Ein Vierteljahrhundert politisches Lied

Die Goldis sind im Leipziger Theater auf der Suche nach Diskurs

„Früher“, so berichten die Goldis, „ja, früher hat das Publikum noch mit Dosen geschmissen.“
„Aber heute …“, bemerkt jemand im Publikum – Achtung jetzt kommt’s: „Gibt es nicht mal mehr Dosen.“

Gemessen an den Entwicklungen, Krisen und der Politik dieser Tage ist das politische Lied erstaunlich marginal verbreitet. Die Goldenen Zitronen nehmen auf ihrer aktuellen Platte die deutschen Charts anhand von Silbermond und Die Ärzte daraufhin auseinander. Auf Die Entstehung der Nacht selbst lebt das politische Lied jedenfalls in ganzer Kraft und Schönheit. Neben der Poetik der intelligenten linken Verse und musikalischen wie textlichen Brüche hat dieses Album Slogans, die jedem Werbetexter Tränen in die Augen treiben (auch vor Bewunderung). Damit knüpfen sie an die Alben Das bisschen Totschlag und Lenin an. Kein Wunder, dass der Song Bloß weil ich friere / ist noch lang nicht Winter in fast jeder Jahresbestenliste auftaucht. Womit wir beim Theater wären, denn den Text hat Schorsch Kamerun 2007 für das Züricher Schauspielhaus geschrieben. Ebenso wie Sänger Kamerun ist Gitarrist und Bassist Ted Gaier als Stammgast bei der Theatergruppe 400asa durchaus an Theaterbühnen gewöhnt. Trotzdem zeigt der Abend mit den Goldis (wie sie sich auch selber nennen), dass das Theater nicht alles und schon gar nicht allein schaffen kann.

Das Lied zum Abend ist der Opener der neuen Platte Zeitschleifen, der mittels unglaublicher Klangexperimente irgendwo zwischen Techno, Krautrock und Arabesque über den Kommunikations-Breakdown am Ende einer Partnerschaft berichtet. Wer etwa den frühen Zitronen-Hit Für immer Punk erwartet, ist an diesem Abend falsch: 1) Man ist im Theater und lauscht schweigend dem scheppernden Durcheinander und den verstörenden Rhythmen von Milan, Des Landeshauptmanns letzter Wille und Wir verlassen die Erde. 2) Um ein Bier zu bekommen muss man sich also durch die murrende Reihe quetschen. 3) Von freier Bewegung kann – zumindest im Publikum – keine Rede sein. Selbst die Aufforderung der Band darüber – in eine bühnengerechte Plauderei zwischen Kamerun und Geier verpackt -, sich doch endlich mal zu erheben, kam kaum jemand nach. Blut-Pogo, Teilhabe oder auch nur Bewegung sieht anders aus. Was war passiert?

Jörg Sundermeier hat in der taz ein sehr gutes Erklärstück über die Entwicklung der Zitronen innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts geschrieben. „Seit 1990 aber wandelte sich der Ton und die Musik der Band grundsätzlich, denn auch das Material, die Welt, in der die Zitronen nun zu leben hatten, hatte sich grundsätzlich gewandelt.“ 1984 in Hamburg als Fun-Punks gestartet, sind die Goldis heute ein musikalisch experimenteller und textlich gesellschaftskritischer Klassiker. Geblieben sind musikalische Unabhängigkeit, schreckliche Kostüme und munterer Instrumententausch als Teil einer energiereichen Show. Und damit sind wir beim Problem dieses Konzertabends: Zur Show gehören, wie zu jeder Kommunikation, zwei. Ein Blick ins Publikum wirft Fragen auf: Wo ist die Segen versprechende Kreativwirtschaft Leipzigs, wenn die Goldenen Zitronen schon Zuflucht im städtisch geförderten Theater suchen? Sind all die Kulturschaffenden im Saal eigentlich müde vom zweiten Arbeitsmarkt, Selbstausbeutung und Netzwerken? Nicht ohne Grund fragen Tocotronic gerade, wie bieder und bitter eigentlich DIY geworden ist. Sie spielen übrigens nach dem gelungenem Intermezzo im Theater bald wieder im Conne Island. Die Krise der Kunstschaffenden in Hamburg hat viele zum Nachdenken gebracht. Der hiesige Baubürgermeister Zur Nedden etwa lud Asyl suchende Hamburger Künstler jüngst nach Leipzig ein. Es ist zu hoffen, dass auch die Bedeutung einer lebhaften und vielfältigen Konzertlandschaft in Leipzig wieder mehr Raum findet.

Die Goldenen Zitronen

Centraltheater, 17. Dezember 2009


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