetische, theater-, tanz- und bewegungswissenschaftliche Überlegungen bilden den zweiten Schwerpunkt des Bandes. So wird angesichts des Wegfalls des Körpers in den Produktionsprozessen – der erlebbaren, physischen Arbeit -, deren zunehmende Theatralisierung und Inszenierung beschrieben, die etwa in den Gläsernen Werken, mit denen nicht nur Automobilhersteller zu glänzen versuchen, stattfinden. Vielfach ist man hier dem empraktischen (Körper-)Wissen, dem „knowing how“ auf der Spur. Das stellt im Gegensatz zum theoretischen Wissen („knowing that“) ein Erfahrungswissen dar, das praktisch erworben wird, und oft gar nicht explizit gemacht wird. So geht eine Untersuchung der Unterwerfung unter Büro-Routinen nach, und reflektiert ihre künstlerische Dokumentation in einem Tanzstück. Ferner werden Tanzprojekte, oft zum Mittel der Bildung (und Integration) verklärt, als Medien der Abrichtung entschleiert. Die als Weg zur Kunst versüßte Disziplin besorgt hier die Unterordnung, die Rhythmusschulung ist ein erzieherisches Mittel, das weniger zur freien Entfaltung des Individuums, sondern zur Eintaktung in den Beat des Kollektivs gereicht.

Bei aller Vielfalt lässt der Sammelband interessanterweise niemals auch nur den Versuch erkennen, zu artikulieren, was der Begriff Arbeit denn im Kontext des Buches heißen soll, findet er verschiedenen Gebrauch, der nicht kenntlich gemacht wird. Eine überbordende Begriffsdefinition war nicht zu erwarten – unterscheidet doch Angelika Krebs in Arbeit und Liebe bereits acht definitorische Spielarten -, aber wenigstens ein Kommentar zur Problematik hätte auf der Hand gelegen. Oft wird Lohn- respektive Erwerbsarbeit gemeint sein. Bei künstlerischer Arbeit passt diese Kategorie schon nicht mehr, auch wenn natürlich KünstlerInnen von ihrem Schaffen auch leben können müssen. Und eine Arbeit an sich selbst ist gewiss auch etwas anderes als Briefe auszutragen oder an der Theaterkasse zu sitzen. Denn fällt Arbeit einfach mit Tätigsein zusammen, dann kann auch noch der fieseste Knochenjob als Form der Vita activa legitimiert werden. Das ist mitnichten das Ansinnen der AutorInnen, die sich allesamt eher kritisch mit dem lebensweltlichen Wandel auseinandersetzen – trübt aber ihre Einsichten.

Um dem Vorrücken der Arbeit auf das eigene Leben innerlich widerstehen zu können, ist eines unbedingt vonnöten: Wir müssen lernen, den „Bürger“ und den „Menschen“ unabhängig vom „Arbeiter“, vom Lohnarbeit leistenden Individuum zu denken und in ihre Rechte einzusetzen.

Wolfgang Engler: Lüge als Prinzip

Inge Baxmann, Sebastian Göschel, Melanie Gruß & Vera Lauf (Hg.): Arbeit und Rhythmus. Lebensformen im Wandel
Wilhelm Fink
Paderborn 2009
259 S. – 32,90 €


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