Satire zwischen den Jahren: So wird 2010
Während die politische Welt wie im Fieberwahn vom Konjunkturaufschwung fantasiert, hat die katholische Kirche prophetische Gabe bewiesen und noch vor der Krise für 2010 ein Gnadenjahr ausgerufen: das Heilige Compostelanische Jahr. Uns Papst weiß schon, welcher Katastrophe wir ergeben harren müssen. „Gott hat mich gesandt, den Elenden die Frohe Botschaft zu verkündigen“, wird heuer das bibeltreue Motto lauten, Sündenablass und Schuldenerlass werden im Zentrum stehen. Selbst der belächelte Dirk Niebel kann noch zum Heiland aufsteigen, wenn er es nur geschickt anstellt. Aber an pragmatischem Opportunismus hat es dem Mitglied der Flexiblen Demokratischen Partei (FDP) noch nie gemangelt. Nun schaltet er als Entwicklungshilfeminister am Puls des Zeitgeistes. Zwar wollte Niebels Partei das Amt kurz zuvor noch komplett abschaffen, doch nun steht ihm der Herr mit der blond geföhnten Fontanelle vor. Dessen Steckenpferd ist eigentlich die Arbeitspolitik. Wenn es aber keine Arbeit mehr gibt, um die er sich kümmern kann, dann ist Niebels Umsatteln völlig richtig. Da der Etat des Ministeriums laut FDP-Plänen massiv gekürzt werden sollte und zurückrudern nun nicht drin ist, bleibt nur die Ausflucht nach vorne: Den Staaten der Dritten Welt erlässt Niebel alle Schulden. Endlich übernimmt ein Marktliberaler die Verantwortung und selbst das Neue Deutschland kommt um anerkennende Worte nicht umhin.
Natürlich kann das dem Format eines Machers wie Niebel nicht genügen, weshalb der Exportweltmeister Deutschland unter seiner Führung den Erfolg der Agenda 2010 global fortführen wird. Unter der Parole „Fordern und Fördern“ dirigiert der geschmeidige Dirk seine Mission mit UN-Mandat. Endlich wird der Planet am deutschen Wesen genesen und Niebel erhält in den Geschichtsbüchern seinen Platz an der Sonne. So wird die Welt ihr Gnadenbrot aus den Händen des FDP-Messias erhalten. Das hat allerdings einen kleinen Preis: Brot statt Spiele lautet die neue Form des politischen Handelns. Die Fußball-WM in Südafrika wird abgesagt. Stattdessen strahlt Vatikan TV als Beitrag zur Völkerverständigung Sönke Wortmanns „Deutschland ein Sommermärchen“ aus, der in aller Welt per Public Viewing zu sehen ist. Der Zauber der WM 2006 ist ohnehin nie wieder einholbar, es kann nur auf ewig an ihn erinnert werden. Und wenn Franz Beckenbauer gemeinsam mit Niebel auf dem Petersplatz in Rom die globale Open-Air-Veranstaltung abmoderiert mit den Worten „Ja, ist denn schon Weihnachten?“, werden fast sieben Milliarden Menschen rührselig und frohlocken dem nächsten Gnaden-Los, das die göttliche Hand für die FDP aus dem Ärmel schüttelt.
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